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Das wachsende Haus

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Von Dr. FRIEDRICH W O E S S, Gartenarchitekt, Honorardozent für Garten- und Grünflächengestaltung an der Hochschule für Bodenkultur in Wien

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Von Dr. FRIEDRICH W O E S S, Gartenarchitekt, Honorardozent für Garten- und Grünflächengestaltung an der Hochschule für Bodenkultur in Wien

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Zu den nachhaltigsten Folgen des letzten großen Weltkrieges gehört die Zerstörung der Heimstätten. Die daraus entspringende Heim- und Heimatlosigkeit einer großen Zahl von Mitmenschen, besonders in den Städten, erhöht in starkem Maße die Entwurzelung, die durch die Massierung von Menschen insbesondere in den Großstädten ohnehin schon zu einem Problėm erster Klasse geworden ist.

Weitreichend sind die Auswirkungen nicht nur auf den einzelnen Betroffenen, sondern besonders auch auf die heranwachsende Jugend, die das Erbe dieser Entwurzelung in die Zukunft trägt. Vielseitig sind die sozialen Folgerungen, die daraus hervorgehen und denen der Staat Rechnung tragen muß.

Trotz der großen Anstrengungen, die von Staat und Gemeinden unternommen werden, um Abhilfe zu schaffen, bleibt doch ein großer Prozentsatz Unbefriedigter. Der Kern jeden weiteren Strebens muß somit nach wie vor die Lösung des Wohnungs- und Siedlungsproblems bleiben.

Zinsburgen vermögen der Entwurzelung breiter Bevölkerungsschichten nicht zu steuern. Sie können wohl die augenblickliche Wohnungsnot lindern, jedoch lehrt die Vergangenheit deutlich, daß sie keine Gegenpole der Entwurzelung sind, daß sie die Menschen keineswegs zur Natur zurückführen. Es ist richtig, daß ein gewisser Prozentsatz von Menschen gerne in Zinshäusern wohnt. Nicht jeder nimmt die Verantwortung, die Eigenbesitz von Grund und Boden erheischt, auf sich. Dieser Prozentsatz ist aber klein gegen die Masse derer, bei denen der Drang nach eigenem Grund und Boden unaustilgbar ist und das Wohnen im eigenen Gartenheim die Erfüllung bedeutet. Nur durch die planvolle Unterstützung dieses Strebens kann sich ein wirklich gesundes Familienleben, das schließlich das Fundament jedes gesunden Staatsgebildes ist, entwickeln.

Seit um die Jahrhundertwende die Auswirkungen der Zinskasernen aus der liberalistischen Zeit auf ihre Bewohner erkannt wurden, wurden sie bekämpft. Vielfach schritt die Bevölkerung zur Selbsthilfe. Es entstanden die „wilden Siedlungen", die für manche oft auch die Existenzgrundlage bedeuteten. Relativ spät erkannte man die Notwendigkeit der planmäßigen Erfassung, dann allerdings entstanden eine größere Anzahl von Mustersiedlungen. Im Zuge des Wiederaufbaues nach dem letzten Kriege kommt anscheinend diese Möglichkeit der Seßhaftmachung der von diesem Kriege am ärgsten Betroffenen etwas zu kurz, und es ist wirklich an der Zeit, sich mehr darauf zu besinnen. Die Gartenheimbewegung im Bund für Volksgesundheit hat diese Gedanken wieder aufgegriffen und schlägt vor, zunächst einmal den bombengeschädigten Altmietern auf diese Weise neue Heime zu schaffen.

Neben den Finanzierungsmöglichkeiten, wie sie in einem Artikel in der „Furche“ („Zinsen statt Zins“, 12. Jahrgang, 17. März 1956) dargelegt wurden, ist die Beschaffung von geeigneten Baugründen eine vordringliche, leider aber auch recht schwierige Angelegenheit. Einerseits haben Krieg und Nachkriegszeit wieder klar unter Beweis gestellt, daß Grundbesitz die beste Kapitalsanlage ist, folglich der Grundpreis hoch ist und Gründe schwer erhältlich sind. Anderseits ist dem Wachstum der Städte, insbesondere der Großstädte — zumindest in Oesterreich — eine Grenze gesetzt. Zugunsten des Erholungsraumes dürfen nicht allzu große Flächen der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen werden. Auch zu einer Zeit, in der die europäische Integration viel diskutiert wird und andere Versorgungsmöglichkeiten für das kleine Land Oesterreich ins Blickfeld rücken, wäre eine Mißachtung dieser Notwendigkeiten unverantwortlich. Bei der ständig anwachsenden Bevölke rungszahl auf der ganzen Welt und der dadurch gegebenen Vermehrung an Wohnraum und Verbrauchern bleibt neben der Intensivierung der Landwirtschaft nur der Weg des Haushaltens mit den landwirtschaftlich genutzten Flächen. Auch Gründe städtebaulicher Art sind maßgebend. So darf der Wald- und Wiesengürtel durch derartige Siedlungen nicht bedroht werden, ebensowenig das Naherholungsgebiet bei Großstädten, dem neben der städtebaulichen Bedeutung eine wichtige Rolle für die Volksgesundheit zufällt. Stadtrandsiedlungen dürfen anderseits auch nicht zu abschnürenden Gürteln um die Städte werden, sie müssen verkehrstechnisch und mit den Mitteln der neuzeitlichen Hygiene und Zivilisation erschließbar sein. Die Flächen wären somit nach städtebaulichen Erwägungen auszuweiten, falls größere Gemein- schajtssiedlungen geplant sind. Bei Grundstückerschließungen für diesen Zweck müßte also eine übergeordnete städtebauliche Behörde nach neuzeitlichen Gesichtspunkten beteiligt sein, und zwar nicht als hemmender, sondern als lenkender Faktof.

