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Verjüngungskur notwendig

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Die Wiener Festwochen, das Fest der „OgeretteHdeürien“, die große Hommage für den Walzerkönig, ist zu Ende: Und mancher, dci nach der Programmahkühdigühg im“Vruliijahr eine Revue der Sensationen erwartete, wird nach vierwöchiger Er-, schütterung erleichtert aufseufzen. Zum Jubel gab's nämlich heuer wenig Anlässe, kaum Grund. Denn mit den 25. Festwochen hat Intendant Ulrich Baumgartner nach mehreren recht bescheidenen Festivaljahren endgültig einen Rekord aufgestellt: einen Rekord der Pleiten und Debakel. Und fast alles, was hier an Festivalgastspielen und -eigenprodüktiohen vorgestellt wurde, blieb dem einen ungeschriebenen Motto treu: „Billiger geht's nicht mehr!“

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Die Wiener Festwochen, das Fest der „OgeretteHdeürien“, die große Hommage für den Walzerkönig, ist zu Ende: Und mancher, dci nach der Programmahkühdigühg im“Vruliijahr eine Revue der Sensationen erwartete, wird nach vierwöchiger Er-, schütterung erleichtert aufseufzen. Zum Jubel gab's nämlich heuer wenig Anlässe, kaum Grund. Denn mit den 25. Festwochen hat Intendant Ulrich Baumgartner nach mehreren recht bescheidenen Festivaljahren endgültig einen Rekord aufgestellt: einen Rekord der Pleiten und Debakel. Und fast alles, was hier an Festivalgastspielen und -eigenprodüktiohen vorgestellt wurde, blieb dem einen ungeschriebenen Motto treu: „Billiger geht's nicht mehr!“

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Wen wundert's also, daß schon während dieser Festwochen mehrfach die Forderung ausgesprochen wurde, Baumgartner möge endlich den Hut nehmen... Doch der Intendant, der bis zu seiner Pensionierung noch zwei Jahre hat, kann natürlich von seinen SP-Rathausgenossen nach elf Intendantenjahren auch nicht so einfach vor die Tür gesetzt werden. Also werkelt er munter drauf los, um sein Festival 1976 unter Dach und Fach zu brfngen (Karl Böhm soll er jedenfalls bereits für eine Produktion von Mozarts „Titus“ gewonnen haben.) Und es wäre ihm eine glücklichere Hand dafür sehr zu wünschen.

Nun, niemand will hier einen Katalog dessen vorlegen, was nach der mißglückten Millionen-„Fledermaus“ des Teams Rostropowitsch-Kehl-mann alles noch baden gegangen ist; niemand will die künstlerischen Schiffbrüche, Leichen und Begräbnisse zählen, die da auf den Schlachtfeldern zwischen dem Festivaltheater am Naschmarkt und der „Arena 75“ in der Sankt Marxer Schweinehalle zu registrieren gewesen wären. Der, Vorhang des Vergessens möge sich so rasch wie möglich darüber senken. Aber der Gesamteindruck, der Eindruck einer desolat gewordenen Wiener Kulturszene, ist freilich selbst beim besten Willen nicht zu verwischen. Ja, diesen Eindruck hat sogar Wiens Bürgermeister Leopold Gratz gewonnen. Und demonstrativ kündigte er an: „Das werden die letzten Festwochen dieser Art sein.“ Das heißt also, daß selbst für Gratz eine Totalreform der Wiener Festwochen, eine Frischzellenkur für Kopf und Glieder, sprich: auch eine personelle Erneuerung nicht umgehbar ist. Ja, Vizebürgermeisterin Gertrude Fröhlich-

Sandner, Baumgartners Schutzheilige, berief sogar für den 27. Juni eine Enquete ein, auf der — offiziell — Basisprobleme der Festwochen mit Theater- und Konzertmanagern, Ensembleleitern, Magistratsbeamten, Journalisten diskutiert werden sollen. Inoffiziell hat sich jedoch herumgesprochen, daß diese Enquete nicht zuletzt der Rettung der Festwochen 1976 dienen soll, um neue Katastrophenlawinen zu verhindern.

Aber was hat diese Festwochen so tief in die Krise manövriert?

