6872412-1978_29_13.jpg
Digital In Arbeit

Wann darf der Bürger mitspielen?

Werbung
Werbung
Werbung

Wien hat zwar immer Saison, wollten uns die Rathausmänner stets glauben machen. Aber wenn die Sauregurkenzeit an- und ausbrach, wenn Wiens Mimen und Musikanten aufbrachen, um bei Festivals und Restivals, auf Burgen und Schlössern, in Felsen- und Gelsen-reitschulen ihre Schnurren abzuziehen, schien die Kulturmetropole Wien doch jedesmal verödet.

Gerade heuer bemühte sich aber die Stadt Wien und vor allem das Kulturamt, die Szene mit ein paar Ideen, einer Geldspritze - aber leider viel zu wenig Werbeinitiative! -aufzupäppeln: mit dem Festival „Jugend und Musik“ etwa, bei dem sich vierzehn Tage lang junge Musiker und ganze Jugendorchester aus aller Welt präsentierten, oder mit dem Festival des jungen Theaters, zu dem 15 Gruppen aus sieben Ländern in die Häuser der Begegnung einzogen und Highlights aus ihrer Theaterarbeit vorzeigten: Studien über die soziale und psychische Situation Jugendlicher, ebenso wie Lehrlingstheater, Schülertheater... Wichtige Versuche, der konventionellen Betriebsamkeit des Wiener musikalischen Sommers mit „Lustiger Witwe“, Arkadenhof- und Palaiskonzerten Neues gegenüberzustellen, das auch neue Publikumsschichten mobilisieren könnte.

Und die Versuche scheinen mir um so wichtiger, als kulturelles Leben damit in Gebiete gebracht wurde, die sonst auf der Wiener Landkarte der kulturellen Aktivitäten schlicht und einfach weiße Flecken sind. Wie Floridsdorf oder Rudolfsheim. Und es ist keine Frage, daß in Hinkunft eigentlich noch viel mehr -und nicht bloß den Sommer über -geschehen müßte, um riesige Industriebezirke wie Simmering, Favoriten oder den Donaustadtbereich

kulturell zu erfassen, um der Bevölkerung dieser Stadtteile Kultur als Teil der Lebensqualität schmackhaft zu machen.

Doch auch um den Innenstadtbereich muß man sich mehr denn je kümmern. Das ist den Verantwortlichen allmählich klargeworden. Gerade den Sommer über droht er zu einem toten Museumsviertel zu werden.

Allerdings gibt es seit zwei Jahren ein Konzept von Staatsopernregisseur Richard Bietschacher und Wiens Musica-Antiqua-Chef Bernhard Klebel, ins Viertel rund um die alte Universität, um Jesuitenkirche, Heiligenkreuzerhof, Alte Schmiede Leben zu bringen. 1977 war es ein erster bescheidener Versuch: „II

Lutto del Universo“ (Die Trauer des Weltalls), eines der faszinierendsten Opernwerke des Barockkaisers Leopold I., wurde in der Jesuitenkirche szenisch aufgeführt. Der Erfolg: enorm! So groß jedenfalls, daß die Gesellschaft für Musiktheater heuer bereits den Mut hatte, das Werk trotz knappem Budget wieder anzusetzen und dazu ein Rahmenprogramm mit Konzerten alter Musik zu organisieren. Auch heuer wieder: ein Bombenerfolg für's Minifest im Jesuitenviertel!

Freilich, vom Großkonzept ist diese Startphase noch weit entfernt. Denn im Grunde stellen sich die beiden Initiatoren ein Wiener Barock-fest vor: geistliche Opern und Oratorien der komponierenden Habsburgerkaiser und der Meister der Zeit in der Jesuitenkirche, Opernspektakel im alten Jesuitentheatersaal und in der alten Universität,

Serenaden, neue Musik, Literatur und Pawlatschentheater im Heüigenkreuzerhof, geistliche Arien in der Bernhardkapelle, Riesenspektakel auf dem Jesuitenplatz, moderne Ausstellungen in allen Galerien rundum...

Ein imponierendes Konzept für eine Superpräsentation: Wien in Barockglanz und -gloria, abseits vom gängigen Schubert-,ßreimä-derlhaus“, von Ludwig van, dem Titanen, oder der Ringstraßenzeit. Ein faszinierendes Kulturbild der Stadt, das uns fast abhanden gekommen ist.

Dieses wiederzuentdecken, müßte aber der Stadt Wien eigentlich am Herzen liegen. Denn das wäre nicht bloß ein Spektakel für Touristen. Im Gegenteil. In Paris hat ein ähnlicher Versuch im inzwischen berühmt gewordenen „Marais“, dem prächtigen Quartier des 18. Jahrhunderts, geradezu eine Erneuerung des Lebens - und des Geisteslebens! - provoziert. Bürger wurden initiativ. Sie haben „ihr“ Stadtviertel entdeckt. Seine kulturgeschichtliche Bedeutung, seine unverwechselbare Atmosphäre. Und damit fanden sie auch den Weg, wie dieses Viertel kulturell lebendig werden konnte.

Gerade für die Wiener Innenstadt, die als Büroviertel zu veröden droht, wäre das jedenfalls ein Weg. Und gibt es ein demokratischeres Beispiel, als eine solche Aktion Leben“ der Stadt Wien gemeinsam mit den Bewohnern dieses Innenstadtviertels? Sie würde zeigen, wieviel dem goldenen Wienerherz die Belebung Alt-Wiens wert ist. Und könnte vielleicht sogar helfen, die Entfremdung zwischen Bürgern und kommunalem Verwaltungsapparat zu überwinden. Ein solches Beispiel könnte jedenfalls Schule machen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung