6786632-1970_16_05.jpg
Digital In Arbeit

Freibrief für Enteignungen?

Werbung
Werbung
Werbung

In den Verhandlungen um die Bildung der neuen Bundesregierung erweist sich das Kapitel „Wohnungswesen“ vor allem deshalb als so schwere Hürde, weil das Thema nach wie vor mit unzähligen Hypotheken und Zwangsvorstellungen belastet ist. Sind die Gegensätze unüberbrückbar?

Zumindest jener Mann, der in der ÖVP-Alleinregierung die Neuordnung des Wohnungswesens in Gesetzestform zu bringen hatte, Bautenminister Dr. Kotzina, verneint dies in Couloirgesprächen. Er hält eine Einigung dann für möglich, wenn auch ein Wille zur Koalition wirklich vorhanden ist. Dr. Kotzina zieht seine Schlüsse aus den Erfahrungen der letziten vier Jahre und verweist darauf, daß schließlich sowohl die „kleine Wohnungsreform“ als auch das Wohnungsverbesserungsgesetz mit sozialistischer Zustimmung verabschiedet worden seien. Beim Wohnbauförderungsgesetz 1968 wären die Sozialisten lediglich wegen der starken Ausrichtung auf das Wohnungseigentum nicht mitgegangen. „Warum sollten also jetzt Kompromisse nicht möglich sein?“ fragt Kotzina.

Tatsächlich ist das Wollen der beiden Parteien auf dem Wohnungssektor keineswegs in den Zielen so diffe-rent, wie es auf den ersten Blick aussehen mag. Auffassungsunterschiede gibt es allerdings über den Weg, wie diese Ziele zu erreichen wären. Und hier steckt des Pudels ideologischer Kern. Beide Parteien wollen die Qualität des Wohnungsbestandes verbessern und treten für einen verstärkten Wohnbau ein. Die Sozialisten begehren ein Assanierungsgesetz, und die ÖVP anerkennt die Notwendigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen auf diesem Gebiet. Für eine Einigung besteht daher ein beachtlicher Spielraum, sofern man sich vor allem bei der SPÖ nicht auf die Durchsetzung „gesellschaftsumwandelnder“ Ziele versteift.

Für den Wohnungsbau haben die Sozialisten vor allem im Wahlkampf die Steigerung der Wohnbauleistung um jährlich 5000 Einheiten mit dem Ziel verlangt, innerhalb von zehn Jahren zu einer Jahresbauleistung von 100.000 Wohnungen zu kommen. Die Fragen, die sich an diese Forderung knüpfen, sind politisch eher wertfrei. Es geht nur darum, wie eine so große Zahl von Neubauwohnungen finanziert werden soll. Die Sozialisten propagieren eine stärkere Beanspruchung des Kapitalmarktes, doch ist ihnen klar, daß dadurch Verteuerungen im Wohnbau unvermeidlich wären. Deshalb treten sie gleichzeitig für eine „soziale Absicherung“ in Form von Annuitätenzuschüssen und verbesserten Wohnbeihilfen zugunsten der Wohnungswerber ein.

Der Umweg, zusätzliche Finanzierungserfordernisse über den Kapitalmarkt aufzubringen, vermeidet zwar zunächst die Belastung des sowieso überstrapazierten Budgets und in der Folge unvermeidbare Steuererhöhungen, doch kommt man dann voraussichtlich bei den Annuitätenzuschüssen und Wohnbeihilfen rasch in des Teufels Küche. Dieses Geld wird wohl aus dem Budget stammen müssen, und es wird ohne neue Abgaben nicht aufzutreiben sein.

Hingegen glaubt die ÖVP, mit einem „Wohnungsdiskontgesetz“ den Schlüssel zur Finanzierung gefunden zu haben. Jene 38 Milliarden Schilling, die seit Kriegsende an öffentlichen Darlehen in den Wohnbau flössen, sollen — angereizt durch dieses Diskontgesetz — teilweise vorzeitig zurückgezahlt werden können. Auf diese Weise käme man ohne Belastung der Steuerzahler zu Milliardenbeträgen, mit deren Hilfe der Wohnbau entsprechend forciert werden könnte.

Eine besonders heikle Frage allerdings ist das Problem der Bodenbeschaffung und Assanierung, denn — und das ist auch der ÖVP klar — es sind auf diesem Gebiet Lösungen ohne Eingriffe in die Eigentumssphäre nicht möglich. Die Volkspartei ist gegenüber den Zielen des Gesprächspartners hier vorsichtig bis argwöhnisch. Dies nicht zu unrecht.

Im ersten Verhandlungspapier haben die Sozialisten nämlich ihre Pläne mit verblüffender Offenheit dargelegt. Es geht ihnen um die „planmäßige Anpassung“ der gegebenen Bodenbesitzverhältnisse an die „geänderten sozialen und wirtschaftlichen Anschauungen“. Diese Vorstellungen gehen, wie einem zweiten der ÖVP überreichten Papier zu entnehmen ist, weit über den Themenkreis „Wohnung“ hinaus. Die Sozialisten wünschen eine staatliche Kontrolle des gesamten Grundstücksverkehrs,verbunden mit einem Vorkaufsrecht der Gemeinden.

Neben der zwangsweisen Zusammenlegung von Grundstücken soll die Enteignung auch zum Zweck von Betriebsansiedlungen möglich sein. In diesem Maßnahmenkatalog erblickt die ÖVP den Versuch, in die Eigentumsverhältnisse an Grund und Boden in ganz Österreich einzugreifen.

Auf dem Wohnungssektor will die SPÖ neben den Gemeinden auch den gemeinnützigen Bauvereinigungen eine Enteignungslegitimation geben. Stimmen die Auffassungen der Parteien in der Frage der Assanierung weitgehend überein, so scheiden sich hier die Geister gewaltig. Schließlich befinden sich ein Großteil der Gemeinden und die überwiegende Zahl der gemeinnützigen Bauvereinigungen in sozialistischer Hand, so daß über die Bodenfrage im Wege der Gesetzgebung eine Änderung der Gesellschaftsordnung im sozialistischen Sinn mit weitreichenden Folgeerscheinungen erzielt werden könnte.

Dem setzt die ÖVP die Forderung nach Chancengleichheit und die Beschränkung der Maßnahmen auf das im Interesse der Wohnungswirtschaft erforderliche Mindestmaß entgegen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung