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Giftpilz am Gartenbau

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Für die Verbauung der Gartenbaugründe am Parkring hat es in jüngster Zeit zwei Projekte gegeben:

Beide sehen eine Straße entlang der alten Bastei, zu Füßen des — unter Denkmalschutz stehenden — Palais Coburg vor.

Das erste Projekt besteht aus zwei Baukörpern in geschlossener Bauweise mit Innenhöfen in der Baugruppe 5, das heißt 26 Meter hoch, dazwischen eine 26 Meter breite Straße, die senkrecht zum Ring auf die Mitte des Palais Coburg zuführt.

Das zweite, jüngere, von den Architekten Boltenstern und Schlauß verfaßte Projekt beinhaltet in seiner linken (westlichen) Hälfte einen T-förmigen Blockbau (also ohne Höfe) von 26 Metern Höhe, dessen T-Balken gegen den Ring und dessen T-Stiel parallel zur Weihburggasse (jedoch etwas zurückgerückt), gegen die Innere Stadt zu, liegt, in seiner rechten (östlichen) Hälfte hingegen einen umgekehrten T-Bau, dessen Balken gegen die Innere Stadt zu liegt und 26 Meter hoch ist, dessen T-Stiel jedoch gegen den Ring zu steht und 4 2 Meter hoch werden soll. Dieser rechte (östliche) Bau ruht auf einer rechteckigen, zweigeschossigen, sieben Meter hohen „Platte“ auf, die ungefähr den alten Fluchtlinien des ersten Projektes folgt.

Das linke (westliche) Areal gehört der Alpine-Montan (für ein Bürohaus), das rechte (östliche) Areal den Baufirmen Porr AG. und Universale, die dort ein Wohn- und Bürohaus mit Kino und Garage errichten wollen.

Während die Porr AG. sich für das zweite Projekt entschieden hat, ist es höchst zweifelhaft, ob die Alpine-Montan sich für das zweite Projekt entscheiden oder auf ihrem ersten Projekt beharren wird. .

Für das erste Projekt hat die Magistratsabteilung 36 im Jahre 1957 die Baubewilligung erteilt, welche noch in Kraft ist.

Für das zweite Projekt hat diese Magistratsabteilung 36 am 26. November 1959 auf Grund der alten Fluchtlinienpläne für das rechte (östliche) Projekt ebenfalls die Baubewilligung erteilt, und zwar auf Grund höherer Weisung. Da der geltende Bebauungsplan aber nur eine Bauhöhe von 26 Metern und die geschlossene Bauweise vorsieht, hat sie sich vom Gemeinderatsausschuß VII mit Beschluß vom 29. Juli 1959 die Zustimmung zu dieser Bewilligung geben lassen.

Mit diesem Beschluß hat der Ge-nieinderatsausschuß VII-seine Zuständigkeit überschritten. Denn der 1 (1) der Bauordnung für Wien bestimmt, daß der zuständige Gemeinderatsausschuß nur unwesentliche Aenderungen am Flächenwidmungs- und Bebauungsplan bewilligen kann (also zum Beispiel kleine Ueberschreitungen der Bauhöhe zwecks Anbringung von Eck- oder Mittelaufbauten, Verzierungen u. ä.); alle wesentlichen Aenderungen des Bebauungsplanes aber sind dem Gemeinderat selbst vorbehalten.

In Wirklichkeit ist die der Porr AG. zu erteilende Baubewilligung zwischen den Amtsführenden Stadträten Lakowitsch und Heller und dem Ing. Witzmann ausgemacht worden.

Hierzu ist zu bemerken, daß Ing. Witzmann gleichzeitig Direktor der Porr AG., Gemeinderat und Vorsitzender der Baukommission ist! — Es ist die Frage zu stellen, ob hier nicht ein In-kompatibilitätsfall vorliegt.

Der Fachbeirat, der laut 3 (3) der Bauordnung von der Gemeinde unabhängig sein soll, hat keine Einwendung gegen die Ausführung des Projekts Boltenstern-Schlauß erhoben (ebensowenig wie seinerzeit gegen den Neubau auf dem Concordiaplatz und seine Rückwirkung auf Maria am Gestade, gegen das Steyr-Gebäude auf dem Schwarzenbergplatz, den Autosilo auf dem Neuen Markt usw.). Dieser Fachbeirat hat in denkmalpflegerischer Hinsicht seit Jahren völlig versagt und bedenkenlos den Jasager gespielt.

Der Vertreter der Denkmalpflege im Fachbeirat, Prof. Michel Engelhart, ist bekanntlich leider seit Jahren krank, in einer Heilanstalt und aktionsunfähig. ,

Ueber die Einwände des Bundesdenkmalamtes ist der Magistrat hinweggegangen, die Einwände der gewählten Bezirksvertretung hat er in seiner Baubewilligung nicht einmal erwähnt.

Der Verein für Denkmalpflege hat sofort nach Bekanntwerden des Boltenstern-Schlaußschen Turmhausprojektes gegen dieses die schwersten Bedenken gehabt.

