Galileo Galilei - © Foto: iSotck/Photos.com

Energie der Begegnung: Über die Meta-Physik der Kraft

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Wie das Phänomen der „Energie“ entdeckt wurde. Und wie die Energie der Materie mit jener der menschlichen Begegnung und Kommunikation zusammenhängt. Eine Zeitreise durch die Physikgeschichte – und ein Plädoyer für mehr Ganzheitlichkeit.

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Wie das Phänomen der „Energie“ entdeckt wurde. Und wie die Energie der Materie mit jener der menschlichen Begegnung und Kommunikation zusammenhängt. Eine Zeitreise durch die Physikgeschichte – und ein Plädoyer für mehr Ganzheitlichkeit.

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Der Begriff „Energie“ wird heute in vielfältigster Weise verwendet – ohne dass klar ist, was er eigentlich vermitteln soll. In der Physik wurde er erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt und definiert. Dabei wurde aber ein großer Teil seiner ursprünglichen Bedeutung ausgeklammert. Wenn wir diesen Teil nicht vernachlässigen wollen, müssen wir ihn in durchdachter Weise in unsere Gesprächskultur zurückbringen. Folglich lohnt sich ein Blick zurück.

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Es war in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, mitten im Dreißigjährigen Krieg – also einer Zeit der Verwüstungen und der Trostlosigkeit –, als die naturwissenschaftliche Methode begründet wurde. Galilei, Descartes und Kepler waren die herausragenden Köpfe, denen wir den „Denkrahmen des Abendlandes“ verdanken:

  • Galilei forderte, alles zu messen, was messbar sei, denn Messwerte können zwar korrigiert werden, aber nicht in kriegerischer Weise.
  • Descartes forderte, jedes Problem in die kleinsten Teile zu zerlegen, um es besser zu verstehen. Darüber hinaus meinte er, durch sein „Ich denke, also bin ich“ gezeigt zu haben, dass die Welt aus Materie und Geist besteht und sonst nichts.
  • Kepler schließlich fand das erste große Naturgesetz: „Die Bahnen der Planeten sind Ellipsen.“ Als Ursache dafür nannte er den Willen Gottes, der damit die Harmonie der Welt zum Ausdruck bringen wollte.

Aber gerade um die „richtige“ Interpretation des Willens Gottes wurde ja der große Krieg geführt, also musste Kepler korrigiert werden. Es war Newton, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts den Denkrahmen der Naturwissenschaft vollendete, indem er eine vom Willen Gottes unabhängige Ursache (er)fand: die Schwerkraft.

Der Begriff Energie in seiner nicht messbaren, wohl aber intersubjektiv verständlichen Form von "Energabe" und "Nehmergie" kann helfen, jedes Du in seiner Ganzheit zu erfassen.

Zur gleichen Zeit wurde die moderne Mathematik begründet: Descartes erfand das Koordinatensystem, Newton und Leibniz erfanden die Differentialrechnung. Damit wurde die Aristotelische Logik zur Denkgrundlage des Abendlandes, denn die Mathematik basiert auf dem Aristotelischen Axiom vom ausgeschlossenen Dritten: Von zwei einander widersprechenden Aussagen ist immer eine richtig, eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Wir können also den Denkrahmen des Abendlandes zusammenfassen: Alles messen (Galilei); alles in kleinste Teile zerlegen (Descartes); überall Ursachen (er)finden (Newton); und immer Entweder-Oder (Aristoteles).

Newton geriet mit der Schwerkraft unversehens in einen Streit mit den Anhängern Descartes, für die alles Seiende entweder Materie oder Geist ist. Sie warfen ihm daher vor, Spiritist zu sein, denn die Schwerkraft war sicher nicht Materie, also musste sie Geist sein, und Newton also Spiritist!

Für Newton war dieser Vorwurf sehr unangenehm, denn er konnte ihn nicht widerlegen; er zog sich aus der Schlinge, mit seinem berühmt gewordenen Spruch: „Es ist mir noch nicht gelungen, aus den Erscheinungen den Grund dieser Eigenschaft der Schwere abzuleiten und Hypothesen erdichte ich nicht… Es genügt, dass die Schwere existiere, dass sie nach den von uns dargelegten Gesetzen wirke und dass sie alle Bewegungen der Himmelskörper und des Meeres zu erklären imstande sei.“

Damit war der Begriff der „Kraft“ wie ein Drittes zwischen Materie und Geist geworden. Noch schwerwiegender als dieser Streit war Newtons Idee, Raum und Zeit zu spalten in einen Teil, der von seiner Mechanik beschrieben wird und einen vom Menschen erfahrbaren, aber nicht objektivierbaren; die Zeit zerlegte er in eine „absolute, wahre und mathematische“, die gleichmäßig verfließt und eine „relative, scheinbare und gewöhnliche“, die uns Menschen bestimmt. In etwa können wir diese beiden „Zeiten“ beschreiben durch die griechischen Götter Chronos und Kairos. Während wir alle einen „Chronometer“ (Uhr) bei uns tragen, um uns in der modernen Welt zurecht zu finden, ist das Wesen des Kairos (ungefähr die „Gunst des Augenblicks“) beinahe untergegangen!

