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Das Wohnungseigentum im Wiederaufbau

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Sehr oft ist nicht der Reaktionär, dessen Eigensinn und Voreingenommenheit ihn sofort verraten, der gefährlichste Gegner sozialen Fortschrittes, sondern der doktrinäre Fortschrittliche, der vor den wirklichen Schwierigkeiten seiner Problematik die Augen verschließend, in sich und seinen Anhängern Illusionen erweckt, die unbedingt zu schweren Enttäuschungen und Katastrophen führen müssen.

Michael Roberts, „Die Erneuerung des Westen“

Im November vorigen Jahres veröffentlichte ich in den von Dr. A. Missong herausgegebenen „österreichischen Monatsheften“ unter dem Tited „Probleme städtischer Wohnungspolitik“ eine Auseinandersetzung, in der ich auch die Erneuerung der gesetzlichen Geltung des Wohnungs- und Stockwerkseigentums zur Diskussion stellte. In ihrer Nummer vom 15. April hat „Die Furche“ ausgehend von bevölkerungspolitischen Erörterungen auch der rechtlichen Wiederherstellung des Wohnungseigentums Ausführungen gewidmet, die mit dem Satze schlössen: „H iersteht eine kon-' struktive Idee erster Ordnung vor unserer Öffentlichkeit.“

Vieleicht hatte niemals diese Idee eine so große Kraft und innere Wahrheit als heute, da wir nach den Mitteln und Methoden Ausschau halten müssen, wie am besten die

großen Kriegszerstörungen an den Wohnhausbauten unserer Städte und ihre Folgen, die gesteigerten Wohnungsnöte überwunden werden können.

Beachten wir zunächst die Rechtslage: 'In Österreich gab es ein Stockwerkseigentum bis zur Neuanlegung der Grund-büdier durch das Gesetz vom 30. März 1879 (RGBl. 50), das die Teilung nach Stockwerken für die Zukunft absdiafftc, und mit einer Ausnahme für Südtirol, wo das Verbot des Stockwerkseigentums erst im Gesetz vom 27. April 1910 erfolgt. In merkwürdigem Widerspruch zu dieser Aufhebung sagte eine Stelle ün Motivenbericht der Gesetzesvorlage: „Die physische Häuserteilung kommt in Italienisch-Tirol ungemein häufig vor; in den Städten bildet sie eine — wiewohl nicht seltene — Ausnahme, auf dem Lande die Regel.*'

Es muß ausdrücklich hervorgehoben werden, daß die Ausschaltung der Rechtsform des Stockwerkseigentums im deutschen und österreichischen Recht lediglich auf rechtstheoretische und nicht auf wirtschaftspolitische Gründe zurückzuführen war. Wie Hof rat Professor Dr. Klang anläßlich derersten Plenarversammlung des 33. deutschen Juristentages zu Heidelberg im Jahre 1924 erinnerte, ging die Diskreditierung der Rechtsform des Stockwerkseigentums von Savigny aus, der sie mit dem römisch-rechtlichen Grundsatze „Superficies solo cedit“ für unvereinbar hielt. Es ist jedoch bezeichnend, daß sich diese Rechtsform gerade in den romanischen Ländern, in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal erhielt und das Wohnungseigentum durch ein im Jahre 1934 erlassenes Gesetz in Italien sogar noch in großzügiger Weise und mit bedeutendem Erfolg ausgebaut wurde und zu dem großen Aufschwung der Bautätigkeit in einem Großteil der italienischen Städte, insbesondere in Rom, beitragen konnte. In Frankreich ist das Stockwerkseigentum besonders in Gre-noble, Rennes, Lyon und Chambery gebräuchlich.

Ich sehe heute eine unmittelbare Forderung der Zeit darin, die Idee des Wohnungseigentums mit den Problemen des Wiederaufbaues in ursächliche wirtschaftliche Verbindung zu bringen. Nach einer mir von der Stadfcbauamtsdirektion zugekommenen Mitteilung waren durch die Luftangriffe und Kampfhandlungen im Räume von Groß-Wien auf Grund von Schätzungen rund 100.000 Wohnungen unbenutzbar. Hievott sind

rund 30.000 Wohnungen total zerstört, „ 30.000 „ schwer beschädigt,

(über 25 Prozent des Bauwertes), 20.000 „ beschädigt (unter

25 Prozent des Bauwertes), n 20.000 „ durch Witterungs-

I einflüsse gefährdet. Hievon wurden bis einschließlich 23. Februar 1946

2.995 Wohnungen ift-standgesetzt,

9.640 Wohnungen abgesichert,

daher zusammen 12.635 Wohnungen wieder benutzbar gem&cht.

Diese Mitteilung datiert vom 27 Februar 1946. Man kann annehmen, daß heute noch mindestens 8 0.0 0 0 Wöhningen unbenutzbar sind, Wovon

die Hälfte, also 40.000, nur mit Aufwendung „erheblicher Mittel“ — um einen aktuellen Terminus zu gebrauchen — wieder instandgesetzt werden können.

Analog dürften die Verhältnisse in den anderen, durch Kriegsereignisse stärker betroffenen österreichischen Städte gelagert sein.

Aus der unmittelbaren Praxis ergibt sich die Tatsache, daß die Wiederherstellung von Wohnungen durch die Initiative der Wohnungswerber am zielsichersten durchgeführt wird. Der Wohnungswerber, der sich eine derartige — wie man sagt ausgebombte — Wohnung wieder instandsetzen will, um sein dringendes Wohnungsbedürfnis zu befriedigen, hat jedoch heute keine Rechtsform zur Verfügung, dies nach den Grundsätzen wirtschaftlicher Gerechtigkeit, tun zu dürfen. Aus dieser Reclitsnot entstehen Vertrags-

figuren, die deutlich erkennen lassen, wie notwendig das Eingreifen der Gesetzgebung ist. Die Bestandverträge, die bei solchen Gelegenheiten entstehen, beweisen das Verlangen, die wechselseitigen Interessen in einer einigermaßen erträglichen Art auf einen einheitlichen Nenner zu bringen. In solchen Verträgen stößt man zum Beispiel auf das Zugeständnis von Seiten des Hauseigentümers, auf die Entriditung des Hauptmietzinses auf eine gewisse Anzahl von Jahren zu verzidnen, sorgsam differenzierte Klauseln betreffen die durch die Herrichtung notwendig werdenden Einbauten. Das Ergebnis sind aber doch nur halbe Lösungen, die für beide Teile unbefriedigt bleiben müssen, für den Wohnungswerber jedoch besonders bedenklich sind. Namhafte Mittel, häufig auch wertvolle Eigenarbeit werden in eine fremde Substanz hineingebaut, ohne daß der zum Bauunternehmer gewordene Wohnungssuchende die Möglidikeit hat, zu einer über das schuldrechtlidie Mietverhältnis hinausgehenden Verbundenheit mit dem Gebäude zu gelangen.

Im Zusammenhang mit den Problemen des Wiederaufbaues sieht der Praktiker eine wachsende Anzahl von Problemen, die mit den althergebrachten Mitteln nicht gelöst werden können. Es mehren sich die Fälle, da Eigentümer stark beschädigter Häuser dieses Eigentum sozusagen schon abgeschrieben und gar kein Interesse mehr haben, das durch Feindeinwirkung beschädigte Haus in absehbarer Zeit wieder aufzubauen oder auch nur beiläufig instandzusetzen. In anderen Fällen ergibt sich bei stark belasteten Häusern die Unmöglichkeit einer Konvertierung, so daß keine Wahrscheinlichkeit besteht, das Haus innerhalb kürzester Zeit wiederherzustellen und demzufolge vor dem rapid fortschreitenden Verfall zu retten.

In allen diesen Fällen, in denen der Hauseigentümer entweder durch Verschulden oder grobe Fahrlässigkeit oder einfach aus Unvermögen das Haus kurzfristig nicht instandsetzen will oder kann, ist es ein Gebot der

Gerechtigkeit und wirtschaftlichen Notwendigkeit, jene Wohnungswerber, welche die Mittel haben, die in derartigen Häusern gelegenen Wohnungen für ihre eigenen Zwecke raschestens wiederherzustellen und so die Haussubstanz zu retten, durch kurzfristig wirkende gesetzliche Bestimmungen in die Lage zu versetzen, die betreffenden Wohnungen dem schätzungsgemäßen Anteil an der Liegenschaft entsprechend käuflich zu erwerben und diese Eigentumsrechte g r u n d -bücherlich einverleiben zu lassen.

Die Frage über Verschulden oder Fahrlässigkeit, beziehungsweise das wirtschaftliche Unvermögen des Hausherrn im Zusammenhang mit der Seriosität des Wohnungswerbers, oder mit der Beurteilung der wirtschaftlichen Berechtigung bestimmte V' '.nungen instand zu setzen, kann durch ein Schiedsgericht inappellabel und rasch entschieden werden.

Gibt man dem Wohnungswerber durch entsprechende gesetzgeberische Bestimmungen die Möglichkeit, an der von ihm instand gesetzten Wohnung vererbliches und verkäufliches Eigentum zu erlangen, so ist eine richtunggebende Innenkolonisation erwarten, die der soziologischen Wahrheit besser entsprechen wird als die gegenwärtige Schichtung.

Durch diese legislative Möglichkeit wird ein gewaltiger Anreiz geschaffen werden, Wohnungseigentum zu erwerben; sehr beträchtliche gegenwärtig brachliegende Kapitalien werden auf diese Weise ihre nutzbringende Anlage finden, dem Wiederaufbau werden Kräfte zugeführt werden, die sonst nie zur Wirkung kommen könnten.

Allen Gegenargumenten muß mit Rücksicht auf den tiefen Ernst der Zeit und die drängenden Wiederaufbauprobleme entgegengehalten werden, daß es sich hier nicht um Vermieter- und Mieterinteressen handelt, sondern einzig und allein um die Erhaltung lebenswichtiger Substanzen, an deren Bestehen die gesamte Volkswirtschaft interessiert ist.

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