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Festwochen nur noch im Hinterhof?

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Eine Festwochenära ist zu Ende gegangen. Ulrich Baumgartner, seit 14 Jahren Festwochen-„Macher“, in denen er die Leiter magistratischer Beamtengunst Stufe um Stufe hinunter- gerutscht ist, nimmt dieser Tage endgültig seinen Hut. Und der neue Festwochenchef, Gerhard Freund, Stadthallenboß, stand bereit, für 1978 Festwochen seines Zuschnitts mit allerhöchster Sanktionierung bekanntzugeben. Er hat dieser Tage die Katze aus dem Sack gelassen. Wiener Festwochen 1978 - das wird heißen: Bekanntes, Populäres, Bilanzieren österreichischer Vergangenheit. Das Biedermeier bis 1848, Franz Schubert, ein paar internationale Gastspiele. Also ein Blick zurück, dem in den folgenden Jahren noch weitere „Blicke zurück“ folgen werden: nach Wien, als es noch „Herz der Donaumonarchie“ war, auf „Zerfall und neuen Anfang“ bis in die zwanziger und dreißiger Jahre, schließlich auf nationale, soziologische und sonstige Minderheiten …

Was Gerhard Freund jetzt als Festwochenkonzept und -bekenntnis ablegte, markiert für mich aber zugleich die Vorzüge, die man mehr denn je für Ex-Intendant Baumgartner verbuchen muß.

Freund wird sein Gemeindefestival auf prominenten Namen wie das Bol- schoiballett, auf populären Truppen und Produktionen und auf einem Kulturvorstoß bis in die letzten Hinterhöfe von Gemeindebauten und Randbezirke begründen. Den von Kultur bislang noch nicht Infizierten Schubert-Chöre frei Haus, genauer in den Hof, zu liefern, Kultur in die letzten Winkel dieser Stadt zu schleusen, auf Straßen und Plätzen zu Musik- und Literaturkonsum zu animieren, in bisher ungenützte Schlösser und Palais Leben zu bringen… Das alles sind Freund-Gedanken, die ich sehr positiv finde.

Aber an das Märchen, mit dem man all diese Aktionen motiviert, glaube ich nicht recht: daß in Wien Tausende und Abertausende nur unter „kultureller Schwellenangst“ leiden. Versuche, wie sie etwa im „Zentrum 22“, dem funkelnagelneuen Theater jenseits der Donau, gemacht wurden, haben gezeigt: Es geht nicht um Schwellenangst, sondern um Qualität. Gastspiele wie die des interessanten Male- got-Balletts oder der erfolgreichen Linzer „Godspell“-Produktion waren Hits. Man hätte sie auch im „Zentrum 22“ wochenlang en suite spielen können. Was aber nur heißt, daß das Kulturinteresse etwa der Bewohner von Donaustadt, Simmering oder Liesing sprunghaft steigen würde, wenn sie in ihrer Umgebung ein Theater mit interessanten Produktionen hätten, und daß ihr kulturelles Desinteresse vor allem dadurch verursacht wurde, daß sich Jahrzehnte kein für Kultur Verantwortlicher um diese Bezirke je geschert hat. Daß man Kultur eben nicht schmackhaft gemacht hat.

Und erst recht kann und will ich nicht glauben, daß diese Probleme

Festwochenprobleme sind. Denn sollen plötzlich Festwochen aufholen, was Politiker jahrzehntelang verschlampt haben, weil von ihnen Kulturpolitik bis etwa 1970 immer nur als Sport- und Schulpolitik mißverstanden wurde? Das sollte der neue Fest- wochen-Chef jedenfalls noch einmal gründlich überdenken. Denn bis jetzt markierte er nur, daß er nicht gesonnen ist, jene mutige und natürlich un- bedankte Pionierarbeit fortzusetzen, die Baumgartner auf sich genommen hatte. Freund will offenbar nicht in der Welt herumreisen, nicht mehr die interessantesten Truppen holen und in Wien einander gegenüberstellen. Nicht mehr neue Formen, etwa des Theaters oder des Balletts, hier erproben …

Gerade das war aber Baumgartners Stärke: Wir verdanken ihm interessante Nachtstudios und sensationelle Gastspiele in der Arena - ich denke nur an Peter Brooks „The Iks“, an den Grand Magic Circus, oder an seine Versuche, ein Austro-Musical zu kreieren -; wir verdanken ihm retrospektiv bedeutende Ballettfestivals. Wenn es galt, Unbekanntes aufzuspüren und Neues zu präsentieren, war er der Mann der ersten Stunde. Baumgartner hat immer Wiens Informationsrückstände aufzufangen versucht, wettzumachen getrachtet, was hier das ganze Jahr über verschlafen wird. Manches ist ihm auch krass danebengegangen. Aber hat nicht bekanntlich der am meisten zu verlieren der wirklich etwas wagt?

Sein Festwochen-Bekenntnis war, daß ein Festival die richtige Mischung aus exklusivem Internationalem und Charakteristischem aus Wien sein müßte. Beides ist jetzt durch Gerhard Freund gründlich in . Frage gestellt. Zugunsten des Populären, der Breitenwirkung, einer kulturellen Basisarbeit, die nicht Festwochenaufgabe sein kann und die allzu leicht heißen könnte: Effekthascherei statt wirklich mutiger Information.

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