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Festwochen

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Wer in diesen Tagen mit offenen Augen und aufmerksamen Ohren durch die frühsommerliche Bundeshauptstadt geht, wird auf den Straßen, in den schönen Gärten und bei abendlichen Veranstaltungen, sei es in den Schauspielhäusern, in den Konzertsälen oder in der Oper, immer wieder Menschen begegnen, Menschen aus aller Herren Ländern, die beeindruckt sind durch das, was sie hier erleben dürfen, durch die Schönheit unserer Stadt und durch die künstlerischen Leistungen, die allerorten geboten werden. Und wer den einladenden hellblauen Festwochenprospekt durchblättert oder die Wochenübersicht an-den Plakatwänden studiert, wird fast verwirrt durch die Fülle und Mannigfaltigkeit der Veranstaltungen. Ein rundes Dutzend Bühnen ladet Abend für Abend ein, die Staatsoper gibt ihr Repertoire in Glanzbesetzung, das Wiener Konzerthaus veranstaltet ein dreiwöchiges Internationales Musikfest, dessen Programme zahlreiche Ur- und Erstaufführungen aufweisen, und die Gesellschaft der Musikfreunde steuert einige klassische Konzerte bei, deren Regent Joseph Haydn ist. — Von den Aufführungen des Pawlatschentheaters bis zu den neuesten seriellen und elektronischen Werken ist im Rahmen der insgesamt 578 zentralen und periphären Ver anstaltungen tatsächlich für jeden Geschmack gesorgt, wird jedem nicht nur etwas, sondern viel geboten.

Aber nicht auf die Fülle, so erfreulich sie sein mag, kommt es an, sondern auf den Geist, in dem Wien seine Festwochen feiert. Von der ,.Sehnsucht des Wieners nach mehr Schönheit im Leben" hat bei der Eröffnungsfeier — an der auch der Unterrichtsminister das Wort ergriff — der Bürgermeister der Bundeshauptstadt gesprochen. Von diesem „schöneren Leben“ der Kunst, das neben dem anderen, härteren, politischen, existiert, soll etwas ausstrahlen, nach allen Seiten. Gibt es doch, neben Berlin (das in dieser Hinsicht verwandt und fern zugleich ist), keine Großstadt des Westens, kein Zentrum kulturellen Lebens der freien Welt, das so nah ist dem europäischen Osten, der mit vielen sehnsüchtigen Augen zu uns hereinsieht und aufmerksam hereinhorcht.

Diese hochgespannten Erwartungen zu erfüllen, ist die eine Aufgabe und Funktion der Wiener Festwochen, an deren Verwirklichung die obersten Behörden der Stadt ebenso mit- wirken wie die Regierung, die sich gemeinsam bemühen, internationale Kongresse und Veranstaltungen von politischer Relevanz nach

Wien zu ziehen. Am Vorabend der Festwochen tagte hier' der Internationale Verlegerkongreß, und vom 17. bis 20. Juni findet im Wiener Rathaus das große Europagespräch statt, dessen Generalthema lautet: „Die junge Generation und Europa“, an welchem führende junge Parlamentarier aus insgesamt elf europäischen Ländern teilnehmen werden.

Die andere, gewissermaßen interne Funktion der Wiener Festwochen scheint uns zu sein: aufzuzeigen, daß sich trotz bedeutender parteipolitischer Spannungen im Zusammenhang mit der Regierungsneubildung alle Wiener, alle Oesterreicher bei diesen festlichen Wochen engagieren. Nicht nur das Ausland und nicht nur die Wiener, denen durch Bezirksveranstaltungen eine reiche Fülle von Lokalem und Lokalpatriotischem geboten wird, sind zur Teilnahme eingeladen. Auch die Bundesländer und ihre Bewohner sollen in diesen Wochen ihre Hauptstadt von der angenehmsten Seite kennenlernen. Denn nicht „rot“ oder „schwarz" sind die Wiener Festwochen, sondern rotweiß — vielleicht sogar rotweißrot. So wenigstens verstehen w i r dieses freundliche Zeichen, das jetzt überall, auf freien Plätzen und vor den Theatern, an altehrwürdigen historischen Gebäuden und an den Gemeindebauten zu sehen ist: überall dort, wo früher, durch Jahrzehnte, nur eine Parteifahne im düstren Schmuck ihres Machtwillens prangte.

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