Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Nichts mehr gratis
Als gezielt bezeidineten auch SPÖ- Politiker die Indiskretion um das SPÖ-Wohnbaukonzept. In der Vorwoche hatten nämlich plötzlich der ORF und der „Kurier“ damit begonnen, detailliert über das sozialistische Wohnbauplanen zu berichten, noch bevor es vom Parteivorstand diskutiert wurde. Ziel dieser Indiskretion, so meint man „vertraulich“ in der SPÖ, sei es gewesen, alte Parteidogmatiker und Anhänger des Slogans „Mieten dürfen nicht erhöht werden“ und „die Wohnungen müssen vom Staat gefördert werden“ von vornherein auszuschalten.
Hatte sich nämlich die ÖVP in der Periode ihrer Alleinregierung bisher auf dem Wohnbausektor nur zu Detaillösungen durchgerungen, um nicht allzusehr in das Schußfeuer der Sozialisten zu kommen, die immer wieder betonten, die ÖVP sei eine Hausbesitzerpartei, so sind jetzt sozialistische Wohnbauexperten, die erstmals viele bisherige Dogmen auf dem Wohnbausektor über Bord warfen, wesentlich weiter gegangen als alle legislativen Schritte der derzeitigen Regierung, wie zum Beispiel das Wohnbauförderungsgesetz 1968 und das Mietrechtsänderungsgesetz.
Daß allerdings auch beim sozialistischen Wohnbaukonzept nicht alles Gold ist, was glänzt und was vom „Kurier“ als „Wohnbausensation“ bewertet wurde, das stellten Fachleute, die sowohl aus der ÖVP wie aus dem sozialistischen Lager kommen, bald nach Bekanntwerden der ersten Details fest.
Dabei stimmten diese Fachleute keineswegs mit den Argumenten via ÖVP-Pressedienst überein, die das sozialistische .Konzept . Tpjt den Wahnes sei weto Wjijk wirtsma£ÜH Tfchtig fflKsf waBtt tumsfreundlich noch sei einkommenpolitisches Denken Pate gestanden“, verwarf. Im Gegenteil,
derartiges einfaches Abtun durch die offizielle ÖVP-Parteiargumentation wurde eher als Oberflächlichkeit abgetan.
Denn tatsächlich haben die Sozialisten, sofern dieses Konzept auch wirklich den Parteivorstand passiert, wesentliches Neues gegenüber den bisherigen Einstellungen ihrer
Wohnbaupolitiker zu bieten. So zeigen die neuen Finanzierungsvorschläge für den Neuwohnungsbau, daß man von der Vorrangigkeit der nur staatlichen Förderung zu einer stärkeren Inanspruchnahme des
Kapitalmarktes und auch des Privataufkommens zu schreiten gedenkt, als dies zum Beispiel im Wohnbauförderungsgesetz 1968 der Fall ist,
9 daß man den Annuitätenzuschuß zugunsten des Direktdarlehens stärker forcieren will,
• und schließlich vor allem, daß man vom lange gehegten ungeschriebenen Parteigesetz, der Kronenimiet- zins für Altwohnungen sei das einzig Richtige, abgehen will und dem echten Wohnwert der Wohnungen angemessene Mieten genehmigen will.
Die Sensation schlechthin war aber, daß dabei den Althausbesitzern, die bisher nur als „Spekulanten und Zinsgeier“ bezeichnet wurden, möglich gemacht wird, die Miete in Höhe des echten Wohnwer- tes zu kassieren.
Das ist zweifellos die erfreulichste Seite des neuen SPÖ-Wohnbaukon- zeptes, da man endlich gewillt ist, alte Dogmen zugunsten modernerer wirtschaftlicher Erkenntnisse über Bord zu werfen.
Die Fachleute dagegen bekritteln ganz andere Punkte des SPÖ-Wohn- bauprogrammes. So vertritt man die Meinung, daß Illusionsziffem als Schlaigseilen für die wahltaktische Auswertung oft zuungunsten sach- Kch Äfgü !wf!r in das SPÖ-Pro- gramrn Eingang gefunden hätten. Denn hatte man im Jahre 1959 den Bau von 50.000 Wohnungen im Wahlprogramm der ÖVP gefordert und dieses Ziel erst 1967 erstmals er reicht, so spielt die sozialistische Partei in ihrem neuen Konzept mit
100.000 Wohnungen pro Jahr beziehungsweise einer Million bis 1980. Und hier sehen Wohnbaufachleute beider Couleurs keine Chance, daß diese Luftziffer tatsächlich erreicht wird. Denn
• die im SPÖ-Programm geplante stärkere Aktivierung des Kapitalmarktes ist tatsächlich und nicht nur nach der ÖVP-Argumentation sogar für die übrige heimische Wirtschaft zu eng geworden.