Den Unterschied zwischen den beiden, von Newton zum Zwecke der mechanischen Beschreibung der Welt erfundenen Zeiten, erkennen wir am besten, wenn wir uns klar machen, dass die gleiche Zeitspanne in Gesellschaft eines lieben Menschen und auf dem Sessel eines Zahnarztes eben nicht gleich lange ist! Der Mensch bleibt aus der Newtonschen Mechanik ausgeklammert!

Von der Kraft zur Energie

Trotz dieser möglichen Einwände wurde im 18. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Aufklärung, die Newtonsche Mechanik zur neuen Religion erklärt und zwar durch Voltaire, der in einem Brief an den Physiker Maupertuis schrieb: „Ihr erster Brief hat mich auf die neue Newtonsche Religion getauft, Ihr zweiter hat mir die Firmung gegeben. Ich bleibe voll Dank für Ihre Sakramente. Verbrennen Sie, bitte, meine lächerlichen Einwürfe. Sie stammen von einem Ungläubigen. Ich werde auf ewig Ihre Briefe bewahren, sie kommen von einem großen Apostel Newtons, des Lichts zur Erleuchtung der Heiden.“

Wenn Robert Schumann einen Satz seines Klaviertrios Opus 63 mit der Anweisung überschreibt "mit Energie und Leidenschaft", dann weiß jeder Musiker, was damit gemeint ist, obwohl es sich nicht um messbare Energie handelt.

Für Physiker gilt es als ausgemacht, dass das vielleicht wichtigste Gesetz der Physik, der sogenannte „Erhaltungssatz der Energie“, wonach in einem abgeschlossenen System Energie weder gewonnen noch verloren werden kann, (also quantitativ ewig gleich bleibt), vom Universalgelehrten Hermann von Helmholtz um die Mitte des 19. Jahrhunderts erstmalig formuliert worden ist. Dabei wird übersehen, dass Helmholtz nicht von Energie, sondern von Kraft gesprochen hat!

Zu gleicher Zeit war es William Thomson – geadelt als Lord Kelvin – der den Begriff „Energie“ in der Physik einführte und damit den Kraft-Begriff ersetzte. Damit wollte er seiner Überzeugung zum Durchbruch verhelfen, dass ein „Verstehen“ in unserer Welt ganz allgemein nur auf dem Wege der Mechanik möglich sei. Bis heute suchen wir nach einem „Mechanismus“, wenn wir eine Sache verstehen wollen.

Spätestens seit Einsteins berühmter Formel E = mc² aus dem Jahre 1905 wurde klar, dass damit wieder der Descarte’sche Dualismus von Materie und Geist hergestellt war. Wenn aber „verstehen“ nur über einen Mechanismus möglich ist, wird der Geist in eine Nebenrolle gedrängt und schließlich überflüssig, ja störend. Der Geist hat nämlich die unangenehme Eigenschaft, nirgends „gefunden“ werden zu können außer im Bewusstsein eines Menschen. Weil die Physik durch die Spaltung der Zeit das Bewusstsein in eine Nebenrolle gedrängt und schließlich als „bloß scheinbar“ entwertet hat, bleibt in unserer Kultur die Materie als einzig existierende Wesenheit zurück.

Versuchen wir doch, analog zur Spaltung der Zeit eine Spaltung der Energie zu beschreiben in eine „absolute, wahre und mathematische“ Energie und eine „relative, scheinbare und gewöhnliche“ Energie. Die Physik beschränkt sich auf erstere! Nur diese ist messbar und quantitativ in Einheiten wie Kalorie, Kilowattstunde oder ähnliche anzugeben. Aber jede Begegnung mit einem interessanten Menschen lässt uns spüren, dass der materielle Energie-Begriff zu eng ist, um das Geschehen zu beschreiben, so wie wir oben gesehen haben, dass der von der Physik ausgeklammerte Zeitbegriff dabei fühlbar wird.

Energie der Begegnung

Während der physikalische Energie-Begriff rein quantitativ und daher wertneutral ist, kann die Begegnung zweier Menschen als Energie-bereichernd („Energabe“), aber auch als Energie-raubend („Nehmergie“) empfunden werden. Wenn wir den Energie-Begriff auf den physikalischen reduzieren, dann überlassen wir solche Überlegungen der freien Fantasie – ohne jedwede Möglichkeit der vernünftigen Einsicht in wesentliche Elemente des menschlichen Zusammenlebens. Die Begriffe „Energabe“ und „Nehmergie“ sollen andeuten, dass es sich zwar nicht um messbare Größen handelt, dass aber trotzdem von allgemein verständlichen und wohl definierten zwischenmenschlichen Beziehungen die Rede ist.

Wenn Robert Schumann einen Satz seines Klaviertrios Opus 63 mit der Anweisung überschreibt „mit Energie und Leidenschaft“, dann weiß jeder Musiker, was damit gemeint ist, obwohl es sich nicht um messbare Energie handelt. Was also ist die Conclusio? Vernünftige Kommunikation zwischen Menschen sollte nicht auf messbare Begriffe beschränkt bleiben; und der Begriff Energie in seiner nicht messbaren, wohl aber intersubjektiv verständlichen Form von „Energabe“ und „Nehmergie“ kann helfen, jedes „Du“ in seiner Ganzheit zu erfassen. Ohne Abgleiten in esoterische Schwärmerei.

Der Autor ist emerit. Professor für theoretische Physik an der Uni Wien, Mitglied der Österr. Akademie der Wissenschaften sowie der Wiener Internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin.

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