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Sachliche Bodenpolitik tut not

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Die österreichische Wirtschaftspolitik kennt eine Reihe von Fragen, die bisher kaum je nach sachlichen, sondern in der Hauptsache nur nach politischen Gesichtspunkten erörtert wurden. Das Wohnungsproblem ist dafür nur das eindrucksvollste, keineswegs das einzige Beispiel, das damit eng zusammenhängende — aber weit darüber hinausgreifende — Bodenproblcm ein nicht minder augenfälliges. Das Bodenproblem ist dabei für die Zukunft unserer Gesellschaft nicht weniger bedeutend als das Wohnungsproblem. Dem trägt die Entwicklung in den meisten westlichen Staaten heute Rechnung. Gerade jene Staaten, die ihr Wohnungsproblem mehr oder minder gelöst haben, verfügen über eine wirksame Bodengesetzgebung, die ihnen die Durchführung großzügiger Städte- und raumplanerischer Maßnahmen ermöglicht.

Kurzatmige Lösungen

Die wichtigsten Aufgaben einer auf weite Sicht erstellten Bodengesetzgebung liegen heute darin, den Städte-und Landesplanungen die nötige Autorität zu geben, um langfristige Planungen nicht nur am grünen Tisch zu erarbeiten, sondern diese auch in die Wirklichkeit umzusetzen. Während etwa die Aufgaben des Wohnungsbaues und die Lösung des Verkehrsproblems heute im Westen weithin im Rahmen umfassender Gesamtplanungen erfolgen, überwiegen in Österreich kurzfristige Lösungen. So wurde in größeren Städten — vor allem in Wien — im großen und ganzen bisher dorthin gebaut, wo gerade Baugrund zur Verfügung stand. Sehr spät setzten die Bemühungen um die Erarbeitung städtebaulicher Konzepte ein; soweit solche vorhanden sind, sollten nunmehr endlich alle Voraussetzungen geschaffen werden, zu Lösungen im Rahmen dieser Planungen zu kommen.

Es setzt sich heute immer mehr die Erkenntnis durch, daß moderne Städte nicht nur dadurch entstehen, daß man alte Häuser durch neue ersetzt, sondern nur durch eine sehr weitgehende Neuordnung der Stadtstruktur. Für Wien geht es dabei vor allem um eine fühlbare Auflockerung einer viel zu dichten Verbauung.

Warum die Bodenpreise steigen

Eine moderne Bodengesetzgebung hätte auch die Aufgabe, dem Zug nach fortgesetzter Steigerung der Baugrundpreise entgegenzuwirken. Hier dürfen wir uns allerdings keine vollkommenen Lösungen erwarten. Die Tendenz zur ständigen Steigerung der Baugrundpreise ist für die hochentwickelte industrielle Wirtschaft ebenso typisch wie das Ansteigen der Reallöhne. Wir rinden diese Entwicklung des ständigen Ansteigens der Bodenpreise heute in allen Industriestaaten, und zwar nicht nur für städtische Grundstücke, sondern auch für landwirtschaftliche. Davon sind in der Regel nur Berggebiete ausgenommen. Diese Entwicklung hat mannigfache Ursachen: Zunächst den steigenden Bedarf für den Wohnungsund Siedlungsbau, den Straßenbau, ferner den wachsenden Bodenbedarf für industrielle und gewerbliche Zwecke, und nicht zuletzt die Bevölkerungsvermehrung. Ein weiterer Grund liegt in der schleichenden Geldwertver-minderung; sie macht eine Geldanlage in Grund und Boden rentabel. Natürlich ist auch die Bodenspekulation eine — aber eben nur eine — Ursache. Trotz dieser Faktoren vermag eine wohlüberlegte Bodengesetzgebung dem Ansteigen der Bodenpreise in gewissem Umfang entgegenzuwirken. Wie es aber nicht eine Ursache der Bodenpreissteigerung gibt, so darf auch die Bodenpolitik sich nicht auf eine Maßnahme konzentrieren, sondern sie muß über ein vielfältiges System übereinstimmender Interventionen verfügen.

