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Das Ende Alt-Wiens?

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Wien ist mehr denn je in Gefahr, zur Provinzstadt demoliert zu werden: Demolierer rotten sich zusammen, Alt-Wien aus dem Weg zu räumen: Schon in den nächsten Monaten soll das Raimund-Haus auf der Mariahilferstraße fallen und einem holländischen Monsterprojekt Platz machen, im Schottenringviertel ist ein Fraenkel-Palais so gut wie aufgegeben, das Barockjuwel des Palais Harrach dämmert einer ungewissen Zukunft entgegen. Die Bawag will — wie man hört — das berühmte barocke Hochholzerhaus auf der Tuchlauben wegreißen lassen. Und Wiens ältestes gotisches Haus, das „Zum Großen Jordan”, Judenplatz 2, mitsamt dem anschließenden Eckhaus, in dem Grill parzer wohnte, soll nach dem Willen des Eigentümers, Benjamin Schreiber, Präsident von Agudas Israel, abgebrochen werden. Abgeschlagene Palastfassaden, geschmacklose neue Portale in Kunststein und Glas an Ringstraßenpalästen, unharmonisch in alte Architekturensembles eingefügte, schlechte Neubauten, ein aller Atmosphäre beraubter Stadtkern, ein grauer Bezirkekranz zwischen Ring und Gürtel… Das wird Wien Anno 2000 sein! Der Demolierung Wiens zur Großstadt um die Jahrhundertwende folgt nun die Zertrümmerung alten Kulturgutes im Zeichen des penetrantesten, aber geschickt getarnten Provinzialismus.

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Wien ist mehr denn je in Gefahr, zur Provinzstadt demoliert zu werden: Demolierer rotten sich zusammen, Alt-Wien aus dem Weg zu räumen: Schon in den nächsten Monaten soll das Raimund-Haus auf der Mariahilferstraße fallen und einem holländischen Monsterprojekt Platz machen, im Schottenringviertel ist ein Fraenkel-Palais so gut wie aufgegeben, das Barockjuwel des Palais Harrach dämmert einer ungewissen Zukunft entgegen. Die Bawag will — wie man hört — das berühmte barocke Hochholzerhaus auf der Tuchlauben wegreißen lassen. Und Wiens ältestes gotisches Haus, das „Zum Großen Jordan”, Judenplatz 2, mitsamt dem anschließenden Eckhaus, in dem Grill parzer wohnte, soll nach dem Willen des Eigentümers, Benjamin Schreiber, Präsident von Agudas Israel, abgebrochen werden. Abgeschlagene Palastfassaden, geschmacklose neue Portale in Kunststein und Glas an Ringstraßenpalästen, unharmonisch in alte Architekturensembles eingefügte, schlechte Neubauten, ein aller Atmosphäre beraubter Stadtkern, ein grauer Bezirkekranz zwischen Ring und Gürtel… Das wird Wien Anno 2000 sein! Der Demolierung Wiens zur Großstadt um die Jahrhundertwende folgt nun die Zertrümmerung alten Kulturgutes im Zeichen des penetrantesten, aber geschickt getarnten Provinzialismus.

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Der Geschmack traditionsloser Mittelstädte hat sich hier etabliert, zerstört Wiens kostbares altes Stadtbild, verwüstet es sinnlos. Verkehr und kurzsichtig betriebenes Proflt- geschäft, nur zu oft von ausländischen Konzernen initiiert, sind das Maß aller Dinge geworden. Ob die Fremdenverkehrsattraktion Wien dergestalt auf ihre Gäste noch ihren vielgerühmten Reiz ausüben wird, wenn erst einmal der Touristen- werbeslogan „Wien in fünf Stunden” bittere Realität geworden ist? Denkmalpfleger, Kunsthistoriker, Kunstkenner machen zeitweise durch Alarmschlagen und Proteste aufmerksam, daß wieder ein kostbares Barockhaus gefallen ist, wieder ein alter Platz verschandelt wurde. Was hat es genützt! Das Barockhaus Wollzeile 7 mußte einer Garage weichen. Ob es je wieder — wie versprochen — rekonstruiert wird? Das Palais Kaunitz-Esterhäzy fiel Kulturbarbaren in die Hände, in der Wohllebengasse, Prinz-Eugen-Straße, Argentinierstraße hat das übelste Kulturgesindel gewütet. Halbe Palais wurden dort abgerissen, Reste blieben bestehen, Fassaden wurden mutwillig abgekratzt, eine der interessantesten Eauzonen des späten Jahrhunderts wurde systematisch devastiert. Die Liste entfernter Baudenkmäler wird allmählich beängstigend …

Aber wer ist heute am Abbruch alter Häuser interessiert?

