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Zusammenfassung aller Kräfte

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Auf dem Gebiete der Volksgesundheit, der Kriminalität oder in den Ehescheidungsstatistiken — überall werden die zersetzenden Auswirkungen des Wohnungselends sichtbar. Univ.-Prof. Doktor K ö s 11 e r hat in einer jüngst veröffentlichten Darstellung nach einem genauen Studium der Ehescheidungsakten des Oberlandesgerichtssprengels Wien feststellen müssen, daß ein Großteil der gerichtlichen Ehescheidungsverfahren seinen Grund in den unzulänglichen Wohnungsverhältnissen hat. 300.000 vordringliche Wohnungswerber tauchen in den Karteien der Wohnungsämter auf — muß das nicht Anlaß zu einer ernsthaften Gewissenserforschung sein? Dabei beschränken sich die trostlosen Wohnungsverhältnisse nicht nur auf die Städte und größeren Niederlassungen, sondern reichen bis in die kleinsten Märkte und Dörfer hinein. Eine vom Bürgermeister von Lienz kürzlich einberufene Enquete hat festgestellt, daß bei 10.000 Einwohnern in Lienz 900 vordringliche Wohnungsnotfälle beim Wohnungsamt der Stadt vorgemerkt sind. Der Leiter des Amtes hat mit Recht darauf hingewiesen, daß es weiterhin nicht mehr tragbar ist, die Wohnungssuchenden bloß zu vertrösten; bei Andauer dieses Notstandes sei mit größeren sozialen Unruhen zu rechnen. Diese lokalen Osttiroler Verhältnisse gelten in vollem Umfang auch für andere Gebiete unseres Landes. Besonders die vielfach trostlosen Wohnungsverhältnisse der Landarbeiter und die damit zusammenhängende Landflucht machen ernste Sorge.

Wenn die Probleme der Wohnungswirtschaft rationell und mit zielbewußter Konsequenz bewältigt werden sollen, bedarf es vor allem eines einheitlichen Behördenapparats. Mit einer Zuständigkeit in wohnungswirtschaftlichen Fragen von acht Ministerien und neun Landesregierungen ist eine fruchtbare Behandlung dieser Probleme nicht zu erreichen. Es wird sich vielmehr empfehlen, einen „ W o h n u n g s w i r t-schaftlichen Beirat“ der Bundesregierung zu berufen. Dieser Beirat soll aus anerkannten Fachleuten der Wohnungswirtschaft bestehen, die in ehrenamtlicher Funktion der Regierung Maßnahmen zu einer wirksamen Bekämpfung der Wohnungsnot vorzuschlagen hätten. In diesem Forum sollen ein aktuelles Sofortprogramm und die dazu notwendigen Gesetzesvorschläge ausgearbeitet und der Regierung sowie dem Parlament übermittelt werden.

Zu einer der eTsten Aufgaben dieses „Wohnungswirtschaftlichen Beirates“ würde es gehören, die zur Zeit in den verschiedensten Gesetzen, Erlässen und Verordnungen versprengten Maßnahmen zur Wohnbauförderung in einem einheitlichen allgemeinen Wohnbauförderungs-gesetz zusammenzufassen. Damit könnte Übersicht und Ordnung erreicht werden.

Eine weitere Hauptfrage betrifft die Regelung der Geldgebung. Es fehlt in Österreich an einem für die Woh-nungs- und Bauwirtschaft zuständigen Bankinstitut, ähnlich der einstigen Bau-und Bodenbank. In den Aufgabenkreis dieses Instituts würde besonders die richtige Lenkung und Verteilung aller für die Wohnungswirtschaft bestimmten öffentlichen und privaten Geldmittel gehören. Insbesondere würde dieses Geldinstitut auch die bisher in Österreich nirgends behandelte Aufgabe der so notwendigen Zwischenfinanzierung von Bauvorhaben zu lösen haben. Auch die mit Recht in jüngsten Kundgebungen des Baugewerbes und der Gewerkschaft der Bauarbeiter gerügte schleppende Art der Auszahlung der für die Wohnraumbeschaffung bestimmten öffentlichen Mittel und die dadurch verursachte Kostenverteuerung und Zusammenballung der Bauvorhaben auf eine begrenzte Jahreszeit könnte dadurch geordnet und die Arbeit planmäßig auf den ganzen Jahresraum verteilt werden. Damit könnte viel Geld erspart werden.

