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Osterreich braucht eine Landesplanung

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In Oesterreich fällt allenthalben eine gewisse Regellosigkeit in der Behandlung der sozialen Probleme auf. Dies trifft sowohl auf die private Tätigkeit als auch auf die öffentlichen Maßnahmen zu. Die für Volk und Staat lebenswichtigen Faktoren der Bevölkerungsentwicklung, Wirtschaftsausweitung, der Bautätigkeit und Raumordnung, des Landschaftsschutzes, werden in ihrer Bedeutung — so hat es zumindest den Anschein — von der öffentlichen Meinung nicht genügend eingeschätzt. Förderungs- und Ordnungsmaßnahmen in diesen sozialen Belangen geschehen deshalb meist auch nur für einzelne Sektoren, daher mit beschränkter Wirkung und ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer Bereiche.

Am auffälligsten springt diese gewisse Regellosigkeit bei Betrachtung der Bautätigkeit und der Bodennutzung ins Auge, im großen gesehen in der Gestaltung des Siedlungsraumes und der Landschaft überhaupt. Hierzu kann man seine Beobachtungen in allen Städten wie auch auf dem Lande, ja sogar in den unproduktiven Gebirgsgegenden machen.

In den Städten geht die Verbauung häufig richtungslos nach allen Seiten vor sich, was zu den bekannten unschönen Erscheinungen am Stadtrand führt, wo Fabriken, vereinzelte Wohnhäuser, Felder und Gstetten einander abwechseln. Die Auf Schließungskosten für die städtischen Versorgungsleitungen und die Straßen in solchen sporadischen Siedlungen verlangen enorme Summen. Dabei läßt die unkluge Grundausschrotung zu wenig Platz für Gemeinschaftszonen, wie Grünflächen, Jugendspielplätze, usw.

Auf dem Lande, wo vielfach bislang noch kein Grundmangel zu spüren war, wird an vielen Orten von der neuen gewerblichen Bevölkerung blind drauf los gebaut, ohne die ehemals vorhandene Instinktsicherheit bei der Anlage bäuerlicher Bauten, ohne gesetzliche Ordnungen. Wohnhäuser und ganze Siedlungen werden so oft irgendwie in die Gegend gestellt, mitten in die landwirtschaftlich wertvollen Gebiete, oder reihen sich phantasielos kilometerlang entlang der Straßen. Sinnlose Parzellierungen, Spekulationsbauten, Schrebergärten fressen sich Wucherungen gleich in den gesunden Körper der Landschaft. Industriebauten werden ohne Rücksicht auf die atmosphärischen Verhältnisse, die Landesnatur, den Lebensstil der umliegenden Siedlungen, die Gesundheit und Ruhe der Wohnbevölkerung nach kurzsichtigen Rechnungen placiert.

Die fortschreitende Verbauung mit dem damit verbundenen Wandel des Landschaftsbildes und den Aenderungen in der Bodenwidmung, besonders die zersetzenden Folgen dieses Prozesses, wie unbegründeter übermäßiger Bodenverbrauch, Zerstörung des gewachsenen Landschafts- und Sozialgefüges ohne Ersatz durch planvolle Neuordnung, Fehlinvestitionen aus Unkenntnis der Entwicklung und Ueberschneidungen der einzelnen Entwicklungsrichtungen wegen mangelnder planvoller Abstimmung aufeinander werden in ihrer Gesamtbedeutung viel zu wenig beachtet'

Einige Beispiele: In den alpinen Regionen geht ein Prozeß der Verkarstung vor sich, der wohl geologisch bedingt ist, aber auch durch kurzsichtige Wasser- und Waldwirtschaft gefördert wird. Da keine Geldmittel freigemacht werden, um das Problem zu erforschen, werden auch keine Abhilfemaßnahmen getroffen. — Die Kulturlandschaft in der Nähe der oberen Anbaugrenze geht der Verödung entgegen, weil die Bergbauern zu Tal wandern. Steuer- und Sozialpolitik fördern diesen Kulturvernichtungsprozeß noch. Landschaftlich einmalige Gegenden werden durch Bauten, die in dieser Form nicht unbedingt notwendig sind (Industrien, E-Leitungen, Hotels), .zerstört. Es fehlt der Landschaftsschutz! Es gibt in Oesterreich keine Naturschutzgebiete.

Bei den landwirtschaftlichen Meliorationen werden immer noch kurzsichtige Methoden in Anwendung gebracht, deren Schädlichkeit längst erkannt ist. So geht man noch von dem veralteten Gedanken aus, möglichst alle Moore zu entwässern, das Niederschlagswasser rasch in gemauerten Rinnen abzuleiten, alle Flüsse und Bäche zu „regulieren“. Die Natur und die Leistungsfähigkeit der Böden erleiden damit ärgsten Schaden; das so notwendige Grundwasser wird damit für weite Gebiete verringert, Versteppung, auf lange Sicht Klimaänderungen sind die Folge. Während man sich hierzulande noch bemüht, unsere in Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft zu entwässern und.,zu „melioro-sieren“, ist man in Amerika und Rußland z. B. angestrengt bemüht, durch künstliche Flußverlängerungen (Mäander), Anpflanzungen in Gemengelage usw. unsere alte abwechslungsreiche Landesstruktur erst zu schaffen.