Eine weitere und wohl eine der wichtigsten Forderungen ist die gute Einfügung in die Umgebung. Der Mensch soll den technischen Fortschritt zur Verbesserung der Landschaft verwenden. Es geht nicht an, daß einzelne oder Gruppen Bauten ohne Beziehung zum Ort in die Umgebung stellen. Das ist rücksichtsloser Raubbau an den Naturschätzen, die Allgemeingut sind. Nur wenn die Lebensformen mit dem Lebensraum in Einklang gebracht werden, kann ein gesundes biologisches Gleichgewicht hergestellt werden und gleichzeitig auch eine schöne und zweckmäßige „Wohnlandschaft“ entstehen. Eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Erreichung dieses Zieles ist die gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Fachleute auf diesem Gebiete, nicht zuletzt in der vorausschauenden Planungsarbeit. Entgegen der Meinung vieler Baufachleute ist die Garten- und Grünraumplanung insbesondere bei Gartenheimsiedlungen ein integrierender Bestandteil. Es geht nicht an, sie als zweitrangig auf die Seite zu schieben. Nur durch neuzeitliche Gestaltung und Bepflanzung wird die Gartenverbundenheit und damit ein wirkliches, gesundes Wohnen im Grünen erreicht. Wenn die Einförmigkeit der früher so häufig gebauten Reißbrettsiedlungen für die Bewohner heute halbwegs erträglich ist, so ist dies nur einer sinnvollen Bepflanzung zu danken. In der Hand des geschulten Fachmannes wird diese Bepflanzung neben der Geländegestaltung zum wirksamsten Element der Einfügung in die Umgebung, Einwandfreie und harmonische Lösungen werden nur in einer so verstandenen Zusammenarbeit von Bau- und Gartenarchitekt erreichbar sein. Unweigerlich nötig dazu ist jedoch die tätige Mitarbeit des einzelnen Siedlungswerbers.

Für eine Gartenstadt — die Quintessenz aller Bestrebungen, die bis zum Beginn des letzten Krieges unternommen wurden, um die Fehler der liberalistischen Zeit auszumerzen — hat sich in der Praxis eine Mindestgrundstückgröße von zirka 800 Quadratmeter als ausreichend erwiesen. Es ist dies die Größe, bei der es möglich wird, nach Maßgabe der Verhältnisse einen kleinen Nebenerwerb aus den Bodenprodukten herauszuwirtschaften, und es ist gleichzeitig auch die Größe, bei der die anfallenden Tagwässer in ebener Lage bei normalen Bodenverhältnissen versickern können. Für Wohngärten sind Größen von 500 Quadratmeter dann tragbar, wenn sie an der Gesamtraumplanung Anteil haben. Gegliederte Hausgrundrisse schaffen gute Verbindungen mit dem Gartenraum. Das wachsende Haus gewinnt gerade für solche Gartenheimsiedlungen ungeheuer an Bedeutung. Mit dem Wachsen dieses Hauses entwickelt sich auch die Gartengestaltung nach einem genau vorgezeichneten Plan, der auf die Umgebung abgestimmt sein muß. Wird dieser Weg eingehalten, so verteilen sich nicht nur die finanziellen Lasten auf mehrere Jahre, sondern der Lohn ist auch ein wirklich naturnahes Wohnen. Gleich dem wachsenden Haus soll dann die ganze Siedlung organisch wachsen, nicht ziel- und uferlos, sondern ausgerichtet nach einem wohldurchdachten, rechtzeitig aufgestellten Plan.

Weitgespannt sind diese Ziele. Sie zu erreichen bedarf es der Zeit und des Verständnisses nicht nur der einzelnen Siedlungswerber, sondern auch der Behörden und der Oeffentlichkeit. Es wird nicht leicht sein, dem Idealzustand nahe zu kommen. Jedoch — wie sagt Konfuzius: „Es ist besser, ein kleines Licht anzuzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen.“ Ein solches kleines Licht anzuzünden, versucht die Gartenheimbewegung im Bund für Volksgesundheit.

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