• Die Kosten für die Wohnung selbst würden, auch wenn man die Subjektförderung beibehält oder intensiviert, angesichts der Tatsache, daß auf die Wohnung noch weniger öffentliche Förderungsmittel entfallen sollen, zu hoch werden. Schon heute aber klagen die Wohnbaugenossenschaften, daß mit dem
Wohnlbauförderungsgesetz 1968 finanzierte Wohnungen schwerer anzubringen sind,
• und außerdem bezweifelt man, daß tatsächlich 100.000 Wohnungen pro Jahr in Österreich gebraucht werden, da derzeit nicht nur frei finanzierte Wohnbauten, sondern auch günstige öffentlich geförderte Wohnungen schwer verkäuflich sind. Zustimmend wohl deswegen, weil sie von solcher Neubautätigkeit am meisten profitiert, verhielt sich die Bauwirtschaft, die erklärte, sie könne solch hinaufgeschraubte Wohnbauleistung bei Vergabe größerer Baulose und weiterer Konzentration in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft ohne weiteres verkraften. Dagegen spricht allerdings, daß man in den Bundesländern und hier aüttf lEa3enf žž8tf Bi.ra rlgjer ten — eine Ausweitung-des Wohn ’ bauės ' lh'"deh "letžten Jaftfėii in Grenzen gehalten hat, mit der Angst im Genick, mehr Aktivität auf dem Wohnbausektor könnte nur ein Steigen der Baukosten, keineswegs aber eine wesentliche Erhöhung der
Fertigstellungsziffer, mit sich bringen.
Die Kritiker erwachen
So bezweifelt man nicht nur, daß die Bauwirtschaft schon in absehbarer Zeit in der Lage wäre, eine Verdoppelung der jährlichen Wohnbauleistung zu verkraften, sondern man vertritt vielmehr die Meinung, daß es bei einer solchen Kapazitätsausweitung den sozialistischen Gewerkschaftschefs kaum gelingen würde, die im Gewerkschaftsbund sehr starke Bauarbeitergewerkschaft in ihren Forderungen im Zaum zu halten.
Da man trotzdem zu dieser vorzeitigen Publizierung, wenn auch durch geheime Kanäle, schritt, wertet man in der SPÖ keineswegs als Maßnahme, um den Parteivorstand zu präjudizieren, man vermutet vielmehr, daß der Parteivorstand selbst dies schweigend duldete oder sogar forderte, um von vorneherein die Gegner einer solchen revolutionierenden Wohnbaugesinnung in der SPÖ im Parteifußvolk zum Schweigen zu bringen. Denn die Wohnbau revolution kam in diesem Fall vom Parteivorstand und vop seinen beratenden Technokraten, darüber ist man sich im klaren. Ob dieses Konzept allerdings ähnlich kritiklos wie das Wirtschaftsprogramm innerhalb der Partei ertragen wird, darüber ist man sich bei der SPÖ nicht sicher. Die Hausbesitzer, um deren Gunst jedenfalls gebuhlt wurde, haben bereits eine Absage erteilt.
In Hinkunft sollen die österreichischen Wohnungen jedenfalls größer werden, erklärt das sozialistische Wohnbauprogramm. 70 Quadratmeter werden das Idealziel der Durchschnittsgröße bei Neubauwohnungen sein, versichert man dabei. Daß aber schon jetzt der österreichische Neubauwohnungsdurchschnitt bei 72 Quadratmetern liegt und nur im sozialistisch regierten Wien man seit Jahren über die 60 Quadratmeter nicht hinauskommt, vergißt man. Das stärkste Argument allerdings gegen den „Wohnbauplan der 100.000 Wohnungen“ werfen die Architekten in die Diskussion: „Das bringt unweigerlich eine Verewigung des Emmentalerstils.“
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!