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Progressive Demolitis

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Der Delogierungsskandal wird immer größer. Brutal machen sich die Abbruchspekulanten die Bestimmung des Mietengesetzes zunutze, wonach der vorher so perfekte Mieterschutz im Falle der Demolierung erlischt. Die Regierung tut entsetzt — aber war das Ganze nicht vorauszusehen? (Siehe hiezu auch FURCHE Nr. 14 vom 6. April 1974.)

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Der Delogierungsskandal wird immer größer. Brutal machen sich die Abbruchspekulanten die Bestimmung des Mietengesetzes zunutze, wonach der vorher so perfekte Mieterschutz im Falle der Demolierung erlischt. Die Regierung tut entsetzt — aber war das Ganze nicht vorauszusehen? (Siehe hiezu auch FURCHE Nr. 14 vom 6. April 1974.)

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Die Kumulierung der Kündigungen hat vor allem zwei Gründe: Seit Jahren redet die Regierung von einem neuen Mietengesetz, worin verankert werden soll, daß auch bei Hausabbruch dem Ausquartierten ein Ersatzobjekt zur Verfügung gestellt werden müsse. Daß dadurch bei den Abbruchspekulanten — ob privat oder „gemeinnützig“ — eine Torschlußpanik losbricht, war zu erwarten. Noch so viel zu kündigen wie möglich, scheint die Parole zu sein.

Beinahe hat man den Eindruck, als habe die Regierung diesen Effekt beabsichtigt, einerseits, um den Demolierern eine Gnadenfrist zu gewähren, anderseits, um die Notwendigkeit ihrer Mietenreform der Bevölkerung recht drastisch vor Augen zu führen.

Diese Argumentation hat freilich einen falschen Zungenschlag. Mit Recht hat daher der Wiener Oppositionsführer Hahn im Gemeinderat darauf hingewiesen, daß der ganze Delogierungsskandal rasch und einfach erledigt werden könnte. Es genügte, die Ziffer 4 im Absatz 2 des 19 aus dem Mietengesetz zu eliminieren, und schon wäre den Spekulanten ein Riegel vorgeschoben. Ein solcher Beschluß könnte im Parlament ohne lange Debatte sicherlich einstimmig herbeigeführt wer-, den. Deswegen die ganze dubiose Mietennovelle der Regierung mit allen ihren verfassungsmäßig bedenklichen Bestimmungen unbesehen und überstürzt zu beschließen, besteht wirklich kein Anlaß.

Der zweite Grund besteht darin, daß auf Grund der sozialistischen Mietenpolitik immer mehr Hausbesitzer aufgeben und ihre Objekte an die Abbruchspekulanten verschleudern. Denn wenn eine oberflächliche Berichterstattung immer von „den“ Hausherren spricht, welche die armen Mieter hinauswerfen, so stellt das eine Simplifizierung der Situation dar und provoziert geradezu falsche Maßnahmen. Tatsächlich werden hier nämlich zwei grundverschiedene soziale Typen durcheinandergebracht: Der traditionelle Hausbesitzer, der seine Ersparnisse zwar mäßig verzinst, aber sicher anlegen und sein Haus erhalten möchte, und der Abbruchspekulant, den man geradezu als Anti-Hausherrn bezeichnen könnte.

Die Unklarheit, welche in der Öffentlichkeit in dieser Frage herrscht und welche von gewissen Kreisen gründlich ausgenützt wird, führt nun zu der grotesken Situation, daß unter Berufung auf die Delogierungsmisere von der Regierung Maßnahmen forciert werden, die gar nicht die Abbruchspeikulanten treffen, sondern die traditionellen Hausbesitzer, die infolgedessen mehr und “mehr resignieren und ihre Objekte den Abbrucbspekulanten überlassen, wodurch das Übel erst so richtig entsteht, das die Regierung zu bekämpfen vorgibt.

Wer die Zeitungsberichte verfolgt hat, konnte dies genau beobachten. Die Delogierer sind immer die gleichen Personen — es handelt sich in Wien um ein paar Baumeister und Realitätenvermittler und um einen Großinstallateur —; ihre Namen' scheinen immer wieder auf. Ein Un-informierter könnte den Eindruck gewinnen, daß ihnen halb Wien gehört. Machte er sich allerdings die Mühe, im Grundbuch nachzusehen, er würde sehr rasch herausfinden, daß die delogierungswütigen „Hausherrn“ meist erst seit wenigen Jahren Eigentümer der betreffenden Objekte sind.

