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Später Bescheid

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Die Spitzhacke hat wieder zugeschlagen — und ein Alt-Wiener Ensemble ist nicht mehr. Mit Uberstunden und fetten Trinkgeldern für die Abbrucharbeiter wurde die Demolierung des Hauer-Hauses in der Wiener Josefstadt noch rasch vor Zustellung des Denkmalschutzbescheides ins Werk gesetzt.

Kein Ausnahmefall, sondern eher alltägliche Routine. Der lästige Denkmalschutz, der dem großen Geschäft im Weg ist, wird unterlaufen, sei es, daß man durch raschen Abbruch einer verspäteten Unterschutzstellung zuvorkommt, sei es, daß das Objekt fachmännisch auf Baufälligkeit „präpariert“ wird, so daß wegen Unmöglichkeit der Erhaltung schließlich der Denkmalschutz aufgehoben werden muß. Eine lästige Verzögerung, gewiß, für die Bauspekulation, aber ein kalkulierbares Risiko...

Diesmal scheint man sich verkalkuliert zu haben. Bürgermeister Gratz versichert, er werde auf der Wiedererrichtung der alten Fassade bestehen. Dies bedeutet ein peinliches Verlustgeschäft für die Bauherrschaft, aber es ist höchste Zeit, daß endlich einmal ein Exempel statuiert wird, damit künftig der Denkmalschutz doch ein wenig ernster ge-norhmen werden möge.

Denn Wiens und ganz Österreichs kulturhistorischer Bestand hat durch den mangelnden Ernst beim Denkmalschutz schon schwersten, unwiederbringlichen Schaden erlitten, und zahlreiche künstlerisch hochwertige Einzelobjekte sind bedroht, noch mehr die Ensembles, sei es durch die Planierraupe, sei es durch unpassenden Zuwachs in unmittelbarer Nachbarschaft.

Es ist daher zu hoffen, daß mit der Bennogasse ein Präjudiz geschaffen wurde, das auch für alle anderen Fälle Modellcharakter hat, in denen auf ähnliche Weise faits accomplis geschaffen werden sollen, und daß der Eifer des neuen Bürgermeisters auch über die Gemeinderatswahlen hinaus anhält. Schlimm wäre es hingegen, wenn der Fall Bennogasse nur als Alibi dienen sollte, das publizistisch mächtig aufgebläht wird, damit in seinem Schlagschatten in aller Ruhe kulturhistorisch viel bedeutendere Objekte und Ensembles kassiert werden können.

Der Wille zum Denkmalschutz wird künftig hoffentlich nicht nur ungeliebte ausländische Baufirmen wie in der Bennogasse — treffen, sondern auch im Rathaus gut angeschriebene Genossenschaften und nicht zuletzt die Gemeinde Wien selbst sowie andere öffentliche Stellen, auf deren Konto die Demolierung so manches städtebaulichen Kleinods geht. Mögen die Instandsetzungsaufträge der Baupolizei in Hinkunft auch dann rechtzeitig eintreffen, wenn höheren Orts Interesse an planmäßigem Verfall besteht; und möge der Denkmalschutz in solchen Fällen dann nicht mehr den „höheren Interessen der Allgemeinheit“ weichen müssen, die in mindestens 90 Prozent der Fälle so zwingend und ortsgebunden nicht sind, wie man amtlicherseits behauptet.

Ganz unbegründet ist jedenfalls der Verdacht nicht, daß die übermäßig langen Geburtswehen des Altstadterhaltungsgesetzes nur dem Zeitgewinn dienen sollen, damit inzwischen noch einige die Planung

störende Ensembles verschwinden können. Als Alarmzeicheri mag gelten, daß Bezirksvorsteher Heinz in nachahmenswerter . Weise nun kurzerhand den ganzen 1. Bezirk zur Schutzzone erklärte, um der Demo-lierungswut „fünf Minuten vor zwölf nicht nur privater Spekulanten, sondern auch öffentlicher Stellen zuvorzukommen.

Ein arger Schönheitsfehler des Falles Bennogasse besteht in dem allzu späten Erlaß des Denkmalschutzbescheids, was bereits den Verdacht laut werden ließ, es sei in diesem Falle gar nicht so sehr um kulturelle Interessen gegangen, sondern darum, einem unliebsamen Grundkäufer Schwierigkeiten zu machen. Wie immer dem sei, das Denkmalamt allein trifft keine Schuld. An dem guten Willen seiner Mitarbeiter ist nicht zu zweifeln, aber es ist personalmäßig und finanziell einfach nicht imstande, alle schutzwürdigen Häuser rechtzeitig zu erfassen.

Ist es jedoch wirklich unmöglich, die paar Millionen in den öffentlichen Haushalten des Bundes und der Gebietskörperschaften locker zu machen, die für eine effizientere Arbeit des Denkmalamtes notwendig wären? Gerade dieses hätte kaum Personalsorgen — denn es gäbe genug Kunsthistoriker, die froh wären, in ihrem Fach arbeiten zu können und nicht einem Verlegenheitsberuf nachgehen zu müssen. Gerade diese ungewohnte Sparwut im kleinen bei unseren sonst so ausgabefreudigen öffentlichen Händen läßt darauf schließen, daß mancherorts der kurze Atem des Denkmalamts gar nicht unerwünscht ist.

Mit der Unterschutzstellung allein ist es auch nicht getan, solange keine Handhaben bestehen, die Erhaltung der Gebäude zu erzwingen und in der Praxis auch möglich zu machen, solange mächtigere Behörden dem ohnmächtigen Denkmalamt keine Schützenhilfe leisten, sondern dieses eher unter Druck setzen, damit dessen ästhetische Sensibilität nicht allzusehr den „Gang des Fortschritts“ hindere.

Die systematische Förderung des Verfalls denkmalgeschützter Objekte wird oft auch durch sehr subtile Mittel bewirkt, etwa durch Verwendung des Gebäudes in einer — um es vorsichtig auszudrücken — den Verschleiß fördernden Weise. Seit neuestem ist es beliebt, gerade dort Massenquartiere für Gastarbeiter einzurichten. Da diese Bauwerke für solche Zwecke beileibe nicht geeignet sind, verschlechtert sich dann zumeist ihr Zustand rapide — und daran sind gewiß nicht die armen Ausländer schuld, die man hineinpfercht. Auch gegen solche Methoden müßte es Handhaben geben.

So erfreulich die harte Haltung des Wiener Bürgermeisters — sofern er sie durchhält — in der Frage Bennogasse ist, so ist gerade dieser auch ein Beispiel dafür, wie man derartige Fälle nicht handhaben soll. Denn mit dem Denkmalschutz dann zu beginnen, wenn nur mehr ein trauriger Rest der Fassade steht, mag manchem echten Anhänger einer „liebenswert erhaltenen“ Stadt etwas spät erscheinen. Hoffen wir, daß dies nur das Erbe einer überwundenen Epoche der Wiener Stadtgeschichte ist, und das in Hinkunft rechtzeitig eingegriffen werden wird.

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