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Durcheinander in der Wohnungsfrage

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Selbst größte Optimisten haben sich von den seit längerer Zeit zwischen den Regierungsparteien schwebenden Verhandlungen nicht eine umfassende Neuordnung unserer Wohnungspolitik erwartet; dennoch hat die unvermutete Erklärung der Sozialisten, sie würden jede weitere Erörterung der Mietzinsfrage ablehnen und die Bevölkerung vor der von der ÖVP angeblich geplanten Erhöhung der Mietzinse auf das Vierfache bewahren, stärkstes Befremden in weiten Kreisen erweckt, die immer noch gehofft haben, die Regierungsparteien würden zu realistischen Vereinbarungen kommen. Die schwerwiegenden Gegensätze der Koalitionsparteien in dieser Frage zeigen sich wieder einmal in den scharfen gegenseitigen Beschuldigungen anläßlich des Scheiterns- der Wohnbauverhandlungen. Mit Recht wurde die Wohnungsfrage als das schwierigste innenpolitische Problem bezeichnet; noch mehr.als in der Ersten Republik wurde es nach 1945 völlig politisiert und zxx einer der am meisten unsachlicher Kritik und demagogischem Mißbrauch unterworfenen Fragen der Innenpolitik. Die Erkenntnis, daß nicht durch einzelne punktuelle Maßnahmen, sondern nur durch ein umfassendes Gesamtkonzept für eine Neuordnung der Wohnungswirtschaft eine Beseitigung der Wohnungsnot möglteh ist, ist zwar nicht neu, es wurde ihr aber bisher nicht durch konsequente Maßnähmen Rechnung getragen, und zwar von beiden Regierungsparteien.

Seit einigen Jahren ist ansatzweise so etwas wie eine wirtschaftspolitische Diskussion über die Wohnungspolitik auch bei uns in Gang gekommen; die Forschungsgesellschaft für den Wohnungsbau, die wirtschaftspolitischen Blätter und andere Zeitschriften (so auch die „Furche“), unter den Tageszeitungen, vor allem die politisch ungebundenen, haben sich um die Anregung und Belebung dieser Diskussion bemüht. Während in anderen westeuropäischen Staaten, so vor allem in der Bundesrepublik Deutschland, -eiae Diskussion auf breiterer Basis entscheidenden Einfluß auf die Wohnungspolitik' nehmen konnte, darüber hinaus aber dazu beigetragen hat, daß breiteste Kreise der Bevölkerung Verständnis für die Notwendigkeit der Übernahme gewisser Lasten bei der Beseitigung der Wohnungsnot aufbringen, war dies in Österreich ganz anders: Die österreichische Wohnungspolitik (falls man das Konglomerat sinnwidriger und widersprechender Maßnahmen in diesem Bereich so bezeichnen will) ist ausschließlich das Produkt der „reinen Praktiker“, an denen unsere Wirtschaftspolitik nicht gerade arm ist. Die Wohnungspolitik ist innerhalb der beiden Regierungsparteien die Domäne gewisser Politiker, die heute in ihren Anschauungen so festgefahren sind, daß sie einfach nicht zusammenfinden können.

Eine Lösung der Wohnungsfrage ist in Österreich wieder einmal in weite Ferne gerückt; wir werden noch eine Wohnungsnot haben, wenn unsere westlichen Nachbarstaaten einen reichlichen Überschuß an Wohmaum besitzen werden. Dabei ist es mehr oder^ minder — im gesamten gesehen — ohne Belang, ob wir 30.000, 40.000 oder 50.000 Wohnungen im Jahr bauen. Sicher ist nur eines: Soviel Wohnungen, als der ungehemmt steigenden Nachfrage entsprechen würde, können wir nicht bauen. So lange die Wohnungen in einem derartigen Ausmaß unterbewertet sind wie bei uns, dehnt sich die Nachfrage weit über den echten Bedarf aus: Es kommt zu einem Horten von Wohnungen für minderjährige Kinder, zu einem Halten von Zweitwohnungen, vor allem nach dem Bezug von Neubauwohnungen durch das Behalten der Altwohnungen ist leider keine Statistik vorhanden, ein wie großer Teil unseres „sozialen“ Wohnbaues nicht sozialen Zwecken, sondern der Spekulation dient. Davon ist keine Kategorie des sozialen Wohnbaues ausgenommen. Während ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung in Wohnungen lebt, wie sie im allgemeinen in Mitteleuropa nur jenseits des Eisernen Vorhanges vorhanden sind, ist ein sehr erheblicher Teil der im sozialen Wohnbau errichteten Wohnungen ohne nennenswerte Gegenleistung an Personen vergeben worden, die man ohne weiteres zu einer Kostenbeteiligung hätte heranziehen können.