Festgefahrene Fronten

In Österreich hat sich die Diskussion über das Bodenproblem vor allem deshalb festgefahren, weil die sozialistischen Initiativen in der Bodenpolitik völlig einseitig die Enteignung als Mittel der Bodenpolitik in den Entwürfen eines Assanierungs- und eines Bodenbeschaffungsgesetzes allzusehr in den Vordergrund gestellt haben. Vergleicht man damit etwa das Bundesbaugesetz der Bundesrepublik Deutschland mit seiner Vielzahl boden-

politischer Maßnahmen, wird der Unterschied zwischen einer sachlichen und einer „politischen“ Bodengesetzgebung deutlich. Das deutsche Gesetz gibt weithin steuerpolitischen Maßnahmen — Erhöhung der Grundsteuer für baureife Grundstücke auf das Vier- bis Sechsfache, Festlegung gesonderter Hebesätze der Gemeinden — vor der Enteignung den Vorzug, verpflichtet die Gemeinden zur ausreichenden Ausweitung und Erschließung von Baugebieten, sieht die Bezahlung entsprechender Erschließungsbeiträge durch die Grundeigentümer vor; sie räumt auch den Gemeinden Vorkaufsrechte bei Grundstücksverkäufen ein, allerdings nicht sosehr für einen kommunalen Wohnbau, sondern um den Bauwilligen zu Baugrund zu verhelfen. Schließlich sieht das Gesetz Gutachterausschüsse bei den Gemeinden und Landkreisen vor, die über die Grundstückspreise informieren sollen. Wohl kennt auch das deutsche Gesetz die Enteignung, aber nicht als erstrangiges Mittel, sondern als eine Maßnahme unter mehreren.

In Österreich geht es darum, beim Bodenproblem ebenso wie in der damit

so eng zusammenhängenden Wohnungsfrage aus einer in parteipolitischen Doktrinen erstarrten Diskussion herauszukommen. Heute entsteht der Eindruck, daß sich die eine Regierungspartei von einer Bodenpolitik distanziert, die andere dagegen sich von Bodengesetzen mit weitestgehenden Enteignungsmöglichkeiten eine Bereinigung aller offenen Probleme verspricht. Die Wirksamkeit von Bodengesetzen, die die Enteignung im allgemeinen und die Begünstigung der

Gemeinden und Genossenschaften einseitig in den Vordergrund stellen (wie dies bei den Entwürfen eines Boden-beschaffungs- und Assanierungsgesetzes der Fall ist), kann aber der Natur der Sache nach nicht die gleiche sein wie die einer systematischen Bodenpolitik in einer mehr marktwirtschaftlich geordneten Wohnungswirtschaft. So wichtig eine Bodenpolitik in unserer Zeit ist, so notwendig auch Enteignungsmöglichkeiten zur Assanierung und Durchführung anderer Maßnahmen des Städtebaues heute sind, müssen die bodenpolitischen Maßnahmen doch auch mit den Normen des Rechtsstaates im Einklang stehen und auch mit der herrschenden Wirtschaftsordnung übereinstimmen.

Zweimal Demagogie

Der enge Zusammenhang wohnungspolitischer und bodenpolitischer Maßnahmen beweist, wie notwendig ein Einigung der Regierungsparteien übei ein wohnungs- und bodenpolitisches Gesamtkonzept ist. Es ist reine Demagogie, wenn glaubhaft gemacht wird daß eine isolierte Bodenpolitik der Notwendigkeiten unserer Zeit Rechnung trägt; es ist aber nicht mindea Demagogie, wenn die Notwendigkeil einer wirksamen Bodenpolitik für ein moderne Städte- und Raumplanung geleugnet wird. Es ist nicht richtig, daf!

die verantwortlichen Politiker der Regierungsparteien heute die eine oder die andere Auffassung deutlich vertreten; in der Öffentlichkeit entsteht allerdings weitgehend der Eindruck, daß sich die eine Partei allzuviel von gewissen wohnungspolitischen Maßnahmen verspricht und jede Bodenpolitik ablehnt, die andere wiederum glaubt, mit dem Bodenbeschaffungsund Assanierungsgesetz allein das Wohnungs- und Bodenproblem lösen zu können. Die Wahrheit liegt in der Mitte.

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