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Es muß gebaut werden!

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Das bedauerliche Festrennen der Diskussion um die Wohnungswirtschaft in Österreich, das eine der betrüblichen Bilanzen der diesjährigen Parlamentssession darstellte, darf nicht über die Tatsache der würgenden Wohnungsnot in Stadt und Land hinwegtäuschen. Auch die unter den Fachleuten oft entstehende Debatte über die „echte“ und „unechte Wohnungsnot“ sollte die Frage nicht verwirren. Nach den vom österreichischen Städtebund geführten statistischen Erhebungen aus der jüngsten Zeit wird der vordringlichste Wohnungsbedarf in 143 Stadt- und Industriegemeinden Österreichs mit 169.000 bezeichnet. Dazu kommt der noch nicht statistisch erfaßte Wohnungsbedarf in den kleineren Gemeinden und insbesondere in den Landgemeinden. Dabei muß in Betracht gezogen werden, daß durch die mangelnde Instandhaltung und Pflege des bestehenden Wohnraums in den letzten Jahrzehnten mit einer Erhöhung dieser Ziffer durch das wachsende Unbrauchbarwerden von bestehendem Wohnraum gerechnet werden muß. Neben der Sorge um die Erhaltung des bestehenden Wohnraums sind die Fragen des Wiederaufbaues kriegszerstörter Wohnungen und der auch notwendigen Neubautätigkeit weiterhin ungelöst.

Demgegenüber muß mit allem Nachdruck die Forderung aufgestellt werden: Es muß in Österreich gebaut werden! Es gilt dabei nicht nur die schleichende, das Lebensmark unseres Volkes zersetzende Wohnungsnot und das in all seinen Auswirkungen gegebene Wohnungselend einigermaßen zu lindern, sondern auch die Bauwirtschaft mit den damit verbundenen 52 Hilfs- und Nebengewerben als einem Zentralknotenpunkt wirtschaftlichen Geschehens Beschäftigung und den darin tätigen Menschen Brot und Verdienst zu geben. Es sind daher die Aufgaben der Wohnungswirtschaft In Österreich nicht nur von rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern auch als ein ernstes soziale Problem zu betrachten.

Bei der Prüfung geplanter Bau- und Siedlungsvorhaben lösen zwei Posten im allgemeinen eine besondere Betrachtung aus: die Höhe der Baupreise und Baustoffe und die Beschaffung langfristiger Kredite. Um die Tätigkeit der Wohnungswirtschaft tatsächlich mit Erfolg vorwärts zu bringen, müssen diese Vorfragen zur Lösung gebracht werden. So müssen dabei alle Mittel und Wege der modernsten Bauforschung und Bautechnik angewendet werden, um die geltenden Baustoffpreise und Baustoffkosten so zu erstellen und zu kalkulieren, daß eine Bautätigkeit auch für die minderbemittelten, breiten Massen unseres Volkes möglich wird. Der Umstand, daß es zur Zeit kaum möglich ist, bei einem Geldinstitut langfristige Hypothekarkredite zu erlangen, steht ebenfalls hemmend einer erfolgreichen Bautätigkeit im Wege. Hier muß es die Aufgabe aller verantwortungsbewußten Stellen sein, durch eine richtige Kreditpolitik das für die Bauwirtschaft notwendige langfristige Kapital bereitzustellen und für einen längeren Zeitraum zu gewährleisten. Neben den erforderlichen öffentlichen Mitteln muß auch das notwendige Privat- und Eigenkapital der Interessenten mobil gemacht werden. Es gilt dabei nicht bloß die durch die verschiedenen Währungsmaßnahmen in ihrem Vertrauen schwer enttäuschte breite Öffentlichkeit zum Sparen aufzufordern, sondern durch entsprechende Maßnahmen, wie Gewährung einer Steueramnestie, Einräumung von Steuerbegünstigungen und Festlegung entsprechender Wertsicherungen das Vertrauen und den Anreiz zu einer gesunden Spartätigkeit in der Bevölkerung wieder wachzurufen und auch durch Tatsachen zu rechtfertigen. Bei Behandlung aller dieser Fragen muß der Grundsatz aufgestellt werden, durch den Zusammenschluß aller hiefür in Frage kommenden Kreise und durch das Zusammenlenken der vorhandenen Kapitalien die gegebenen Aufgaben zur Verwirklichung zu bringen.

Die Sorge um die Wohnraumerhaltung und Wohnraumbeschaffung ist in Österreich gleich der Sorge für die Beschaffung von Nahrung und Bekleidung zu einem Gegenstand des öffentlichen Interesses und der öffentlichen Obsorge geworden. Während es früher dem Belieben und der persönlichen Entschließung einzelner interessierter Kreise anheimgestellt war, Wohnraum zu schaffen und so auf rein privat- und gewinnwirtschaftlicher Grundlage diese Fragen zu lösen, sind diese Voraussetzungen gegenstandslos geworden. Die Wohnungswirtschaft hat eben zum Unterschied von früher herrschenden Tendenzen eine wesentlich andere Richtung genommen, und es müssen daher alle Fragen der Wohnungswirtschaft nunmehr von einer anderen Perspektive aus betrachtet werden. Wie das Altertum seine Einstellung zum Wohnproblem in der Errichtung von Palästen, Tempeln und sonstigen die Macht einzelner Geschlechter zum Ausdruck bringender Bauwerke kündete, wie das Mittelalter Burgen und Dome baute, so ist es unsere Hauptaufgabe, Wohnraum für arbeitende und schaffende Menschen zu erstellen, in denen ein kulturwürdiges und sozial befriedendes Dasein diesen Menschen gewährleistet ist. Die Wohnungswirtschaft ist daher aus der Interessensphäre einzelner zu einem gesellschaftlichen Problem geworden.

An der Lösung dieses Problems sind aber nicht nur öffentliche, sondern auch private Interessen wohl beteiligt. So ist es notwendig, gerade durch die Förderung der Eigenheimbewegung und durch die Verwirklichung des Wohnungseigentums das Wohnbedürfnis der einzelnen zu befriedigen und gerade durch den Einsatz der hiefür notwendigen Eigenmittel auf diesem Wege Wohnraum zu schaffen. In Anbetracht der gegebenen großen Wohnungsnot kann jedoch diese Art der Wohnraumbeschaffung nur in beschränktem Ausmaße wirksame Abhilfe schaffen. Es verdient daher gerade von diesem Gesichtspunkte aus die Frage der Errichtung von mehrgeschossigen Wohnanlagen erhöhte Bedeutung. Dabei taucht die Frage auf, wer nun der Träger für die Errichtung von mehrgeschossigen Wohnanlagen sein soll? Mangels zureichender langfristiger Kreditanlagen und mangels einer gegebenen Rentabilität unter den gegebenen Umständen werden sich kaum private Interessenten für die Errichtung mehrgeschossiger Wohnanlagen finden können.

Es wird daher die Sorge um Beschaffung solchen Wohnraumes in die Hand der Gemeinden, denen verfassungsmäßig die Sorge um entsprechenden Wohnraum für die Gemeindeinsassen auferlegt ist, und in die Zuständigkeit gemeinnütziger Wohnungsvereinigungen gelegt sein. Während dabei den Gemeinden in der Hauptsache der Wohnbau aus den Gründen der Fürsorge obliegt, wird es Aufgabe der gemeinnützigen Wohnungsvereinigungen und dabei im besonderen der Genossenschaften sein, unter Ausnützung modernster Baumethoden und Bauweisen entsprechend eingerichteten Wohnraum zu sozial tragbaren Bedingungen zu schaffen. Gegenüber der Wohnbautätigkeit der Gemeinden erweist sich gerade die Bautätigkeit der Genossenschaften als verwaltungsvereinfachender, kostensparender und billiger. Diese Art und Weise der Organisation des Bauens wurde auch von einzelnen österreichischen Gemeinden mit Erfolg gebraucht. Aber auch ausländische Beispiele, darunter im besonderen die Bautätigkeit der Stadt Zürich, weisen auf Erfolge in dieser Richtung hin. So hat die Stadtgemeinde Zürich ihre gesamte kommunale Bautätigkeit durch Baugenossenschaften verwirklichen lassen und so unter Vermeidung überflüssiger Kosten in verwaltungsvereinfachender und kostensparender Weise den für diese Gemeinde notwendigen Wohnraum schaffen können. Auch in Österreich wird es sich notwendig erweisen, hier Klarheit zu schaffen und so eher die Verwirklichung eines dringlichen Wohnbauprogramms zu ermöglichen.

Wie auch sonst, muß gerade auf dem Gebiete der Wohnbautätigkeit das Erwarten einer ausschließlichen Hilfe durch öffentliche Mittel abgelehnt werden. Nach dem Gesetze des „kleinen Kreises“ muß es den in den Genossenschaften zusammengeschlossenen Personengruppen überlassen bleiben, in entsprechender Selbsthilfe und in engem Zusammenwirken die gestellten Aufgaben zu lösen. Erst, wenn die Mittel und Kräfte dieser kleinen Gemeinschaft nicht ausreichen, kann ergänzend die Hilfe der Länder und des Bundes herangezogen werden. Das Hauptgewicht muß jedoch in der eigenen Kraft und Stärke der kleinen Gemeinschaft gesucht werden. Nur so werden alle Kräfte zu einem wirksamen Einsatz gebracht und schließlich durch das Zusammenarbeiten aller der Erfolg gewährleistet sein.

Bei all dieser Bautätigkeit muß die Freiheit der Person auch hinsichtlich des Wohnraums gewährleistet sein. Nicht die Zusammenfassung der Mieter in großen Wohnkasernen und die dadurch bedingte Kollektivisierung, sondern die Verwirklichung des Wohnungseigentums und die Förderung der Eigenheimjjewegung muß dabei oberster Grundsatz bleiben. Gerade in der genossenschaftlichen Form durch die Mitbestimmung der Genossenschaftsmitglieder bei der Errichtung und Verwaltung von Wohnanlagen wird eine Einflußnahme auf die Wohnungswirtschaft auch dem einzelnen Mieter gegeben sein.

Die Wohnungswirtschaft ist aus dem Interess'enkreis einzelner Kreise zu einer Angelegenheit der Allgemeinheit und der öffentlichen Obsorge geworden. Nut durch die Zusammenfassung der privaten Initiative und Entschlußfreudigkeit verantwortungsbewußter Menschen und unter bewußter Förderung seitens der Allgemeinheit wird es möglich sein, die dringenden Probleme der Wohnungswirtschaft ehestens in Angriff zu nehmen und so durch die Erhaltung des bestehenden Wohnraums und durch die Schaffung neuen Wohnraums den sozialen Frieden der darin wohnenden Menschen und durch die damit gegebene Vollbeschäftigung des Baugewerbes auch Brot und Arbeit für die in der Bauwirtschaft tätigen Menschengruppen zu sichern.

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