6574344-1950_36_02.jpg
Digital In Arbeit

Wohnungsnot und genossenschaftliche Selbsthilfe

Werbung
Werbung
Werbung

Die in Österreich bestehende Wohnungsnot mit ihren katastropha-1 e n Auswirkungen hat verantwortungsbewußte Menschen auf den Gedanken gebracht, trotz der bestehenden Schwierigkeifen und trotz des Mangels an hinreichenden Krediten gerade für minderbemittelte arbeitende Bevölkerungsgruppen doch einen Weg zum Bauen und zum Siedeln zu finden. So kam es zum Einsatz von verschiedenen Selbsthilfeeinrichtungen, bei denen, meistens in Genossenschaftsform, Bauwillige zusammengefaßt und durch eine entsprechende Organisation Mittel und Wege zu einer gesunden Bautätigkeit geschaffen wurden.

Betont werden muß, daß diese Selbsthilfeorganisationen kein Allheilmittel zur Linderung der Wohnungsnot darstellen, sondern unter gewissen Vorau ss etzungen einen wirksamen Beitrag dazu bieten können. Diese Organisationen sind weiter in erster Linie zurr Aufführung von Eigenheimen bestimmt. Was den Bau von mehrgeschossigen Wohnhäusern anlangt, so kann dabei ein Selbsthilfeeinsatz nur in beschränktem Umfange in Frage kommen, da ja das Interesse der mitarbeitenden Siedler gerade bei dem Bau eines Eigenheimes den stärksten Anreiz bietet. Um ein richtiges Funktionieren einer Selbsthilfegenossenschaft zu gewährleisten, bedarf es vor allem einer energischen und fachkundigen Persönlichkeit, die imstande ist, einen Organisationsapparat mit fester Hand zu führen.

Es bedarf dazu auch einer gewissen Mindestanzahl von Mitarbeitern, um die technischen Voraussetzungen zu erfüllen. Man wird dabei wohl mit einer Durchschnittsmindestzahl von 20 bis 30 tätig Mitarbeitenden rechnen müssen. Wesentlich für den Erfolg ist auch die Frage der beruflichen Zusammensetzung der mitarbeitenden Genossenschafter. Gerade bei einer zweckdienlichen Zusammensetzung des Mitarbeiterkreises durch baukundige Gewerbsleute und Arbeiter, wie Maurer, Tischler, Zimmerleute, Spengler und dergleichen, wird es durch eine passende und zweckentsprechende Verwendung möglich sein, einen Erfolg zu gewährleisten. Zu all dem ist ein starkes Zusammenhalten und ein zäher unbeugsamer Arbeitswille der Genossenschafter erforderlich.

Das Wesen der Selbsthilfegenossen-schaflen besteht in der tätigen Mithilfe der Genossenschafter. So werden die notwendigen Erdarbeiten von den Siedlern und ihren Familienangehörigen durchgeführt. Es ist in diesem Rahmen auch möglich, unter Zuhilfenahme entsprechender technischer Apparate die zur Herstellung des Mauerwerkes erforderlichen Ziegel und Hohlblocksteine zu erzeugen. Bei all diesen Arbeiten haben auch Frauen und sonst nur in sitzenden Berufen tätige Menschen sidi bestens bewährt und waren auch imstande, gleich geübten Handwerkern, die ihnen aufgetragenen Arbeiten mit Erfolg zu verrichten. Auf diese Art und Weise können V e r b i 1-1 i g u n g e n der Baukosten erreicht werden, die auch durch Leistung von Hilfsarbeiterstunden bei der Weiterführung der Bauwerke ergänzt werden.

Um eine ordnungsmäßige Bauführung zu gewährleisten, wird die Bauführung befugten Bauunternehmern übertragen, welche für die fachlich richtige Erbauung die Verantwortung tragen. Vereinfachte und bisher bereits erprobte Pläne erleichtern und verbilligen weiter die Bauführung.

Aufgabe dieser Selbsthilfegenossenschaften ist es auch, die notwendige Finanzierung für die geplanten Bauvorhaben sicherzustellen. Durch wirksame Unterstützung der Gemeinden und durch zusätzliche Länder- und Bundesmittel kann eine auch für Minderbemittelte tragbare Finanzierung erreicht werden.