Eine weitere Notwendigkeit ist eine allgemeine Neuregelung der Mietzinsberechnung. Dem bewährten Beispiel einiger ausländischer Staaten folgend, erschiene es zweckmäßig, die bisher auf 17 verschiedene Berechnungsgrundlagen zurückzuführende Mietzinsberechnung auf einen Nenner zu bringen: nämlich einheitliche Mietzinsberechnung nach dem Quadratmeter der Wohnfläche unter entsprechender Abstufung nach Lage und Güteklasse der Wohnung. Die dadurch geschaffene Mietzinsnivellierung und Mietzinsgerechtigkeit könnte die Mittel aur Instandhaltung und Finanzierung der Neubautätigkeit schaffen.

Die jüngste Neuregelung der Mietzinse hat einen Auftakt zu einer wirtschaftlich vernünftigen Regelung der Mietverhältnisse gegeben. Mit der Gewährung einer Mietzinsbeihilfe wurde eine sozialpolitisch wertvolle Einrichtung geschaffen. Es wird jedoch notwendig sein, die starre Bemessung der Mietzinsbeihilfe nach Fami-liengröße und Einkommen hin abzuändern.

In diesem Zusammenhang muß auch der Kapitalsbeschaffung für die Neubautätigkeit Beachtung geschenkt werden. Eine gesunde Kapitalsbildung kann im allgemeinen durch Ansparen gebildet werden. Das Steueränderungsgesetz 1951 und das Investitionsbegünstigungsgesetz 1951 werden wohl einen Auftrieb der Spartätigkeit bringen. Wesentlich dabei ist freilich das Vertrauen der Sparer und die ihnen gebotene Sicherheit. Das erstere ist leider durch manche harte Maßnahmen grob getäuscht worden und kann nur durch eine ehrliche Haltung des Gesetzgebers wieder geweckt und erhalten werden. Was die Sicherheit der Ersparnisse anlangt, so sind in der Öffentlichkeit wiederholt ernstzunehmende Vorschläge erstattet worden.

Neben der Förderung der Bauspartätigkeit und neben der Bereitstellung öffentlicher Geldmittel, wird jedoch auf eine finanzielle Beitragsleistung der Allgemeinheit zur Wohnbauförderung nicht verzichtet werden können. So müßte unter anderem die im Bundesgesetz vom 15. April 1921 (§ 6) enthaltene Beitragsleistung der Arbeitgeber für den Bundes-Wohn- und Siedlungsfonds durch eine Beitragsleistung der Arbeitnehmer ergänzt werden. Der bekannte Wohnungsfachmann Präsident Doktor Nitsch (Linz) weist in einem Aufsatz „Die Ankurbelung der Spareinlagentätigkeit und die Belebung des Pfandbriefmarktes“ („Die Wohnung“, April 1950) mit Recht darauf hin, daß die Belastung der Allgemeinheit durch eine allgemeine Beitragsleistung zur Wohnbauförderung dadurch erleichtert werden könnte, daß diese Beiträge nicht als Steuerleistung und somit als verlorene Verpflichtung zu gelten hätten, sondern, da sie ja zur Ausgabe von Darlehen verwendet werden, an die Zahler wieder nebst einer angemessenen Verzinsung zur Rückzahlung gelangen könnten. Dieser Gedanke verdient nachdrückliche Beachtung, über die richtige technische Handhabung dieser Transaktion könnte wohl auch eine Einigung erzielt werden.

Mit diesen Diskussionspunkten sollen einige Hauptthemen für eine entsprechende Wohnbauförderung herausgestellt werden. Es gilt nun, die Öffentlichkeit mit diesen Fragen zu befassen, alle parlamentarischen und außerparlamentarischen Kräfte zur Abwehr und Linderung der ungeheuren Wohnungsnot aufzurufen und durch eine großzügige Regelung dieser Fragen wirksame Abhilfe zu schaffen. Es ist hoch an der Zeit, aus der oberflächlichen Diskussion dieser Probleme, aus der gelegentlichen parlamentarischen Teilbehandlung des einen oder anderen kleinen Abschnitts die vordringlichen Aufgaben herauszustellen und sich zu entscheidenden Beschlüssen aufzuraffen. Nicht mit zufälligen und zaghaften Versuchen, sondern mit raschen, auf einer wohlbedachten Planung beruhenden Maßnahmen kann wirksame Abhilfe geschaffen werden.

Breite Schichten unserer Bevölkerung rufen nach einem familiengerechten Heim; auch in ihm muß die Freiheit des Menschen ihren sichtbaren Ausdruck finden.

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