Meist Hauseigentümer, denen ihr bauliches Eigentum nicht genügend lukrativ scheint, und natürlich Architekten. Längst hingegen nicht mehr die Gemeinde Wien, die — im Gegenteil — nun bereits Fassadenaktionen einleitete, um das Gesicht Widns wenigstens teilweise zu retten. Sie bemüht sich mehr als früher, Ensembles zu erhalten, fragt immer wieder beim Bundesdenkmalamt an, ob Rettung sinnvoll sei? *

Gespannte Verhältnisse bestehen zwischen den Denkmalpflegen! und Architekten, Bauherrn, Versicherungen und Banken, die oft sogar die bedeutendsten Baudenkmäler ohne Rücksicht auf Wert und Stadtbild opfern wollen. Denkmalpfleger wissen von Wettlaufen um Demolierung oder Uinterschutzstellung zu berichten.

Das Denkmalamt muß permanent „Feuerwehr spielen”, sagte 1969 Doktor Schmeler, als er noch Landeskonservator des Burgenlandes war. Und das hat sich seither nur noch verschlimmert: „Steigende Konjunktur treibt Bauherren und Architekten oft dazu, die bedeutendsten Leistungen der großen Wiener Architekten von einst auszurotten.”

Für das Bundesdemkmalamt bedeutet das ein ständiges Kontrollieren aller neuralgischem Punkte, wo Baudenkmäler, die noch nicht geschützt sind, „verunsichert” werden könnten. Freilich war man früher viel zu nachgiebig: das berühmte Geyling- Haus in der Windmühlgasse hätte nicht fallen dürfen, und so manches andere Baukunstwerk hätte ebenfalls bewahrt werden müssen.

Besonders schwierig ist das Erhalten ganzer Baugruppen, sogenannter Ensembles, die bis jetzt auf Grund der Gesetzeslage nicht en bloc zu schützen sind. Es gibt zwar im Bundesdenkmalamt imponierende Bezirkskarten, auf denen genau eingezeichnet ist, welche Objekte bereits geschützt sind, und welche wert sind, erhalten zu werden. Aber es ist kostspielig und bedeutet enorme Arbeit, bei jedem Objekt den kunsthistorischen Wert oder den Wert für ein ganzes Bauensemble sowie Erhaltungszustand und Samierungskosten festzustellen. Man kommt da tat sächlich viel zu langsam vorwärts. Nach dem Muster des Blutgassen- und Schönlatemgaseenviertels müßten längst das Spittelbergviertel, die gesamte Innenstadt, Villenviertel in Döbling, die Prinz-Eugen-Straße und manche andere Zone geschützt werden.

Welche Zonen sind tatsächlich zu schützen, wenn man nicht zugleich das organische Leben einer Stadt unterbinden will?

Vor allem die Innenstadt, deren historischer Charakter gewahrt werden muß. Dabei muß unterschieden werden zwischen geschlossenem Baugebiet mit vorwiegend künstlerisch bedeutsamen Objekten, den Ensembles, und einzelnen Altfassaden, die zumindest erhaltenswert sind. Der zweite Komplex sind die Ort9kerne, also Nußdorf, Alt-Grinzing, wo eben mit systematischen Instandsetzungen begonnen wurde, ferner Salmannsdorf, Altmannsdorf oder das Kahlenbergerdorf, wo mit Unterstützung durch die Fassadenaktion vierzig Häuser hergerichtet wurden.

Umfangreich ist auch die Arbeit an den Bezirken innerhalb des Gürtels: Für dieses Gebiet wurden bisher genaue Pläne für den 7., 8. und 9. Bezirk erstellt. Für die anderen fehlen noch die Details. Schließlich ist noch ein Sonderkomplex moderne Architektin’ zu betreuen, der alle Schöpfungen Otto Wagners, Villenensembles, wie im Cottageviertel, Privatbauten von Loos, Hoffmann, den berühmten Jugendstilarchitekten umfaßt.

Es ist vor allem ein Mangel an Kulturgewissen, der heute Eigentümer und Architekten so barbarisch über Alt-Wien herfallen läßt. Früher wollten möglichst viele ihre Häuser unter Denkmalschutz stellen lassen, heute, in einer Periode des Wohl-

stands, ist man nur noch am Geschäft interessiert.

Die Schuld an dieser ganzen Misere tragen freilich immer mehr Stadtverwaltung und Bundesregierung. Denn die gerade jetzt wieder aufflammende Demolierungswelle ist vor allem für sie eine Blamage sondergleichen: Sie kommen letztlich in den Ruf, ihre Kulturgüter von jedem beliebigen Spekulanten verschleudern zu lassen. Und der Gesetzgeber kann sich nicht dem Vorwurf entziehen, daß er zusieht, welche „Kulturkatastrophe” das geltende Denkmalschutzgesetz allmählich heraufbeschwört. Aber ist es nicht irgendwo typisch: ein Bürger tum in seiner Spätzeit hat sein kulturelles Gewissen verloren und rottet seine eigene Vergangenheit aus … ? Zunehmende Nivellierung befällt Wien, die Verwüstung ist bald nicht mehr aufzuhalten.

Aber darf das alles verwundern, wenn wir auf Grund der bestehenden Gesetze lediglich Baudenkmäler schützen können und nicht ganze Ensembles. Allein die viel zu kleinen Denkmalschützerteams sind längst nicht imstande, diese ungeheuren Arbeitsprozeduren mit der nötigen Schnelligkeit durchzufübren. Man wird bald nur noch retten können, was gerade noch zu retten ist.

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