An den reizvollsten Orten haben Entwicklungen eingesetzt, die dem Fremdenverkehr abträglich sein müssen. So wird einerseits für den Besuch der Salzkammergutseen geworben, während anderseits die Uferverbauung fast lückenlos abgeschlossen ist, teilweise sogar Industrien das Bild stören. Wenn dieser Prozeß nicht aufgehalten wird, warum sollen dann noch Fremde in diese Gegenden kommen? Oeffentliche Bäder und Fabrikrauch finden sie auch daheim.

Oesterreich braucht also, will es seine geringen Mittel nützen, eine eigene Landesplanung! Diese Planung wird die natürlich gegebenen Möglichkeiten des Landes und die Bedürfnisse seiner Bewohner zu prüfen haben, um Prognosen über die zukünftige Entwicklung stellen und Ordnungsvorschläge machen zu können. Richtige Planung wird dabei subsidiär vorgehen und nur den Menschen als göttliches Ebenbild zum Maßstab haben.

Ein erster Anfang für solche Planung wurde nun in Oesterreich mit der „Regionalplanung Wachau“ gemacht.

Im Auftrage des Amtes der niederösterreichischen Landesregierung hat die „Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung und Planung“ Wien eine umfassende und eingehende regionale Untersuchung der Wachau durchgeführt. Auftragsgemäß sollte für die Wachau mit ihrer kulturvollen alten Besiedlung in einer reizvollen Landschaft, die heute in ihren Wesenszügen gefährdet erseheint, auf Grund einer genauen Kenntnis der gegenwärtigen Verhältnisse, praktische Vorschläge für die zu treffenden Maßnahmen gemacht werden, um sie lebenskräftig zu erhalten und in ihrer Landschaft zu bewahren.

Die Verfasser des Berichtes gingen von dem Gedanken aus, daß für ihre Arbeit die Kennt-, nis der ganzen Landesnatur, also von Boden, Klima, Bevölkerung, Geschichte, Wirtschaft, Siedlung, Verkehr und ihrer kausalen Wechselbezüge notwendig sei. Eine genaue Untersuchung der Bevölkerung und Wirtschaft jeder einzelnen Ortsgemeinde der Wachau sollte dabei die wichtigste Grundlage der Regionalplanung bilden. Dadurch allein würde es möglich sein, die Lebensfragen des betreffenden Gebietes, die Ursachen der bestehenden Notstände aufzudecken und die notwendigen und zugleich rationellen Abhilfemaßnahmen vorzuschlagen.

Die Regionalplanung Wachau wird abgeschlossen mit der Aufstellung eines Entwicklungsplanes für die räumliche und bauliche Entwicklung der Orte, wo gegenwärtiger Bestand, die gegenwärtigen Entwicklungstendenzen und Planungszonen für die Flächenwidmung eingetragen sind. Schließlich weisen die Verfasser noch darauf hin, daß alles darauf ankommt, die Entwicklung wieder in eine gesunde Richtung zu lenken. Dabei werden die notwendigen Maßnahmen von Ort zu Ort verschieden sein müssen. Das Verdienst des vorliegenden Werkes ist nicht nur in der ausgezeichneten Planungsarbeit gelegen, sondern auch darin, daß eine solche Arbeit von einer öffentlichen Stelle veranlaßt und ermöglicht worden ist.

Alle Betrebungen, die künftige Entwicklung planvoll zu gestalten, werden vielfach in der Oeffentlichkeit nur mit großer Zurückhaltung aufgenommen. Man denkt bei dem Wort Planung zugleich an Zwang und Ver* nichtung der persönlichen Initiative. Planung, die natürliche Rechte und Entwicklungen beeinträchtigen und hier Zwang ausüben wollte, wäre vom Bösen. Richtige Planung aber zielt gerade dahin, die Entwicklungsmöglichkeiten des einzelnen Menschen zu fördern und verlangt seine Mitarbeit. So sagen auch die Verfasser der Regionalplanung Wachau, daß es zur Verwirklichung der Projekte der Zustimmung und Mitarbeit der Bevölkerung bedarf (was wieder Erziehungsarbeit voraussetzt; ein Volk muß erst „planminded“ werden) und daß die Pläne in ihrer Verwirklichung elastisch sein müssen.

Eine Staatslenkung kann heute, wo so stürmisch und ungeordnet bedeutende Aenderungen in Gesellschaft, Wirtschaft und damit in der Bautätigkeit und Bodennutzung vor sich gehen, ohne wissenschaftliche Planung ihren Auftrag gar nicht mehr richtig erfüllen. Sie bedarf eines Gesamtüberblickes über die Lage des Landes und darauf fußender Ordnungsvorschläge, wonach eine Reihung der Maßnahmen, die als rechtzeitige Vorsorge für die Zukunft dienen, erfolgen kann. Diese Gesamt- oder Makroplanung, die geographisch gestaltet ist, muß ergänzt werden von sogenannten „kategorialen“ oder Facetteplanungen (z. B. Pläne für Industrie, Landwirtschaft, Schulwesen, Wohnsiedlungen, Kirchenbau, Flüchtlingshilfe usw.). Weiter bedarf die Makroplanung einer Ergänzung in der Mikroplanung, der sogenannten Regional-und Stadtplanung, wo in Einzelheiten die gefundenen Richtlinien für kleinere geographische Einheiten oder Kategorien des öffentlichen Lebens ausgearbeitet werden.

Wenn auf Grund solcher Planung die geringen Mittel am zweckdienlichsten verwendet werden, sind auch in Oesterreich die drückendsten Probleme unserer Zeit zu lösen.

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