An der Unmöglichkeit, derzeit zu einer Einigung der beiden Regierungsparteien in der Wohnungsfrage zu kommen, ist nicht zuletzt der verderbliche Methodenmonismus schuld, der einigen der für die Wohnungspolitik maßgebenden Politikern vorschwebt. Bei den Sozialisten ist dies die geradezu fixe Idee vom kommunalen Wohnbau, bei der ÖVP die These von der alleinseligmachenden Eigentumswohnung. Weder in Belgien noch in Deutschland oder in einem der anderen Länder, die ihre Wohnungsnot beseitigt oder zumindest wirksam eingedämmt haben, war eine nur annähernd ähnliche einseitige Denkweise feststellbar. Vielmehr hat man, soweit bestimmten Wohnungsreformen eine Priorität zugebilligt wurde, an solche gedacht, bei denen die größtmögliche Kostenbeteiligung der Wohnungswerber möglich war. Das war vor allem das Eigenheim, für das auch bei uns hunderttausende Familien bereit sind (und nur bei dieser Wohnform), einen sehr e r-h e b 1 i c h e n Beitrag zu den Baukosten, vielfach auch durch Arbeitsleistungen, zu erbringen. Diese großzügige und umfassende Förderung des Eigenheimbaues durch Erweiterung der Steuerbegünstigung und Wohnbauprämien wäre aber erforderlich.

Es ist bei unseren Verhältnissen sinnlos geworden. Vorschläge für eine Neuordnung der Wohnungspolitik zu erstatten. Derartige brauchbare Vorschläge liegen auch in den oben erwähnten Publikationen in Fülle auf. Mit Rücksicht auf * die faktische Unmöglichkeit einer Lösung des Wohnungsproblems im Wege einer Einigung der beiden Regierungsparteien auf Bundesebene scheint es aber wichtiger, zunächst einen in den letzten Monaten wiederholt zur Diskussion gestellten Vorschlag in Erinnerung zu rufen: nämlich den, die Gesamtkompetenz in der Wohnungspolitik vom Bund auf die Länder zu übertragen! Dafür spricht nicht nur das Versagen auf Bundesebene, sondern vor allem die Tatsache, daß die Wohnungswirtschaft ihrer Struktur nach sehr verschieden in den einzelnen Bundesländern ist. Nicht nur der Anteil der Mietwohnungen am Gesamtwohnungsbestand ist nach Bundesländern sehr verschieden, sondern ebenso die Art der Mietzinsbildung und damit die Höhe der Mieten, weiter der Anteil der Eigenheime, das Baualter, die Eigentumsverhältnisse und die Wohnungsdichte. Daher wäre wohl den Landtagen eine auf die spezifischen Verhältnisse der einzelenen Bundesländer abgestellte Neuordnung leichter möglich als dem überlasteten Bundesgesetzgeber. Vor allem aber hätten die Landtagsabgeordneten und die Mitglieder der Landesregierungen in der Regel doch mehr Zeit, sich mit dieser schwierigen und vielseitigen Materie der Wohnungswirtschaft zu befassen. Und die Behandlung des Wohnungsproblems käme in neue Hände, was die wichtigste Voraussetzung für eine Lösung wäre.

Schon bisher haben einige Bundesländer im Rahmen ihrer derzeitigen Zuständigkeit eine bemerkenswerte Initiative in der Wohnungspolitik bewiesen, allen voran Vorarlberg, dessen Landeshauptmann sich wiederholt für eine Kompetenzverschiebung in der Wohnungspolitik vom Bund auf die Länder ausgesprochen hat. Mit einer solchen Lösung könnte auch ein entscheidender Beitrag zur Stärkung des Föderalismus erbracht werden.

Wenn den Parteien aber dieser Weg nicht gangbar erscheint und sie ernsthaft eine Lösung auf Bundesebene anstreben, dann müßten bjde Regierungsparteien ein Team von Fachleuten berufen, die gewiß Grundlagen für ein Gesamtkonzept erarbeiten könnten. Mit den bisherigen Methoden geht es jedenfalls nicht mehr.

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