6828103-1974_23_04.jpg
Digital In Arbeit

Verfassungsänderung auf kaltem Weg?

Werbung
Werbung
Werbung

Die geplante *und heftig urgierte Mietrechtsänderungsnovelle ist ein Musterbeispiel sozialistischer Gesell-schaftsänderungstaktik. Einige wünschenswerte Maßnahmen, die propagandistisch gehörig herausgestrichen werden, sind in einen Wust verfassungsrechtlich bedenklicher und in ihren Konsequenzen auch für den Mieter gefährlicher Maßnahmen verpackt. Dann wird die dringende Notwendigkeit der wünschenswerten Maßnahmen hinausposaunt und ihretwegen die rascheste Verabschiedung des gesamten legistischen Konglomerats gefordert. Wer gegen ein so pauschales Vorgehen Bedenken hat, der wird als Verhindererer der darin verpackten wünschenswerten Maßnahmen diffamiert. Auf diese Weise soll die Opposition moralisch unter Druck gesetzt werden.

Es wird für die Unterhändler der Opposition im Rechtsausschuß daher vor allem darauf ankommen, den Komplex aufzubrechen, die echten und wichtigen Sozialmaßnahmen einer Beschlußfassung zuzuführen und über den Rest erst einmal eingehend im Detail zu verhandeln. Die Opposition würde sich freilich leichter getan haben, wenn sie ein sachlich durchaus berechtigtes, ja sogar notwendiges Junktim zwischen Stadterneuerungsgesetz und Mietengesetz hergestellt hätte. Jetzt bleibt nur zu hoffen, daß die sozialistischen Unterhändler dem Gewicht sachlicher Einwände doch noch zugänglich sind und daß sie den sehr fundierten Bedenken Rechnung tragen, die teilweise auch aus ihren eigenen Reihen vorgetragen werden.

Das Gesetz betrifft nämlich nicht nur Mieter und Hauseigentümer, sondern ist von gravierender Bedeutung auch für die Versicherungsund Kreditwirtschaft, da speziell Versicherungsgesellschaften und Sparkassen einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Reserven in Miet-häusern angelegt oder die ihnen anvertrauten Gelder in Hypotheken auf Miethäuser vergeben haben. Eine totale Entwertung des Althausbesitzes, wie sie die sozialistische Mietennovelle unausweichlich mit sich bringt, wird sich zweifellos auf

die Gebarung der betroffenen Institute auswirken und nicht ohne Folgen für die Versicherungsprämien bleiben.

Positiv an der Mietennovelle sind die Verbesserung des Schutzes für abbruchbedrohte Mieter und die geplanten Beihilfen für finanzschwache Mieter im Fall eines -7-Verfah-rens. Allerdings ist die finanzielle Bedeckung dieser Maßnahmen doch ein wenig problematischer als es in dieser von wirtschaftlichen Überlegungen vollkommen unbelasteten Novelle zum Ausdruck kommt, was sich in der Praxis bald — sehr zum Nachteil der direkt Betroffenen sowie auch der gesamten Steuerzahler — herausstellen wird.

Alle übrigen Bestimmungen bedeuten nur die totale Eliminierung jeden Ertrags und jeden Verfügungsrechts für die Eigentümer. Manches davon erscheint — wenn auch auf rechtlich bedenklicher Basis — auf den ersten Blick mieterfreundlich, geht aber vielfach von falschen Voraussetzungen aus und wird daher angesichts der tatsächlichen Situation illusorisch oder wird so viele Nebenwirkungen haben, daß die scheinbaren Vorteile bald dubios sein werden.

Ein besonderes Novum ist auch, daß die nach 1967 geschaffenen Räume und die Eigentumswohnungen — auch wenn die öffentlichen Darlehen zurückbezahlt wurden — in den Mieterschutz einbezogen werden. Dies bedeutet einen Wortbruch gegenüber allen jenen, die im Vertrauen auf das derzeitige Gesetz aus privaten Mitteln Wohnraum neu geschaffen haben. Damit muß jede private Wohnbautätigkeit, die über die Deckung des Eigenbedarfs hinausgeht und die angesichts der prekären öffentlichen Finanzlage so wünschenswert wäre — definitiv zur Gänze lahmgelegt werden. Der Griff nach den Eigentumswohnungen läßt außerdem schon rudimentär erkennen, daß die sozialistische Anti-eigentumspolitik nicht bei den ungeliebten Althausbesitzerm stehen bleiben wird, sondern daß offenbar immer weitere Kreise auf der Abschußliste stehen.

Das gravierendste, wiewohl am wenigsten beachtete Faktum der Mietennovelle ist aber, daß hier ein massiver Versuch unternommen wird, die Verfassung zu unterlaufen, mit einfachen Gesetzen eine Defacto-Verfassungsänderung herbeizuführen. Sollte dies an Hand eines so emotionsgeladenen, der sachlichen und rechtlichen Überlegung weitgehend entzogenen Gegenstandes, wie des Mietrechts gelingen, dann wäre ein Präjudiz geschaffen, mit dessen Hilfe nach und nach nicht nur die Eigentumsrechte, sondern auch Frei-heits- und Menschenrechte ausgehöhlt werden können. Hier haben wir ein Pendant zur Novellierung des Abtreibungsparagraphen: Wie hier die Menschenrechte ganz allgemein verletzt wurden, so dort die Verfassungsgarantien, was beides darauf hinausläuft, den staatsbürgerlichen Schutz fragwürdig zu machen, den Menschen total dem Staat und den Institutionen auszuliefern.

Diese fundamenale Problematik sollte nicht aus Opportunismus und durch Verzettelung in Detailfragen aus dem Auge verloren werden. Hier geht es um die prinzipielle Frage, ob die verfassungsmäßige Eigentumsgarantie nur mit einem Verfassungsgesetz — also mit Zweidrittelmehrheit — außer Kraft gesetzt werden kann oder ob dies auch mit einem einfachen Gesetz auf kaltem Weg möglich ist, indem Ertrag und Verfügungsgewalt weitgehend — und zwar nicht nur während einer vorübergehenden Notsituation, sondern auf Dauer — eliminiert werden, Eigentum zu einem leeren Futteral ohne Inhalt wird. Gelingt es den Sozialisten, hier einen Präzedenzfall zu schaffen, so können wir sicher sein, daß auf die gleiche Weise künftig auch andere verfassungsmäßig garantierte Rechte — und zwar nicht nur solche des Eigentums — ausgehöhlt werden. Wir sollten nicht ungewisser Vorteile willen, welche die sozialistische Gesetzesnovelle dem einen oder anderen bringen mag, sichere Nachteile für die Allgemeinheit eintauschen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung