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Die Demolierer

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Die Reformbedürftigkeit unseres Wohnungswesens steht außer Zweifel; jede vernünftige und durchgreifende Reform ist aber bisher im Parteienstreit steckengeblieben. Die Absicht, die Mietengesetzgebung neuerlich zu novellieren, macht deutlich, daß sich die Konzeptionen der Parteien nicht miteinander vereinigen lassen.

Das eine Konzept zielt darauf ab, den Althausbestand funktionsunfähig und demolierungsreif zu machen, um ihn möglichst rasch und komplett durch Neubauten zu ersetzen. Nur auf diese Weise könnten — so wird argumentiert — eine moderne Stadt geschaffen und allen Menschen die Segnungen des modernen Komforts zuteil werden.

Dieses Konzept herrscht in Österreich seit mehr als einem halben Jahrhundert und ist der eigentliche Grund für die permanente Wohnungsmisere, die trotz enormer Neubauleistung nicht behoben werden kann. Sie ist weiters einer der Gründe für die dauernde Überforderung unserer Staatsfinanzen und der Uberhitzung der Bauwdrtschaft, und damit einer der wirksamsten Motoren der Inflation.

Dennoch beharrt die SPÖ bei diesem System, ja möchte es noch weiter verschärfen. Das von ihr ausgearbeitete Assanierungsgesetz und ihr neuer Mietenreformentwurf sind nach wie vor von der fixen Idee beherrscht, daß die Lösung des Wohnungsproblems nur durch möglichst umfassende Demolierung des Althausbestandes und die Errichtung von Neubauten erfolgen könne, wobei die öffentliche Hand allein in der Lage sei, diese Aufgabe sinnvoll zu erfüllen.

Dies aber bedeutet in weiterer Konsequenz nichts anderes als die ständige Steigerung der öffentlichen Ausgaben und damit die Anziehung der Steuerschraube. Es bedeutet außerdem, daß das rein quantitative Denken weiterhin die Bautätigkeit beherrschen muß, daß die bisherigen Bausünden auch künftig Immer wiederholt werden und daher billig, schlecht und häßlich gebaut wird. Es heißt auch, daß die ganzen Bekenntnisse zu Denkmal- und Ensembleschutz bloße Phrasen sind, und daß der Charakter der Städte systematisch zerstört werden soll.

Das vom Justizministerium nunmehr vorgelegte Mietrechtsände-rungsgesetz tendiert gleichfalls eindeutig in diese Richtung. Die verschiedenen angeblichen Verbesserungen für den Mieter sind entweder so vage formuliert, daß sich daraus kein Rechtsanspruch ableiten läßt (zum Beispiel Mietzinsbeihilfen, die nur „nach Maßgabe der jeweils im Bun-desftnanzgesetz hiefür vorgesehenen Mittel“ gewährt werden sollen) oder werden sich sehr rasch als Seifenblasen erweisen — wie etwa die unbegrenzte Verrechnungspflicht der Mitzinsreserven; denn diese ist schon heute, von einigen besonders günstig gelagerten Fällen abgesehen, angesichts der Diskrepanz zwischen Mieteinnahmen und Reparaturkosten im Falle eines Paragraph-7-Verfahrens ziemlich bedeutungslos und wird bei weiterhin explosiver Entwicklung der Baupreise immer bedeutungsloser werden.

Diese — bei näherem Hinsehen oft etwas dubiosen — Verbesserungen sind in Wirklichkeit nur unbedeutende Gamierungen. Wer das Gesetz als Ganzes überschaut und den massierten Effekt der Detailbestimmungen konsequent zu Ende denkt, der erkennt deutlich zwei Zielsetzungen:

• Mehr und günstigere Möglichkeiten für die öffentliche Hand, Demolierungen vorzunehmen. (Dies vor allem dank einer geschickten Abstimmung mit dem Assanierungsgesetz.)

• Kalte Enteignung des privaten Hausbesitzes: indem nämlich die letzten Reste einer Verfügungsgewalt und die letzten Erträgnisse, die das bisherige Mietengesetz dem Eigentümer belassen hat, eliminiert werden, soll der Hausbesitz völlig entwertet werden und zu möglichst günstigen Bedingungen der öffentlichen Hand und ihr nahestehenden Institutionen als einzig verbliebenen Interessenten zufallen.

Für den Mieter ist eine solche Entwicklung, mag sie auch momentane Vorteile bringen, kaum wünschenswert.

Ob freilich die einfache Mehrheit der Sozialisten im Parlament genügt, ihr Mietrechtsänderungsgesetz zu beschließen, sei dahingestellt. Die in ihm enthaltenen zusätzlichen Eigentumsbeschränkungen stellen eindeutige Verstöße gegen den Artikel 5 des Staatsgrundgesetzes dar. Es stimmt bedenklich, daß ausgerechnet das Justizministerium, dessen oberste Aufgabe der Schutz der Rechtsstaatlichkeit sein sollte, ein Gesetz, das zahlreiche Verfassungsbestimmungen enthält, als einfaches Bundesgesetz durch den Nationalrat schleusen möchte.

Dieses Gesetz, dessen Zweck bescheiden als Beseitigung sozialer Härten beschrieben wird, ist in Wirklichkeit ein massiver Versuch, die Verstaatlichung des Menschen über das Grundbedürfnis Wohnung, voranzutreiben, hat also ausgesprochen totalitäre Tendenzen, ein Umstand, über den die harmlose Aufmachung nicht hinwegtäuschen sollte. Die Erkenntnis dieser Hintergedanken bewirkt derzeit eine gewisse Unruhe in der ÖVP, die jahrzehntelang halb zögernd, halb willig die sozialistische Wohnungspolitik mitgemacht hat. Zum erstenmal hat sie sich zu einem Reformplan aufgerafft, der nicht nur am Detail herumdoktert, sondern das eigentliche Problem in den Griff zu bekommen sucht.

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