Manche Selbsthilfegenossenschaften haben bereits ihre Bewährung gefunden. So war es möglich, Einfamilienhäuser mit einer Wohnfläche von 60 Quadratmetern mit einem Baukostenaufwand von etwa 40.000 Schilling fertigzustellen — gegenüber einem allgemein üblichen Baukostenaufwand von etwa 60.000 Schilling. In einer Tiroler Selbsthilfegenossenschaft wurden durch eine äußerst billige Grundbeistellung und durch eine starke Förderung von Seiten der zuständigen Ortsgemeinde Einfamilienhäuser mit einer Wohnfläche von 60 Quadratmeter sogar mit einem Baukostenerfordernis von rund 17.000 Schilling fertiggestellt. An diesem Beispiel ist es besonders deutlich, daß durch Zusammenwirken aller örtlichen Voraussetzungen ein Erfolg zu erzielen ist. Dieses Beispiel hat Nachahmung gefunden, und es existieren zur Zeit in Tirol 44 derartige, auf dein Grundsatz der Selbsthilfe snihaute Baugenossenschaften. Audi in Anderen Bundesländern sind solche Selbsthilfegenossenschaften mit großem Erfolg tätig und leisten so einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung der Wohnungsnot.

Die angeführten Beispiele dürfen jedoch nicht verallgemeinert werden. Die Höhe der Baukostensumme wird sich, den jeweiligen örtlichen Voraussetzungen folgend, verschieben. Aus der Erfahrung können wir jedoch feststellen, daß es möglich ist, trotz allen bestehenden Schwierigkeiten durch eine Verständnis volle Zusammenarbeit der verantwortlichen Behörden und durch eine geschickte und straffe Selbsthilfeorganisation der Genossenschafter auch für minderbemittelte arbeitende Menschen eine würdige Heimstätte zu schaffen und auch diesen Menschen den Eigentumserwerb ihrer Häuser zu ermöglichen.

Auch nach dem ersten Weltkrieg hat es in Österreich eine Selbsthilfetätigkeit gegeben. Die Erfahrung zeigt, daß diese Arbeiten von Frfolg begleitet waren, wie folgende Äußerungen eines .Siedlungsfachmannes wiedergeben:

„Arbeitslose haben vor dem Kriege in den dreißiger Jahren mit nur 10 S Eintrittsgebühr und 40 Wochen Arbeitsdienst sich ein bescheidenes hübsches Eigenheim um etwa 5000 S erarbeitet. In der Gemeinschaft! Die Männer waren dann vielfach im Kriege eingerückt, sind zum Teil nicht mehr heimgekehrt, gefallen. Die Frauen haben während der Kriegsjahre in der Industrie gearbeitet und die Bauschiilden kleinweise abgezahlt. Heute sind ie alle schuldenfrei, haben 600 bis 800 Quadratmeter Gartengrund rund um ihr Haus und -ind kleine Besitzer, wenn auch mit viel Arbeit und Sparsamkeit, geworden! Schöne Obstanlagen erzählen von der Selbsthilfe, saubere Küchen, gesunde, blühende Kinder geben beredte Kunde von der Art des richtigen Wohnens, von der Zufriedenheit und Selbstversorgung am Stadtrande. So wurde aus der Verzweiflung Tatl“

Der Selbsthilfeeinsatz der Baugenossenschafter und Siedler hat jedoch eine über die Errichtung von Wohnbauten hinausreichende soziale Bedeutung. Diese Menschen werden mit dem Grund und Boden fest verwurzelt und sehen aus der Kraft ihrer Arbeit ein Werk erstehen, das sie mit aller Kraft ihres Daseins an die heimatliche Scholle bindet. Gerade durch die richtige Lenkung des Arbeitswillens und durch die Zusammenfassung der Arbeitskraft im kleinen, wird es auch auf diesem Gebiet möglich sein, Erfolge zu erzielen und so auch für die Allgemeinheit ein aufbauendes Beispiel zu geben. Ist doch gerade in der Selbsthilfetätigkeit der Genossenschafter ein Symbol für die Aufbauarbeit in unserem Staate gegeben. Anläßlich einer Arbeitstagung der Selbsthilfebaugenossenschaften in Wien hat kürzlich ein Vorstandsobmann einer Genossenschaft, ein einfacher Bauarbeiter, die Situation richtig mit folgenden Worten gezeichnet: „Der Zweck unserer Arbeit und unseres Schaffens ist nicht nur der. arbeitenden Menschen eine würdige Unterkunft zu schaffen, die diese auch mit eigener Kraft und aus eigenen Mitteln schaffen und erhalten können, sondern auch sozial befriedete Menschen heranzuziehen. Nicht Demonstranten, die auf die Straßen ziehen, um Fensterscheiben einzuschlagen und Unruhe zu stiften, sondern Menschen, welche die Verantwortung für die Gemeinschaft in ihrem Inneren tragen und wissen, daß nur durch Zusammenarbeit aller Verantwortlichen der wirtschaftliche Aufstieg unseres Vaterlandes gewährleistet ist.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung