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Die Stadtfäulnis

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Dem Assanierungskonzept der Regierung steht derzeit ein Stadterneuerungsentwurf der ÖVP entgegen. Der gebrannte Staatsbürger fragt sich zunächst, ob es sich hier nur um eine verbale Differenz, ein Schattenboxen mit Schlagworten oder um substantielle Unterschiede handelt. Jedenfalls: 1973 fällt eine Entscheidung.

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Dem Assanierungskonzept der Regierung steht derzeit ein Stadterneuerungsentwurf der ÖVP entgegen. Der gebrannte Staatsbürger fragt sich zunächst, ob es sich hier nur um eine verbale Differenz, ein Schattenboxen mit Schlagworten oder um substantielle Unterschiede handelt. Jedenfalls: 1973 fällt eine Entscheidung.

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Das Konzept des Wohnbauexperten der ÖVP, Abgeordneten Leopold Heibich, strebt zwar das gleiche Ziel wie der Moser-Entwurf an, nämlich einen Stopp dem „Verfaulen“ der Stadtzentren, unterscheidet sich aber doch deutlich in der Wahl der Mittel. Es versucht einerseits die gesellschaftspolitischen Giftzähne der Regierungspläne zu ziehen, anderseits eine größere Effizienz und Verringerung des finanziellen Aufwandes zu erreichen.

Die sozialistischen Assanierungsvorstellungen laufen trotz einigen privatwirtschaftlichen Garnierungen an einigen delikaten Gesetzesstellen letzten Endes doch auf eine Enteignungspolitik zugunsten der öffentlichen Hand hinaus. Dagegen basiert der Helbich-Entwurf vor allem auf der Idee freiwilliger Zusammenschlüsse von Hauseigentümern zwecks großflächiger Erneuerung. An diesem Punkt entzündet sich erwartungsgemäß die Kritik — nicht nur der sozialistischen Dogmatiker, sondern auch der Pragmatiker: wird es möglich sein, eine größere Anzahl von Hausbesitzern freiwillig zu einer gemeinsamen Aktion zu bringen? Sind diese nicht überhaupt zu immobil, um sich zu größeren Veränderungen aufzuraffen?

Nun befinden sich zwar unter den Hausbesitzern viele alte Menschen, die tatsächlich kaum noch Lust an umfangreichen Projekten und Energie dafür haben, aber auch die Jungen haben in der heutigen Situation vielfach das Interesse verloren. Nach der gegenwärtigen Gesetzeslage müßten Verbesserungen an bestehenden Objekten praktisch ä fonds perdu erfolgen, da keine Möglichkeiten zur Kostenüberwälzung, geschweige denn zur Steigerung des Ertrags bestehen. Totalerneuerungen scheitern an der Schwierigkeit für Private, Wohnbaudarlehen zu erhalten, aber auch an den mietrechtlichen Bestimmungen.

Wenn daher die Stadterneuerung ohne radikale Eingriffe der öffentlichen Hand funktionieren und besserer Wohnraum zu erschwinglichen Preisen geschaffen werden soll, wäre eine Chancengleichheit für private Assanierungsgemeinschaften gegenüber der öffentlichen Hand und den Genossenschaften Voraussetzung; denn was nützt der beste Wille der Privaten, wenn die Projekte schließlich an der Finanzierung scheitern?

Ersatzwohnungen für Altmieter müßte allerdings die öffentliche Hand auf alle Fälle beistellen, da sich sonst die Gesamtbaukosten zu Lasten der Wohnungssuchenden allzusehr erhöhen würden. Die sich aus dem Mieterschutz ergebenden Leistungen stellen schließlich eine außerordentliche Sozialbelastung dar, die Abgeltung ähnlicher Lasten wird ganz allgemein — man denke z. B. an die österreichischen Bundesbahnen — gefordert.

Ein gewisser finanzieller Anreiz muß freilich gegeben sein, da sich ohne Entgelt wohl niemand freiwillig der Mühe der Assanierung unterziehen wird. Es müßte hier von dem österreichischen Dogma der prinzipiellen Ertragslosigkeit des Hausbesitzes ein wenig abgerückt werden. Wenn man bedenkt, daß der Grunderwerb samt allen damit zusammenhängenden Transaktionen wegfällt, müßten aber trotz einer Gewinnspanne für die Grundeigentümer die Gesamtkosten noch geringer sein als bei Einschaltung des öffentlichen Bauherrn.

Allerdings werden freiwillige Zusammenschlüsse in verbauten Gebieten kaum zu erreichen sein, wenn die Anteile der einzelnen Grundbesitzer nur auf der Basis der eingebrachten Bodenfläche bemessen werden; es müßten unbedingt auch der Wert, Bauzustand und Ertrag der bisherigen Gebäude in die Berechnungen einfließen, denn diese sind auch in sanierungswürdigen Vierteln oft von sehr unterschiedlicher Qualität. Es geht nicht an, daß der Eigentümer eines verwahrlosten Elendsquartiers, das sich über eine große Grundfläche erstreckt, bei einer Assanierung besser zum Zug kommt, als der Besitzer eines gut erhaltenen, womöglich mit umfangreichen Investitionen modernisierten Hauses auf geringer Fläche;für diesen könnte sonst die Assanierung leicht zum Verlustgeschäft werden, gegen das er sich mit aller Macht wehrt. Es wäre überhaupt zu überlegen, ob wirklich immer eine Totalsanierung des Areals notwendig ist, ob nicht erhaltenswürdiger Althausbestand belassen und in die Neuplanung einbezogen werden könnte.

Erleichtert könnte die Abwicklung all dieser Maßnahmen zweifellos auch werden, wenn der Hausbesitz eine gesetzliche Vertretung hätte; seine kammermäßige Institutionalisierung würde sich zweifellos empfehlen.

Eine Stadterneuerung auf privater Basis — natürlich nach den Richtlinien einer raumordnerischen Rahmenplanung — käme dem Steuerzahler und dem Wohnungssuchenden per saldo am billigsten. Die Initiative des Abgeordneten Heibich böte zweifellos einen Ansatzpunkt für rationelle und pragmatische Lösungen; es müßte freilich dafür Sorge getragen werden, daß die gesetzliche Regelung auch genügend ins Detail geht, um nicht durch administrative Maßnahmen ad absurdum geführt zu werden.

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