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Wohnungen bauen!

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Es gibt kaum eine staatliche Einrichtung, die das allgemeine Interesse so wachgerufen hat wie der Wohnhaus-Wiederaufbaufonds. Es gibt aber auch keine Einrichtung, die so der öffentlichen Kritik unterworfen ist wie dieser Fonds. Was sind die Ursachen des Interesses und der Kritik?

Beleuchten wir einmal den Wohnhaus-Wiederaufbaufonds nicht als Problem der Wohnungswirtschaft mit ihrer politischen und sozialen Zwiespältigkeit, sondern ausschließlich vom Standpunkt der Vor- und Nachteile für die österreichische Wirtschaft.

Der Wohnhaus-Wiederaufbaufonds wurde geschaffen, um die tausende durch den Krieg zerstörten Wohnhäuser wiederaufzubauen und die durch die Zerstörung verursachte Wohnungsnot zu beheben. Kein anderer Staat in Europa hat den Mut gehabt, eine so großzügige Kriegsschadensbehebung ins Rollen zu Dringen wie Österreich mit der Verabschiedung des Wohn-baus-Wiederaufbaugesetzes.

Seien wir ehrlich! Wie viele erinnern sich heute noch an die Straßen von Ruinen, die deT letzte Krieg geschaffen hat? Wer denkt noch an die Ruinenplätze der tausende Häuser, die zur Sanierung des Stadtbildes von Wien durch diesen Fonds aufgebaut wurden? Wer denkt noch daran, daß in Bregenz in der Kaiserstraße, daß in Innsbruck in der Umgebung des Goldenen Dachls der größte Teil der Häuser zerstört, daß die Kaigasse in Salzburg ein Ruinenfeld war und daß ganze Stadtviertel in Linz und Graz in Trümmern lagen? Wer denkt noch daran, daß es in Österreich Kleinstädte — wie Wiener Neustadt — gab, die ein Trümmerfeld waren? Schlichte Bronzetafeln, die die Mutigen an der Außenfront der-edelverputzten neuen Häuser, die Zaghafteren bescheiden versteckt im Stiegenhaus angebracht haben, geben Zeugnis, daß die Mittel für diese Bauten der Wohnhaus-Wiederaufbaufonds zur Verfügung gestellt hat. Wenn fünfzehn Jahre nach Kriegsende in Österreich noch irgendwo eine Ruine traurig im Stadtbild steht, wie die des ehemaligen Dianabades am Donaukanal in Wien, ist es sicher ein Bau, für den die Mittel des Wphnhaus-Wiederaufbaufonds nicht gegeben werden können, weil er kein Wohnhaus war.

Durch den Anteil des Wohnhaus-Wiederaufbaufonds an der Sanierung der österreichischen Städte hat zunächst das Ansehen der österreichischen Städte seinen Vorteil gezogen. Fremde, die in größeren Zeitspannen wieder nach Österreich kommen, bewundern das rasche Aufbauwerk des kleinen Österreich.

Wer in kriegszerstörte Städte außerhalb Österreichs kommt, wird die Folgen des Krieges an den Provisorien der ein- oder zweigeschossigen Bauten, meist für Geschäftszwecke, oder an den Parkplätzen auf den Ruinengründen erkennen. Die österreichische Jugend aber kennt die Verwüstungen ihrer Heimat nur noch aus Erzählungen.

Hand in Hand mit der Sanierung der Städte entstand neuer Wohnraum. Zirka 170.000 Familien haben mit Hilfe des Wohnhaus-Wiederaufbaufonds wieder ein Heim gefunden. 8,6 Milliarden Schilling flössen dadurch der österreichischen Wirtschaft in den vergangenen zwölf Jahren zu. Die österreichische Architektenschaft hat für Planungsarbeiten ihren Anteil an dieser Wirtschaftsbefruchtung mit rund 300 Millionen Schilling. Dadurch, daß der Wohnhaus-Wiederaufbaufonds sich der behördlich befugten und beeideten Ziviltechniker als Prüfer bedient, kamen dieser Berufsgruppe der freien Wirtschaft bis jetzt rund 130 Millionen Schilling zu. Es wird gut sein, wenn sich die österreichische Ziviltechnikerschaft, die im heurigen Jahr ihren hundertjährigen Bestand feiert, daran erinnert, daß es dem Wohnhaus-Wiederaufbaufonds vorbehalten blieb, erstmals in diesen hundert Jahren die Ziviltechniker als staatliches Kontrollorgan einzuschalten. Nach Beendigung der Tätigkeit des Wohnhaus-Wiederaufbaufonds werden manche Ziviltechniker diese Einrichtung vermissen.

