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Und die Dinge nahmen ihren Lauf…

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Wenn in diesen Tagen Tausende den iFeiern zur Eröffnung des neuerstandenen .Domes von St. Stephan beiwohnen werden, mag die Tatsache, daß sich vor sieben Jahren, am 12. April 1945, der Brand des Domes buchstäblich unter Ausschluß der Öffentlichkeit ereignet hat, und an den Versuchen, den Brand zu löschen, kaum mehr als ein Dutzend Menschen beteiligt waren, überraschen und nachdenklich stimmen. Ich weiß nicht, ob es auch nur eine einzige Photographie gibt, die Brand und Einsturz des Daches von St. Stephan festgehalten hat. Für die einzelnen dramatischen Phasen des Verhängnisses gibt es kein dokumentarisches Bildmaterial — und nur einige wenige Augenzeugen, einige wenige, die sich bemühten, zu retten, was zu retten war. Für den Einsturz des Albertinischen Chors in der Dämmerung des Morgens nach dem großen Brand gibt es überhaupt nur zwei Augenzeugen.

Wie läßt sich diese geringe Teilnahme erklären?

Die kampflose Räumung der Inneren Stadt durch die deutschen Truppen und die Besetzung durch russische Kampfeinheiten bedeutete für die Bevölkerung des Innenbezirks lange noch nicht den Frieden. Man blieb noch Tag und Nacht in den Kellern und wagte sich nur in dringendsten Fällen auf die Straße. Fast niemand hielt es für möglich, daß man sich, wie es jedoch tatsächlich in den ersten Tagen der russischen Besetzung der Fall war, frei und ohne Behinderung durch die Truppen in den Straßen der Inneren Stadt bewegen konnte. Wohl war unmittelbar nach ihrem Einzug der Stephansplatz vorübergehend in ein einziges großes Heerlager verwandelt, doch konnte man als Zivilist unbehelligt die Ansammlung von Geschützen, Pferdewagen und maschinenpistolenbewehrten Soldaten durchqueren. Trotzdem hielt eine diffuse Angst die Masse der Bevölkerung von der Straße fern. Die Situation verschlechterte sich, als heftige Kämpfe am Franz-Josefs-Kai und im zweiten Bezirk zu einem Beschuß der Inneren Stadt durch die hartnäckig Widerstand leistenden deutschen Truppen führte. Nun räumten die russischen Soldaten schnell den Stephansplatz. Im Zentrum der Stadt entstanden zahlreiche Brände. Jeder suchte Leben und Habe in Sicherheit zu bringen und war wohl mit sich selbst zu sehr beschäftigt, als daß er anderen Vorgängen Interesse entgegengebracht hätte. Die Ausbreitung der Brände verursachte allgemein Entsetzen, und die Furcht, die ganze Innere Stadt könne der Brandwelle zum Opfer fallen, hemmte jede organisierte Löschtätigkeit. Wer hatte auch noch den Glauben an die Möglichkeit einer erfolgreichen Brandbekämpfung, da doch die Deutschen vor ihrem Abzug alle Feuerwehrwagen und Löschgeräte aus der Stadt entfernt hatten und zugleich äußerster Wassermangel herrschte? Zudem waren auch alle Kommunikationsmittel ausgefallen, Telephon, Radio und Zeitungen waren verstummt, und mündliche Nachrichtenverbreitung war durch die Angst vor einem Betreten der Straßen stark beschränkt.

So konnte es geschehen, daß zwei Tage nach der Besetzung der Inneren Stadt, von nur wenigen bemerkt und noch wenigeren bekämpft, ein Teil des Domes ein Raub der Flammen wurde. Schon am Tage vor der eigentlichen Katastrophe war am unausgebauten Turm von St. Stephan ein Feuer ausgebrochen, dessen entschlossener Bekämpfung noch Erfolg beschieden war. Nicht so am Donnerstag, dem 12. April. Da breitete sich, vom Dachteil beim unausgebauten Turm ausgehend, bei mäßigem Wind ein Brand zu den Heidentürmen und der Südseite des Daches hin aus. Zwei Geistliche und ein Laie suchten, wie mir berichtet wurde, das Feuer mit der noch vorhandenen unzureichenden Menge Wassers einzudämmen. Nachdem alles Wasser verbraucht war, konnte an ein Löschen des Dachbrands nicht mehr gedacht werden, und neu hinzukommende Hilfsbereite, Priester und Laien, mußten die Unmöglichkeit einer Weiterarbeit auf dem Dachboden feststellen. Da unmittelbare Gefahr bestand, daß die Holzteile des Südturmes ebenfalls in Brand geraten könnten, wollte man nun mit Wasser und Spritzen vom Stephansplatz aus den Turm besteigen. Dies wurde jedoch von russischen Soldaten abgelehnt, die auf diesem einen Beobachtungsposten errichtet hatten —

den sie natürlich sehr bald darauf selbst räumen mußten.

Die nun anwesenden Helfer, vier Geistliche und einige Laien, darunter zwei Frauen, mußten sich auf den Versuch beschränken, ein Ubergreifen des Feuers auf das Innere des Domes zu verhindern. Durch drei kreisrunde Öffnungen im Gewölbe fielen unaufhörlich Bruchstücke brennender Dachsparren in das Innere der Kirche und auf die Orgelempore. Vor allem die Orgel bot mit ihren hunderten kleinen und großen Pfeifen, deren jede einzelne von einer staubtrockenen, nach oben hin offenen Holzverschalung um- ! geben war, den herabstürzenden glühenden Holzstücken ein empfängliches Ziel. Durch überdecken der Pfeifen mit nassen Teppichen und mit Hilfe primitiver Luftschutzspritzen konnte die Vernichtung der Orgel eine Zeitlang hinausgeschoben werden, aber auch nur, bis das spärliche Wasser in dem großen, zwischen Dom und Churhaus gelegenen Betonreservoir völlig erschöpft war. Dann dauerte es nicht mehr lange, und die Orgel stand in lodernden Flammen, aus denen unter Verbreitung sengender Hitze und unter gespenstischem Knistern ein Regen geschmolzenen glühenden Pfeifenzinns von der Orgelempore herabsprühte.

Nun blieb nichts weiter zu tun, als die Inneneinrichtung der Kirche von den feuergefährdetsten Stellen zu entfernen und brennendes Material an gefahrlose Punkte zu schaffen. Der Löschtätigkeit war praktisch ein Ende gesetzt. Machtlos vor der Entfesselung elementarer Gewalt, wurden wir Zeugen des Absturzes der Glocke aus dem Nordturm — und schließlich brach die Pummerin selbst mit ungeheurem Getöse durch den ausbrennenden Südturm hindurch in das Querschiff des Domes, wo sie sich tief in den Boden bohrte. Dennoch, trotz Erschöpfung und Betäubung, faßte man am späten Nachmittag wieder Hoffnung, doch sollte der nächste Morgen auch diese enttäuschen — ein Teil des Hochaltars und des Friedrich-Schiffes waren eingestürzt.

In großer Einsamkeit brannte der Dom aus …

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