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SOLIDARITÄT IST GEFRAGT

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Heute ist die christlich-soziale Wohnungspolitik mehr denn je gefordert, die alten Prinzipien hoch zu halten. Diese haben dazu beigetragen, daß Österreichs Wohnverhältnisse europaweit einmalig geworden sind.

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Heute ist die christlich-soziale Wohnungspolitik mehr denn je gefordert, die alten Prinzipien hoch zu halten. Diese haben dazu beigetragen, daß Österreichs Wohnverhältnisse europaweit einmalig geworden sind.

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Die Entwicklung der Katholischen Soziallehre im 19. Jahrhundert entwickelte sich aus der Auseinandersetzung mit der sozialen Frage, im starken Widerspruch zu Liberalismus und Marxismus. Lehnte der Liberalismus jeden Eingriff des Staates in die Wirtschaft ab - der freie Markt soll alles regeln -, so wollte der Marxismus eine totale staatliche Regulierung unter gänzlichem Ausschluß der Marktmechanismen.

Die Katholische Soziallehre hingegen entwickelte drei Prinzipien:

□ Personenprinzip: Der Mensch ist Träger, Schöpfer und Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen.

□ Solidaritätsprinzip: Der einzelne und die Gemeinschaft haben gegenseitige Verpflichtungen.

□ Subsidiaritätsprinzip: Die höhere staatliche Einheit darf nur dann Funktionen an sich ziehen, wenn die Kräfte der niedrigeren Einheit nicht ausreichen.

Eine christlich-soziale Wohnungspolitik hat sich daher immer an dieser Grundhaltung orientiert. Spannungen zwischen diesen Prinzipien auszugleichen, ist die tägliche Aufgabe der Wohnungspolitik. Dies zeigt sich wie folgt:

Das Personenprinzip schlägt sich in der Wohnungspolitik im starken Bekenntnis zum Eigentum nieder, um den Menschen unabhängig zu machen. Christlich-soziale Politiker haben sich schon in der Zwischenkriegszeit bemüht, dem Einfamilienhausbau gegenüber dem von den Sozialdemokraten forcierten Wohnblockbau den Vorzug zu geben. 1948 haben Politiker der ÖVP das neue Rechtsinstrument des Wohnungseigentums im Parlament durchgesetzt, das letztlich das Eigentum im Wohnblock erst ermöglichte.

Die Wohnungspolitik der Christlich-Sozialen und der ÖVP war immer von einer Stärkung des Eigentumsgedankens ausgegangen. Der Vergleich der Eigentümer- und der Wohnbauförderungsstruktur zwischen Wien und Tirol zeigt auf, daß die Priorität für das Eigentum seit Jahrzehnten tatsächliche bürgerliche Politik und nicht nur Programm ist. Wie erfolgreich insgesamt diese Politik ist, zeigt die Eigentümerstruktur des österreichischen Hausbestandes auf. Wir haben mehr Wohnungsbestände in den Händen der Bewohner als zum Beispiel Deutschland oder die Schweiz!

Die heutige Wohnungsknappheit ist nur mit dem Bekenntnis zu beseitigen, daß der kleine und mittlere Verdiener ohne Hilfestellung des Staates noch nie ein gesichertes „zu Hause" erreichen konnte. Die Sicherung der Familien ist nur mit weiteren Budgetmitteln für die Wohnbauförderungs-fonds möglich. Die Priorität einer christlich-sozialen Politik muß sich daher auf die Sicherung beziehungsweise den Ausbau der bisherigen Mittelzuflüsse zu den Wohnbauför-derungsschienen konzentrieren. Die heutige Wohnungsknappheit ist auch durch die vor wenigen Jahren erfolgte Reduzierung der Wohnbauförde-rungsmittel entstanden. Damals glaubten viele, daß sich der Staat aus diesem Bereich langsam zurückziehen kann - der Markt werde Angebot und Nachfrage bestimmen - eine Fehlhaltung, die heute ausgebessert werden muß. Die Forcierung der Eigentumswohnung, beziehungsweise des Ein-familien- und Reihenhauses ist weiter richtig. Sie stößt allerdings durch die Raumordnung an eine neue Grenze. Grund und Boden für die nächste Generation muß gesichert werden. Beide Güter sind gegeneinander abzuwägen. Es ist ein Unterschied, ob der Einfamilienhausbau im Südburgenland oder im Tiroler Unterland forciert werden soll!

Das Solidaritätsprinzip in der christ-lich-sozialen Wohnungspolitik schlägt sich unter anderem in der Unterstützung der Baugenossenschaften nieder. Der von allen Österreichern seit Jahrzehnten monatlich bezahlte Wohnbauförderungsbeitrag ermöglicht - als Teil einer dem Gedanken der sozialen Marktwirtschaft entsprechenden Umverteilung - die Förderung der kleinen und mittleren Verdiener.

Derim Miet-, Wohnbauförderungs-und Wohnungsgemeinnützigkeits-recht enthaltene Kündigungs- und Preisschutz ist ein Teil dieses Prinzips. Allerdings darf die Regulierung im privaten Miethausbestand nicht so weit gehen, daß der Eigentümer - wie in den letzten Jahrzehnten- nahezu enteignet wird!

