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Der rote Traum vom Eigenheim

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Eine Wohnung mit drei zwangsweise einquartierten Familien, mit gemeinsamer Benutzung des Vor- und Badezimmers, sowie der Küche und des WC, ist schlimmer als eine Schlangengrube. Gern e i ns ch a f t swohn u ng en sind institutionalisierte Brutstätten des Zwistes und des Hasses, daher größte Feinde der sogenannten

„klassenlosen, sozialistischen Gesellschaftsordnung“. Fast 20 Jahre lang waren die Staatswirtschaften in den osteuropäischen Ländern unfähig, diese Vipernnester durch den Bau genügender Wohnungen zu eliminieren. Endlich haben es die tschechoslowakischen, bulgarischen, polnischen, rumänischen und ungarischen

Regime eingesehen und den gereizten Untertanen wenigstens das Anrecht auf ein Eigenheim gesetzlich garantiert. Bis zur Erfüllung des sehnlichsten Wunsches führt ein langer Weg, da bisher nur die ersten, eher theoretischen Schritte gemacht worden seien.

Nachdem der Bau von erlaubten eigenen Wohnungen viel Zeit und noch mehr Geld erfordert, wird ermöglicht, daß man unter gewissen Bedingungen Wohnungen aus dem bisherigen Staatseigentum käuflich erwerbe. Bis jetzt waren alle Wohnhäuser über fünf Zimmer im Staatseigentum. Von einer privaten Woh- nungswirtschaft zu sprechen, wäre noch verfrüht, da die ganze Angelegenheit noch in den Kinderschuhen steckt.

Es handelt sich viel weniger um eine grundlegende Sinnesänderung der Regime, eher um die Einsicht, daß die staatliche Wahraunigswirtschaft zu einer der größten Mißerfolge der KP-Planuing heranwuchs und für die Staatskasse eine sehr schwere Belastung darstellte. Die Nachfrage nach neuen Wohnungen ist in ganz Osteuropa unbeschreiblich groß. Wäre Privatkapital genug vorhanden, würde der größte Wohnungsboom des Jahrhunderts entstehen

Wie im Westen

Jetzt versuchen alle osteuropäischen Regierungen, zwar ziemlich verspätet, mehr und mehr Wohnungen zu schaffen. Zum Bau von Eigenheimen werden langfristige Kredite flüssiggemacht. Man kann sich an Baugenossenschaften beteiligen, die in großen Zügen westlichen Wohnbau- gesellschaften ähneln. Interessanter weise sind die Preise der neuen privaten Eigenheime in fast allen osteuropäischen Ländern ganz gleich.

Zu gewissen Schwierigkeiten hat es gerade in den betroffenen Großstädten geführt, daß der Staat die Wohnungen nicht einzeln, sondern im ganzen Block verkaufen möchte. Infolgedessen treten dann Komplikationen auf, wenn die jetzigen Mieter nicht alle die bewohnten Wohnungen kaufen wollen oder können, aber auch die bewohnten Räume nicht auügeben wollen.

In Bulgarien wird von den Woh- nungskaufenden nur eine kleine Anzahlung verlangt, die von 10 Prozent bis zu 30 Prozent des Verkaufspreises rangiert, je nach Einkommen von monatlichen 50 bis 70 Leva, das heißt von 25 bis 35 Dollar. Die Staatsbanken können für Neu-, Um-, Anbauten und Renovierungen Kredite bis zu 4000 Leva gewähren. Im Februar 1967 hat der Sofioter Stadtrat eine öffentliche Warnung an alle Woh- nunigsverwaltungsfunktionäre erlassen, daß es illegal sei, Wohnungen über den Kopf der jetzigen Mieter hinweg zu veräußern und ihnen mit der amtlichen Delogierung zu drohen.

In der CSSR herrscht natürlich die größte Wohnungsnot in Prag, wo in

330.000 Wohnungen — laut amtlicher Statistik — 390.000 Familien hausen. Davon sind 8000 Wohnungen völlig untauglich. Die Behörden sind weiterhin aus Sicherheitsgründen gezwungen, jährlich etliche hundert Wohnungen abreißen lassen zu müssen, weil sie wegen Abnutzung und Vernachlässigung unbewohnbar geworden sind.

In der ganzen CSSR — wie auch in allen erwähnten osteuropäischen Staaten — aiber hemmt ein chronischer Mangel an Baumaterialien die Intensivierung der Bautätigkeit. Radio Prag hat darauf hingewiesen, daß in der westlichen Slowakei an 8000 Baustellen von insgesamt 14.000 die Arbeiten wegen Materialmangel „vorübergehend“ eingestellt werden mußten. Die Ziegel- und Zementfabriken können nämlich die Bestellungen nicht ausführen, weil einfach ihre Kapazität nicht ausreicht, diese 1 fta rraift&li h f zu heben, wären aber beträchtliche staatliche Kapitalinvestitionen notwendig, die bisher wiederum nicht durchgeführt wurden.

Babyboom und Landflucht

Ist die Situation in Polen, wo seit Kriegsende ein Babyboom die Wohnverhältnisse noch mehr kompliziert hatte, günstiger?

Die Zeitung „Sztandar Mlodych“ stellte eine dreiköpfige Lehrerfamilie vor, die in einer Dachkammer hauste... Ein anderer Lehrer in Radomsk bewohnt mit einem seiner Schüler ein Zimimer, während seine eigenen Kinder und seine Ehefrau in einer anderen Ortschaft wohnen müssen ... Unzählige junge Leute, die seit dem Krieg geboren sind, suchen jetzt schon eigene Wohnungen, da sie eine Familie gründen möchten. In den Städten wird die Lage durch die unaufhaltsame Zuwanderung aus ländlichen Gebieten, konstant verschlechtert.

Preistreiberei auf dem Wohnungsmarkt wird energisch und verhältnismäßig wirksam unterbunden. Im übrigen bleibt der Wohnungskäufer weiterhin dem Staat ausgeliefert, da er nur das Gebäude, aber niemals den Grund und Boden vom Staat erwerben kann. So steht sein Eigenheim ein Leben lang auf einem staatlichen Grundstück. Sonst verfügt der Eigentümer des Eigenheimes frei über seine Wohnung, er kann sie verkaufen, verschenken oder vererben. Auch Baugenossenschaften können als Käufer fungieren. Nach dem polnischen System können aber die Mieten dem jeweiligen Monatseinkommen entsprechend gesteigert werden.

Rumänien gewährt derzeit staatliche Anleihen für Wohnhausbau, wenn die künftigen Eigentümer 30 Prozent der Gesamtkosten nachweislich auf einem Bankkonto haben.

Laut amtlicher Statistik benötigen allein in Budapest zur Zeit nicht weniger als 100.000 Familien neue Wohnungen. In der wichtigsten Industrievorstadt von Budapest, nämlich in Csepel, hausen Hunderte in unheizbaren, ja oft unmöblierten Hütten oder Bretterbuden, wofür sia noch dankbar sein müssen.

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