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Unsere Musikfeste
Niemand wird leugnen, daß die Wiener Festwochen in Idee und Verwirklichung aus den Musikfesten hervorgegangen sind, welche die Wiener Konzerthausgesellschaft seit 1947 periodisch veranstaltet hat. Aber ebenso wird niemand leugnen, daß diese Musikfeste ihre wahre internationale Bedeutung erst erlangten, als der Überbau der Wiener Festwochen mit seiner immer durchdachteren Konstruktion und seiner immer glänzenderen Fassade ihnen einen von Jahr zu Jahr tiefer auslotbaren geistigen Raum zur Verfügung stellte. Musikfeste, die nicht durch die mitwirkenden Künstler, sondern durch Anziehungskraft und Ausstrahlung ihr internationales Format erhalten, werden um so seltener, je häufiger Musikfeste überhaupt veranstaltet werden. Die Ansprüche des musikbegeisterten Publikums steigen fortwährend, und dies zwingt die Festivalveranstalter dazu, nur noch die Elite der Interpreten zu berücksichtigen, nur noch auf die Meisterwerke der Musilditeratur zurückzugreifen. Da nun aber diese Elite stets auf einen relativ kleinen Kreis von Künstlern beschrankt bleibt, und auch die Zahl der musikalischen Meisterwerke durch Neuschöpfungen und Neuentdeckungen nur ganz geringfügig zunimmt, ähneln die sich vermehrenden Musikfeste einander von Jahr zu Jahr immer mehr und verlieren, was sie an lokaler Bedeutung gewinnen, im gleichen Verhältnis an internationalem Format.
Wenn es der Wiener Konzerthausgesell-schaft gelungen ist, durch die von ihr veranstalteten Musikfeste eine internationale Bedeutung zu erlangen, die ihr nur von wenigen strittig gemacht wird, so verdankt sie dies, wie erwähnt, der Institution der Wiener Festwochen. Deren Überbau verleiht ihr eine zusätzliche Qualität: diejenige, musikalischer Baustein eines größeren, alle Künste umfassenden Ganzen zu sein. Auf den ersten Blick vermöchte dieser Umstand zu täuschen und zur Überlegung zu führen, daß es doch eine Bedeutungsminderung sei, nur Baustein, nur Teil, statt selbst ein einheitliches Ganzes zu sein. Allein, in der Kunst pflegen sich die einzelnen Teilgebiete infolge ihrer gegenseitigen Abhängigkeit nicht zu addieren, sondern zu potenzieren, und die künstlerische Summe des so Erreichbaren wird stets größer sein, als ginge jeder für sich seinen eigenen Weg. Das heißt nicht, daß die Wiener Konzerthaus-gesellschaft ihre Musikfeste nicht mehr aus eigener Initiative, aus eigener Kraft, mit eigenen Ideen veranstaltet. Sie ordnet sich ein, nicht unter. Das heißt, daß seit der Institu-tionalisierung der Wiener Festwochen über allen ihren künstlerischen Veranstaltungen, sichtbar oder unsichtbar, ein Motto schwebt: diesem gerecht zu werden, diesem einen Sinn zu geben (oftmals: einen tieferen Sinn), ist Sache derer, die für diese Veranstaltungen verantwortlich sind. Im Zusammenwirken für eine gemeinsame Idee fächern sich die Möglichkeiten des österreichischen Kulturlebens am eindrucksvollsten auf, und im Akt der Verwirklichung erweist dieses eine Potenz, die alljährlich in Ost und West mit bewunderndem Staunen quittiert wird.
1967, da das Festwochenmotto „Nachbarn an der Donau“ lautet, glaubt die Wiener Konzerthausgesellschaft, diesem Motto durch eine Aufführung des Gesamtwerkes von Gustav Mahler jenen tieferen Sinn geben, zu können. Mahler, der in Mähren Geborene, in Böhmen Aufgewachsene, in Wien Geformte, in Budapest Entdeckte, im Ausland Umjubelte und, nach zehnjähriger Operndirektion, aus Wien Vertriebene, der ebensosehr mit seinem Genie wie mit seinen Gegnern zu kämpfen hatte, ist wie wenige für den ehemals österreichischen Donauraum symbolisch. Wie dieser erlitt er ein österreichisches Schicksal, wie dieser wurde er erst nach seinem Tode in seiner ganzen Bedeutung erfaßt. Sein Werk spricht für sich selbst — doch ist es noch immer nötig, für ihn zu plädieren. Was die Wiener Konzerthausgesellschaft bei den bevorstehenden Wiener Festwochen mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln tatkräftigst zu tun beabsichtigt.
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