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EINE STADT STOSST AN IHRE GRENZEN

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Der Wohnungsengpaß in Innsbruck wird durch Baugrundmangel extrem verschärft. Ein neues Raumordnungsgesetz soll hier Abhilfe schaffen.

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Der Wohnungsengpaß in Innsbruck wird durch Baugrundmangel extrem verschärft. Ein neues Raumordnungsgesetz soll hier Abhilfe schaffen.

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Junge Menschen auf Wohnungsuche in Innsbruck: „Erschwingliche" vier Wände sind selten wie ein Lotto-Sechser. Für familiengerechte Wohnungen auf dem freien Markt wird oft schon der Durchschnittslohn eines Werktätigen verlangt. „Sozialwohnungen", errichtet von Gemeinnützigen, besiedelt durch die Stadt, verdienen dieses Attribut nicht mehr - dazu sind die Baukosten in der Vergangenheit zu sehr gestiegen. Mehr als 2.000 Anträge auf Wohnungszuteilung stapeln sich im städtischen Wohnungsamt; kann die Stadt einen befriedigen, flattern zwei neue auf den Schreibtisch.

Innsbruck leidet extrem unter Baugrundmangel: „Die Wohnungsnot ist weniger ein Finanzierungs- und Organisationsproblem als vielmehr eines der ungeheuren Enge des Raumes", analysiert Finanz-Stadtrat Bruno Wallnöfer. Auch für die Industrie-und Gewerbeschwäche der Tiroler Landeshauptstadt ist dies die Erklärung. Baugrund ist knapp und teuer; für die Richtlinien der Wohnbauförderung zu teuer.

Bürgermeister Romuald Niescher bringt das Problem auf den Punkt: „Sicher ist, und dies gilt für ganz Österreich: Wer an der Wohnungsnot der Bevölkerung vorbeigeht, der hat die Problematik dieses heißen Eisens, das in unserem Land wieder zu sozialen Spannungen führen könnte, nicht erkannt. Die Heimtücke am derzeitigen Wohnungsproblem liegt in dem Umstand, daß der Großteil der Bevölkerung davon nicht betroffen ist und so dieses Problem jene, die mit einer eigenen Wohnung versorgt sind, kaum interessiert. Nur für jene, die keine Wohnung haben, ist es etwas vom Schrecklichsten."

Es sei ein unerträglicher Zustand, „daß eine junge Familie auf normalem Weg, mit normalen Finanzmitteln ausgestattet, praktisch keine Wohnung mehr bekommen kann. Darauf muß eine Antwort erfolgen. Wenn man derart schwierige Probleme lösen will, dann muß man sich etwas trauen", rührt der Bürgermeister an bürgerlichen Tabus.

Wirksamstes Instrument dafür sei das Raumordnungsgesetz. Auf Landesebene haben die Parteien die politischen Diskussionen darüber beendet. Jetzt kommt das Gesetz in die Begutachtung, und somit wird auch die Stadt Innsbruck den Entwurf erhalten. Persönlich werde er sich mit aller Kraft dafür einsetzen, daß die Stellungnahme der Stadt so ausfällt, daß dieses Raumordnungsgesetz auf die Frage der Wohnungsnot eine ganz klare Antwort gibt.

Daß die Baugrundknappheit nicht der Spekulation alleine überlassen werden dürfe, sondern daß dirigistische Eingriffe der öffentlichen Hand möglich sein müßten, weil der Wohnungsnotstand außerordentliche Maßnahmen rechtfertigt - solche „Enteignungs"-Überlegungen hatten dem A AB-Bürgermeister schon in der Vergangenheit heftige Schelte seiner Wirtschaftsbund-Parteikollegen eingetragen (aber auch offene Zustimmung der SPÖ-Fraktion im Gemeinderat). Was ihn nicht hindert, neuerliche Vorstöße in diese „gefährliche" Richtung zu unternehmen:

„Eine realistische Möglichkeit" wäre es, so der Bürgermeister, das

„Südtiroler Modell" auch bei uns einzuführen. In Südtirol muß schon seit Jahrzehnten bei Umwidmungen von größeren Grundstücken von Freiland in Bauland die eine Hälfte dem sozialen Wohnbau zur Verfügung gestellt werden, während die andere Hälfte im freien Wohnbau verwertet werden kann. Niescher: „Würde man diesem Modell bei uns nähertreten, müßte festgelegt werden, wie teuer diese Grundstücke sind und gleichzeitig muß auch ihre Verfügbarkeit garantiert sein. Konkret heißt das, daß

sie den Gemeinden oder den gemeinnützigen Bauvereinigungen angeboten werden müssen. Ein solcher Beschluß wäre ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung."

Zum „Südtiroler Modell" sei zu sagen, daß es sich im Tirol südlich des Brenners praktisch um die gleiche Landschaftsstruktur und um ähnliche politische Strukturen handelt. „Es ist also eine wirklich vergleichbare Situation und ein Gedanke, dessen sich auch ein Bürgermeister einer bürgerlichen Partei nicht zu schämen braucht. Meine Meinung daher: Das kommende Raumordnungsgesetz ist die einzige reelle Chance zur Linderung der Wohnungsnot."

Die Gründe dafür, daß trotz mäßig steigender Bevölkerung und ständiger Zunahme der Wohnungen diese hinten und vorne nicht reichen, sind auch im gesellschaftlichen Verhalten zu suchen. Trauriger Alltagsfall: die Scheidung. Bisher hatte die Familie ihre Wohnung. Plötzlich braucht einer der Ehepartner, meist mit Kindern, ein neues Heim: eine weitere Wohnung. Oft ein auswegloses Unterfangen. Niescher: „Es müssen daher Instrumente geschaffen werden, die den Sozialauftrag des städtischen Wohnungswesens erhalten helfen."

Finanz-Stadtrat Bruno Wallnöfer sagt es ähnlich diplomatisch, doch um nichts weniger klar: „Wir werden vorsichtig, aber doch mit der nötigen Konsequenz die Raumordnungsinstrumente so erweitern, daß wir zu gerechten und fairen Bedingungen auf die Nutzung der noch vorhandenen Grundstücke Einfluß nehmen können, wobei für die Eigentümer natürlich eine faire Behandlung zu angemessenen wirtschaftlichen Bedingungen sichergestellt werden soll."

Aufgrund der besonderen Enge des Raumes gibt es keine disponiblen Reserveflächen mehr, der soziale Wohnbau ist also darauf angewiesen, daß vorhandene private Grundstücke zu noch tragbaren Bedingungen dem sozialen Wohnbau zugeführt und für diesen Zweck aktiviert werden.

Es gibt noch eine Reihe weiterer interessanter Vorschläge (siehe Kasten). Etwa den Dachgeschoß-Ausbau: nur bei zwölf Prozent der Häuser (11.500 Gebäude) ist das Dachgeschoß für Wohnzwecke hergerichtet. Man sollte auch das Mietrecht ändern. Dies alles ist langwierig und teuer. Trotzdem wird man die Wohnungsnot nur mit einer Kombination aller Maßnahmen lindern können.

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