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QUERSCHNITTE

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Mit Meißl: Schaden

Nicht nur weltberühmte Landschaften und Denkmäler sind von Straßen und Verkehr bedroht; auch Baudenkmäler, die weitab vom Fremdenstrom liegen, wie die Marchfeldschlösser des Prinzen Eugen, verfallen und werden aus Interesselosigkeit und Stumpfheit zerstört.

So kletterte fast zur gleichen Zeit, als auf dem festlich geschmückten Rathausplatz in Wien unter Beteuerungen der tiefsten Kulturverbundenheit die Fahne zu den Wiener Festwochen höchging, ein Landarbeiter der Gutsverwaltung Eßling der Gemeinde Wien mit einer Spitzhacke auf das vom Volksmund „Maria-Theresia-Tor“ genannte „Kinsky- Tor“, um dem seit langem baufälligen Bauwerk den Garaus zu machen. Dabei ließ man die gemeißelten Teile auf einen Heuwagen plumpsen, das interessante, schöne Gitter, eine schmiedeeiserne Arbeit bester Qualität, soll, wie man hört, bereits verschwunden sein. Durch das Tor hindurch führt die Raphael-Donner-Allee, so genannt, weil schräg gegenüber das Geburtshaus dieses großen österreichischen Bildhauers liegt. Aber was stört das die Zerstörer?

Es treten da einige Fragen auf: Hat Wien XXII, Eßling, kein Anrecht auf die vielgepriesene Wiener Kultur? Hat ein ehrwürdiger Boden (wie oft mag der kleine Raphael im Schatten des großen Tores gespielt haben) nicht auch ein Recht auf Denkmalschutz? Hätte man dieses Tor auch abgerissen, wenn es an der Ringstraße gestanden wäre?

Noch ist es nicht zu spät: Die Pfeiler stehen noch. Noch wäre das Ganze zu retten.

Befremdliche Fremde

Von Zeit zu Zeit dringen eigenartige Nachrichten, teils durch die ausländische Presse, teils durch Berichte heimischer Reisender, über das Benehmen unserer Landsleute zu uns. Sosehr man sich über die wirtschaftliche Lage freut, die aus der Route des Peninsularexpreß bis hinab nach Rimini ein zweites Währing und Margareten macht: die flotten Wochenendfahrten von Kärnten nach dem holden Venezia, die schon im Vorjahre Kritik ausländischer Amtsstellen — und eigene Kritik — fanden, scheinen, was die Ermahnungen anlangt, verstärkte Fortsetzung gefunden zu haben. Da pascht also der Herr Reiseleiter vor dem Grabmal des Theoderich zu Ravenna sein „Gemma, gemma!“, weil ein Trüppchen bei S. Appolinare nuovo geblieben ist, um an dieser Stelle, Gigli kopierend, „Ja, ja, der Chiantiwein!“ zu singen. An den Säulen der Cä D’oro in Venedig macht sich eine Dirndlgruppe breit, über den Petersplatz wandern steife Lederhosen beinahe schon allein ihres Weges. Obwohl man die eigenen Anschauungen in Spanien kennt, versuchen verblühte Blumen ihre zweifelhaften Reize vor San Pedro in Avila frei-

giebig auszustellen. Pseudostrategen versudien am Alcázar in Sevilla frisch die Erklärungen des Fremdenführers über 1936 und den dreimonatigen Kampf des Generals Moscardo mit der Frage zu unterbrechen, wie viele Tote es denn dabei gegeben habe. Wiederaufklingt der alte Schlager vom roten Tarragona, wozu man zweckmäßig das Geländer des Stadthauses von Barcelona als Rutschbahn benützt. In Reims, der alten Krönungsstadt, bekrönen sich unsere Reisenden zuweilen mit Kellerwissen in der. Rue des Crayéres und bei V™ Cliquot-Ponsardin an der Place des Droit-de-l’homme. Und es gibt Unentwegte, die in der Normandie laut von „unserer Ari“ (Artillerie) reden, die da und dort „gefunkt“ habe.

Es vermindert unser Aergernis nicht, wenn wir aus Deutschland vernehmen, daß man auch dort mit den eigenen Leuten unzufrieden ist, so daß ein Bundestagsabgeordneter sogar eine Pressekonferenz abhielt und dabei einige saftige Berichte zum besten gab, wobei man ernstlich die Frage aufwarf, ob man den Leuten nicht, wie angeheiterten Kraftwagenlenkern den Führerschein, auf Zeit die Pässe entziehen solle. Nein! Die Betroffenen werden bei uns gleich den Verfassungsgerichtshof an- rufen und das Recht auf freien Aufenthalt reklamieren — und Recht bekommen. Aber das Recht auf persönliche Freiheit ist noch kein Recht auf Taktlosigkeit im Auslande.

Familienähnlichkeit

Beileidstelegramm an einen türkischen Kollegen! Diesem ist nämlich vor kurzem ein arges Mißgeschick passiert. Ein Staatsbesuch stand auf dem politischen Terminkalender, Jugoslawiens Regierungschef war in Ankara angesagt. Wie das Gesetz, nach dem er angetreten, befiehlt, stieg auch der Bildredakteur einer großen Istanbuler Tageszeitung auf der Suche nach einem Tito-Bild in die tiefsten Tiefen seines Archives. Er hatte den Staatschef des kommunistischen Jugoslawien noch nie von Angesicht zu Angesicht gesehen und wußte nur ein allgemeines Signalement: große massige Gestalt, prunkvolle Uniform und vor allem Orden, Orden, Orden!

Nein, dieser ist es bestimmt nicht, dieser auch nicht, aber — halt — der muß es sein. Zwar fehlt die Bildlegende, aber alle drei Kennzeichen sind vorhanden. Ein rascher Entschluß: in die Klischeeanstalt mit dem Photo!

Tags darauf prangte statt dem Konterfei Marschall Titos das des weiland Reichsmarschall Göring neben dem Be-

grüßungsartikcl in der „Gazette“ der Bosporusstadt.

Dabei kann man unserem unglücklichen Istanbuler Kollegen gar nicht so schwere Vorwürfe machen. Die Familienähnlichkeit zwischen dem braunen und dem roten Totalitarismus ist nämlich wirklich frappant.

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