Sobald der Besitzerwechsel vollzogen ist, passiert etwas Merkwürdiges: gut erhaltene, solide Häuser, die noch leicht 100 Jahre hätten stehen und so manchen modernen Bau hätten überleben können, werden auf einmal baufällig. Substanzzerstörende Schäden treten auf, und die Baupolizei, die sonst mit oftmals geradezu schikanösen Bauaufträgen wegen Bagatellen schnell zur Hand ist, wird erstaunlich inaktiv. In wenigen Jahren sind die Häuser demolierungsreif.

Der Weizen der Abbruchspekulanten blühte in den letzten Jahren. Speziell das neue Umsatzsteuergesetz, das — im Gegensatz zu den Regelungen in den meisten anderen europäischen Staaten — in Österreich auch die Mietzinse mit Mehrwertsteuer belastet, deren Überwälzung auf den Mieter aber infolge einer Ausnahmeregelung dem Hauseigentümer untersagt wird, brachte eine empfindliche Komplizierung der Hausverwaltung und zugleich noch eine weitere Ertragsschmälerung und dürfte viele Hauseigentümer zum Verkauf veranlaßt haben — speziell da noch dazu die geplante sozialistische Mietenreform endgültig und total jeden Ertrag aus dem Hausbesitz beseitigen wird.

Die Abbruchspekulanten, welche angeblich durch das neue Mietengesetz getroffen werden sollen, lachen sich ins Fäustchen, bewirkt dieses doch, daß ihnen in Zukunft noch mehr Häuser zu noch niedrigeren Preisen zufallen werden und daß ihr Geschäft noch größer wird. Denn daß sie Mittel und Wege finden werden, die Ersatzwohnungsbestimmung zu umgehen oder die Kosten zu überwälzen, dessen können wir sicher werden. Auch wind ihr wachsender Hausbesitz ihnen die Möglichkeit bieten, die Altmieter von Abbruchobjekt zu Abbruchobjekt, jeweils womöglich in einem ganz anderen Stadtviertel, umzusiedeln und sie allmählich auf den Status von Nomaden zu reduzieren.

Wir können sicher sein, daß das neue Mietengesetz dem Dernolie-rungsunfug nicht Einhalt gebieten, sondern ihn nur forcieren wird, denn die neuen Hausherrn, die Abbruchspekulanten, denen mehr und mehr Objekte in die Hände fallen, werden sich ganz bestimmt nicht mit der endgültig zum Groschengeschäft gewordenen Althausvermietung zufriedengeben. Ob uns nun die Tatsache sympathisch ist oder nicht: jede Maßnahme gegen den traditionellen Hauseigentümer spielt den neuen Antihausherrn in die Hände.

Gerade auf Zerstörung des traditionellen Hausbesitzes, auf Verhinderung der Althauserhaltung zielt der gegenwärtige konzentrische Angriff der Sozialisten durch Mehrwertsteuer, Assanierungsgesetz und Mietenreform hin. Grund hiefür ist die sozialistische Demolierungsideologie, welche gerade in jenem, der das Althaus erhalten, bewahren, womöglich gar modernisieren möchte, den eigentlichen Feind sieht. In einer Zeit, in der die Bauleistung infolge der Überforderung von Budget und Arbeitsmarkt zurückgeht, in der die Baukosten so gestiegen sind, daß die Neuwohnungen unerschwinglich werden, und Österreich bald den Weg von Deutschland und Schweden gehen wird, wo viele tausend moderne Wohnungen wegen ihrer hohen Preise leerstehen und unanbringlich sind, in einer Zeit, in der immer mehr Staaten die Notwendigkeit der Althaussubstanz-Er-haltung erkennen, feiert die Demolierungsideologie in Österreich erst ihre größten Triumphe. Die progressive Demolitis, die durch die sozialistische Politik — trotz scheinheiliger gegenteiliger Beteuerungen — erst recht in Schwung gebracht wird und den neuen Anti-Hausherrn Vorschub leistet, gefährdet nicht nur tausende Altmie'ter, sondern bürdet dem Steuerzahler in einer Zeit des übermäßigen Steuerdrucks und in-flationsfördernder Ausgabenexplosionen neue unabsehbare Lasten auf.

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