Das Solidaritätsprinzip ist in einer christlich-sozialen Wohnungspolitik bei der Beurteilung der Grundeigentumsfrage ein entscheidender Aspekt. Weder darf sich diese Politik brutal über das Eigentum hinwegsetzen, noch ist der Grundeigentümer Von allen Pflichten befreit, über raumordnungspolitische Maßnahmen, die ohne Zweifel Einschränkungen für den Grundeigentümer mit sich bringen, ist ein Ausgleich sicherzustellen. Dies ist gerade in den Ballungsräumen die wichtigste Frage, um die Grundlage für weitere Wohnbauten überhaupt zu ermöglichen.

Wenn man die Anzahl der Scheidüngen beziehungsweise der sich trennenden Lebensgemeinschaften mit Kindern kennt, so kennt man die Not dieser Menschen. Viele „Aussteiger", die mit ihrem Leben nicht fertig werden, die irgendwo in einem Winkel hausen, benötigen die Solidarität der Gesellschaft, die ihnen ein sicheres Zuhause gewährleisten soll. Diese Solidarität darf aber nicht so extrem ausgelegt werden, daß die „anderen" Wohnungssuchenden auf der Strecke bleiben.

So sind auch die gemeinnützigen Bauträger ein Teil der Solidarität der Gesellschaft. Sowohl mit den von Obdachlosigkeit Bedrohten, als auch mit den Jungfamilien, sie sich am Beginn ihrer Berufslaufbahn eine Wohnung zu Marktpreisen nicht leisten können.

Das Solidaritätsprinzip erfordert heute auch, daß die Länder ihre Wohnbauförderungsgelder vermehrt dem Neubau und weniger der Althaussanierung zuführen, wo die sehr oft schon billigen Mieten noch subventioniert werden.

Der manchmal geförderte Verkauf der sogenannten Sozialwohnungen an die Mieter muß auch unter dem Solidaritätsprinzip betrachtet werden. Der Verkauf bedeutet, daß diese Wohnung nach einer Freimachung nicht mehr den Bedürftigen zukommt. Die Gemeinde verliert dann zunehmend die Möglichkeit, ihre „Sorgenkinder" mit kostengünstigem Wohnraum zu bedienen.

Das Subsidiaritätsprinzip im Wohn-

54 Prozent aller österreichischen Haushalte leben in eigenen Häusern oder Wohnungen, nur41 Prozent wohnen zur Miete. Fünf Prozent haben Dienstwohnungen oder andere Gratiswohnmöglichkeiten.

Abgesehen von den Landwirten, die auf ihren eigenen Höfen leben, hängt der Eigenheimbesitz stark vom Einkommen ab. So ist die Quote mit 69 Prozent der Haushalte bei den Selbständigen doppelt so hoch wie bei Hilfsarbeitern mit 34 Prozent. Quelle: Österreichisches Statistisches Zenralamt bau setzte sich vor einigen Jahren -über Initiative bürgerlicher Politiker - bei der Verländerung der Wohnbauförderung durch. Eine alte Forderung der Bundesländer gegenüber der Republik wurde erfüllt.

Die Subjektförderung - ob mit Wohnbeihilfe oder Darlehen - war immer schon Teil der bürgerlichen Wohnungspolitik.

Die Unterstützung der Einfamilien-beziehungs weise Reihenhausbauer im Bereich der Gemeindepolitik oder der Wohnbauförderung ist Hilfe zur Selbsthilfe und Zeichen der Subsidiarität.

Heute ist die christlich-soziale Wohnungspolitik mehr denn je gefordert, die alten Prinzipien hoch zu halten, die bis heute schon beigetragen haben, daß Österreich Wohnverhältnisse hat, die europaweit einmalig sind. Wer hat unserem Land noch vor 40 Jahren zugetraut, die Flüchtlinge unterzubringen, die Barackenlager und die Kellerwohnungen aufzulösen, die Belagsdichten der Wohnungen auf ein menschliches Maß zu reduzieren, die Bombenschäden auszubessern, die Obdachlosigkeit nahezu zu beseitigen und den großen Nachholbedarf in der Instandhaltung der Substanz so rasch zu reduzieren?

Es bleibt aber noch viel zu tun! Viele glauben ja noch immer, daß der soziale Wohnbau einmal nicht mehr notwendig sein wird, der Markt werde auch diesen Wirtschaftsbereich regeln. Es ist der Blick über unsere Grenzen hinaus gefordert, um zu erkennen, daß auch in den reichsten Ländern ohne sozialen Wohnbau die Verarmung und Verelendung von Bevölkerungsgruppen programmiert ist. Je stärker der Wettbewerb in der Wirtschaft ist, desto stärker bedarf es des sozialen Ausgleichs.

Die christlich-soziale Politik hat in Österreich entscheidend beigetragen, zwischen dem ungebremsten freien Wohnungsmarkt und der totalen staatlichen Regulierung auszugleichen. Mit beiden Extrempositionen wären wir in der Wohnraumversorgung Österreichs nie zu Rande gekommen. Diese erfolgreichen Prinzipien der Katholischen Soziallehre, die immer prägend für die bürgerliche Wohnungspolitik war, sind moderner denn je zuvor. Wir müssen sie bewußter anwenden, um den Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen herbeizuführen.

Der Autor ist Geschäftsführer der „Neuen Heimat Tirol" und Lektor an der juridischen und technischen Fakultät der Universität Innsbruck.

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