Der Vereinsvorstand hat zunächst versucht, durch eine freundschaftliche Aussprache auf die Porr AG. einzuwirken. Zu einer solchen waren Prof. Boltenstern und der Präsident des Aufsichtsrates der Porr AG., Dr. Kink, ohne weiteres bereit; der letztere hat zugegeben, daß es sich für die Porr AG. bei dem Turmhaus ausschließlich um eine Frage der Rendite handelt. Die Direktion der Porr AG., die für eine solche Aussprache zuständig wäre, hat jedoch den Verein viele Wochen lang hingezogen: Zu einer Aussprache ist es bis heute nicht gekommen.

Das Vereinspräsidium hat ferner am 20. November 1959 bei Amtsführendem Stadtrat Lakowitsch vorgesprochen. Dieser zeigte sich sehr erstaunt: Er erklärte, seiner Meinung nach käme das Turmhaus nicht nach vorne gegen den Ring, sondern nach rückwärts, gegen die Innere Stadt zu, zu stehen; er werde sich aber die Pläne nochmals vorlegen lassen. — Darauf erfolgte eilends „über Auftrag“ die Erteilung der Baubewilligung.

Eine Vorsprache bei Amtsführendem Stadtrat Heller war nicht zu erreichen.

Der Verein hat sich in zwei ausführlichen Schreiben vom 24. November und 2. Dezember 1959 an den Herrn Bürgermeister gewendet; in dem ersten hat er ihm seine sachlichen Einwände gegen das Projekt vorgetragen, in dem zweiten gegen die verwaltungsrechtliche Behandlung der Angelegenheit durch die Magistratsabteilung 36 (Lakowitsch) und gegen die begleitenden Umstände remonstriert. Eine Vorsprache würde erst im Jänner 1960 möglich sein.

Unter diesen Umständen blieb dem Verein kein anderer Weg, als die Oeffentlichkeit zu informieren.

Das Boltenstern-Schlaußsche Projekt ist zunächst eine schwere Gefährdung der Ringstraße, einer der schönsten Straßen der Welt: Diese ist ihrer ganzen Konzeption nach auf eine breit hingelagerte, die Horizontalen durch Gesimse und Fensterverdachungen betonende Architektur abgestellt. Hier aber soll — nicht etwa an einem Eckpunkt der Inneren Stadt, wie beim Ringturm (Ecke Schottenring-Franz-Josefs-Kai), sondern an einem ganz zufälligen Punkt der Geraden, zwischen Kriegsministerium und Hotel Imperial — ein hohes, schmales, die Vertikale betonendes Turmhaus von 42 Metern Höhe entstehen.

Zweitens stehen die beiden projektierten Bauten links und rechts in keinerlei Gleichgewichtsverhältnis zueinander, indem, vom Ring und Stadtpark aus gesehen, der eine breit hingelagert, der andere aber hoch und schmal ist.

Drittens stehen rechts und links von diesem Turmhaus zwei breite und überdies ungleich große Löcher in der Ringwand.

Viertens erhält der zwischen dem linken und dem rechten Neubau (vorausgesetzt, daß ersterer überhaupt nach dem Projekt ausgeführt wird, was ganz unsicher ist) übrigbleibende offene Raum eine völlig unmögliche, verzerrte Form.

Endlich verdeckt der T-Balken des östlichen Baues etwa ein Drittel des —, unter. Denkmalschutz stehenden! — Palais Coburg.

Die vielgescholtene „Gründerzeit“, für die ausschließlich privatkapitalistische Gedankengänge maßgeblich waren, hat es verstanden, gegebenenfalls die privaten Bauwerber zu großartigen Gesamtplanungen zusammenfassen.

Im Oesterreich von heute scheint es kein Mittel zu geben, dem Gewinnstreben mächtiger, über gute Beziehungen „nach oben“ verfügender Privatfirmen, die keine Rücksicht auf das überkommene Wiener Stadtbild nehmen, Grenzen zu setzen.

Wenn der Gemeinderatsausschuß VII sich auf den Standpunkt stellt, daß die Bewilligung eines Turmhauses in der Inneren Stadt nur eine „unwesentliche“ Aenderung des Bebauungsplanes (79) darstellt, besteht dann nicht die ernste Gefahr, daß in den nächsten 20 Jahren Dutzende von Hochhäusern überall in der Inneren Stadt wie Giftpilze hervorwachsen? Zu einer Zeit, in der das Ausland, und hier die USA, die wohl auf diesem Gebiet über reichliche Erfahrung verfügen, sich wegen der offensichtlichen Nachteile von einer Errichtung von Hochhäusern und ähnlichem im eng verbauten Stadtbereich ganz entschieden abkehren, soll das Stadtbild Wiens einzelnen Unternehmern zuliebe geopfert werden? Es ist allerhöchste Zeit, der Oeffentlichkeit auch hier ein „Merk's Wien“ zuzurufen, damit sie die Verantwortlichen von heute an ihre Pflichten gegenüber der Heimat erinnere.

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