Neben der österreichischen Bauwirtschaft, für die der Wohnhaus-Wiederaufbaufonds ein Glied in der Kette der nunmehr schon viele Jahre anhaltenden Konjunktur bedeutet, haben am Wiederaufbau der kriegszerstörten Häuser viele andere Zweige der Wirtschaft ihren An- und Vorteil. Nach vorsichtiger Schätzung sind rund 4 Milliarden Schilling durch den Ankauf von Hausrat in breite Sparten der österreichischen Wirtschaft geflossen. Badezimmer- und Kücheneinrichtungen, Heißwasserspeicher, Elektro- und Gasherde, Möbel usw. wurden beim Beziehen der Wohnungen angeschafft. Auch die Textil-und Kunststoffindustrie ist bei der Ausstattung dieser neuen Wohnungen zum Zuge gekommen.

Der große Umfang der Bautätigkeit förderte auch die Entwicklungsmöglichkeit der verschiedensten Artikel der Baustoff- und Kunststofferzeugung. Die Anwendung moderner Bauweisen im Rohbau, sei es die Monobauweise oder die Verwendung neuer Deckenkonstruktionen, die Vielfalt der modernen Bodenbelage usw., gaben der^österreichischen Forschung einen stärken Auftrieb. Der Anteil der bildenden Künstler spiegelt sich im künstlerischen Schmuck wiederaufgebauter Häuser.

Es könnten noch viele Zweige der Wirtschaft angeführt werden, die direkt oder indirekt ihren Anteil an dieser umfangreichen Sparte des Hochbaues haben.

Was nützt diese befruchtende Tätigkeit, wenn der Wohnraumbedarf dadurch nur geringfügig kleiner wird? Die quantitative Wohnungsnot mag bis auf immer wieder auftretende traurige Fälle behoben sein. Die qualitative Wohnungsnot wird noch lange bestehen. Ihre Ursache liegt in der vor Jahrzehnten durch politische Fehler eingetretenen Erstarrung in den Grundsätzen einer gesunden Wohnungspolitik. Sie ist die Ursache, daß leider nur noch mit Hilfe öffentlicher Fonds Wohnungen gebaut werden können und daß neben Neubauten mit gesunden, modern ausgestatteten Wohnungen alte, mit der Zeit unbrauchbar werdende Häuser des vorigen Jahrhunderts stehen. Eine noch so forcierte Wohnbautätigkeit wird das Problem dieser Wohnungsnot nicht lösen, wenn nicht gleichzeitig diese Erstarrung beseitigt wird.

Kenner der Kapazität der österreichischen Bauwirtschaft wissen, daß eine Steigerung der Wohnbautätigkeit auf 50.000 oder mehr Wohnungen im Jahr Propaganda oder Theorie bleiben muß, wenn nicht durch eine gesunde Koordinierung der gesamten Bautätigkeit der Bau-winschaft die Möglichkeit geboten wird, mehr Wohnungen zu bauen. Rationalisierungen und Anwendung moderner Bauweisen, insbesondere die in letzter Zeit propagierte Vorfabrizierung von Bauelementen, könnten zweifellos eine Steigerung der Wohnbautätigkeit herbeiführen. Sie wird aber sehr bescheiden sein und kaum dazu führen, der qualitativen Wohnungsnot rascher Herr zu werden.

Schneller zum Ziel führen wird der Weg der freien Wohnungswirtschaft und die Zurückstellung anderer Bauten, die nicht so vordringlich sind wie der Wohnungsbau. Vielleicht könnten Behörden, öffentliche Körperschaften und sonstige Institutionen durch Zurückstellung des Baues mancher, augenblicklich nicht unbedingt erforderlicher Bürohäuser mit gutem Beispiel, vorangehen! Arbeitskräfte und Baumaterial wür-. den ohne Schädigung der Gesamtwirtschaft für den Wohnungsbau frei,

Beim Wohnhaus-Wiederaufbaufonds warten noch rund 1500 Häuser mit rund 30.000 Wohnungen und einem Kostenaufwand von 5 Milliarden Schilling auf ihre Errichtung. Hätte der Fonds die Möglichkeit, seine Baukapazität zu steigern, könnten die letzten Spuren kriegszerstörter Wohnhäuser in wenigen Jahren beseitigt sein.

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