Eine Chronologie zeigt, wo der Krebsschaden liegt. Aus einem Festival, das vor 25 Jahren den Lebenswillen des zerbombten Wien dokumentieren sollte, ist eine selbstgefällige Routineleistung geworden: Baumgartner selbst drückt nun fast elf Jahre lang den, weiß Gott, nicht bequemen Intendantensessel und ist dabei, als Rekordaufsteiger aus Kap-fenberg eingeholt, dem Ideen- und Organisationsverschleiß zum Opfer zu fallen. Umso leichter, weil er, im Grunde ein schlecht bezahlter Mann, um einen Pappenstiel (heuer: 15 Millionen Schilling) ein internationales Fest mit wienerischer Fasson auf die Bretter stellen mußte... Das heißt, Baumgartner mußte an Truppen mehr oder minder nehmen, was gerade vorbeizog, wenn er mit seinem Budget durchkommen wollte. Daß er außerdem mitunter schlechten Geschmack zeigte und obendrein der Verführung verfiel, auch noch selbst zu inszenieren, steht auf einer anderen Karte.

Jedenfalls hat Baumgartner aber in den elf Jahren immer mehr verabsäumt, für Wiens Festival einen geistigen Zusammenhalt, eine Motivation zu finden. So stehen wir nun vor dem Trümmerhaufen eines Festivals, das zum Kultursupermarkt

degenerierte. Wen wundert es, daß da der Katalog der Versäumnisse von Jahr zu Jahr größer wurde, dpß die Querverbindungen zwischen den Künsten kaum noch berücksichtigt wurden, daß alle großen Wiener Themen, die in der Luft lagen, teils überhaupt nicht berücksichtigt wurden (zum Beispiel diese längst fällige geistige Zusammenfassung der Künste der Wiener Ringstraßenära), teils schon in der Planung scheiterten (wie heuer die Konfrontation von Operetten verschiedener Prägung).

Doch immerhin wurden auf diesem Jahrmarkt gelegentlich auch gewichtige Ideen verwirklicht: Zum Beispiel die „Arena“, die verdiente, ausgeweitet und institutionalisiert zu werden. Aber es wurden von Baumgartner auch Alibieinfälle geliefert, die eigentlich nur das scftlechtVlSul-turgewissen der Gemeinde-Wien-Verantwortlichen bewiesen. Was sollte da zum Beispiel der Versuch, neue Publikumsschichten durch die Festwochen zu mobilisieren? Wo es doch Pflicht des Kulturamts wäre, Wiens kulturell unterentwickelte Zonen (Favoriten, Simmering, Brigitte-nau, Floridsdorf, usw) durch systematische Auf Schließungsarbeit das ganze Jähr über allmählich zu kon-ditionieren...

Und wo ist Baumgartners eigentliches Versagen zu suchen? Vor allem darin, daß er nicht imstande war, die Struktur dieses Festivals systematisch zu erneuern. Gegen alle Vorwürfe verschanzte er sich hinter seiner magistratischen Institutionalisierung. Er organisierte weiter, wo jeder Manager längst seinen Hut hingeworfen hätte. Daß sich jetzt, am Ende dieses Prozesses, die geistige Desorientierung zeigt, daß man den Mangel an Phantasie merkt, ist eine späte Einsicht. Sie allein wird diese in Selbstgefälligkeit verfallende, provinzialisierte Spätkultur der einstigen Metropole Wien auch nicht von heute auf morgen neu beleben. Umso weniger, als alle Verantwortlichen im Wiener Rathaus vorerst nicht mehr anzubieten haben, als die Tatsache, daß eine Verjüngungskur zum Überleben notwendig geworden ist. '

Aber der Wille zur Reform macht diese noch nicht. Ohne Konzept wird das alles nur ein Weitervegetieren bescheren, das zwar bequem sein mag, aber Wiens Festwochen auch nicht rettet.

All die, denen Wiens Festwochen im Moment auf den Schultern lasten, werden jedenfalls umdenken müssen. Die Zeiten reiner Repräsenta-tions- und Prestigefestivals gehen zu Ende. Man wird sich eine Menge Neues einfallen lassen müssen: Vielleicht eine Aufsplitterung in Avantgardetheaterwochen, in ein Ballettfestival, eine Jazzfestwoche, in Operngastspiele; vielleicht auch in Veranstaltungszyklen, die endlich Eigenkreatives mehr in den Vordergrund stellen und als Anlaß endlich wieder mehr als nur irgendeinen Geburtstag haben. Aber man wird endlich ein Konzept finden müssen, dessen Anliegen mehr enthält als bloß die Absicht, vier Wochen irgendwie mit kulturellen Veranstaltungen vollzustopfen.

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