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Kirche und Wissenschaft gemeinsam gegen Aggressivität

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Mit einem Appell, ihre Kräfte mit jenen der Kirche und des Christentums zu vereinigen, wandte sich Wiens Erzbischof, Kardinal Dr. Franz König, in einem Interview an die Wissenschafter. Ihre vornehmste und dringlichste Aufgabe müsse es sein, sich angesichts einer noch immer nicht gebändigten Aggressivität und ständigen Bedrohung der Menschheit gemeinsam mit der Kirche auf die unvergänglichen Werte zu besinnen und Wege für eine friedliche Zukunft zu suchen.

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Mit einem Appell, ihre Kräfte mit jenen der Kirche und des Christentums zu vereinigen, wandte sich Wiens Erzbischof, Kardinal Dr. Franz König, in einem Interview an die Wissenschafter. Ihre vornehmste und dringlichste Aufgabe müsse es sein, sich angesichts einer noch immer nicht gebändigten Aggressivität und ständigen Bedrohung der Menschheit gemeinsam mit der Kirche auf die unvergänglichen Werte zu besinnen und Wege für eine friedliche Zukunft zu suchen.

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Den Menschen von heute stehe durch den Fortschritt von Technik und Wissen ein ausgefeiltes und, perfektes Vernichtungspotential zur Verfügung, wodurch eine völlig neue historische Situation geschaffen sei. Demjgegenüber sei man konfrontiert mit einem „noch völlig ungebän-digten und atavistischen Gefühlsleben“, dem zu begegnen nicht bloß Aufgabe des gläubigen Christen bleiben könne. Es sei vielmehr eine Existenzfrage für alle. Besonders der Kirche und den positiven Kräften der Wissenschaft, und hier vor allem jenen der Naturwissenschaft, die im Voranschreiten des menschlichen Wissens den Theologen längst die Fackel aus der Hand genommen habe, werde es aber möglich sein, die Gefahr zu bannen.

Unter Hinweis auf den Nobelpreisträger für Physik von 1954, Max Born, der zwei mögliche Alternativen aufgezeigt habe - die Auslöschung der Menschenrasse durch einen Krieg mit Kernwaffen oder die Entwicklung einer Herde von stumpfen, törichten Kreaturen unter der Tyrannei von Diktatoren, die mit Hilfe von Maschinen und elektronischen Computern herrschen -, meinte der Kardinal, er selbst und die Kirche könnten diesen Pessimismus nicht zur Gänze teilen. Die Menschheit von heute sei nicht einem unabwendbaren Verfall in der Entwicklung ausgesetzt. Er glaube, daß die Vertreter der Wissenschaft in einer Rückbesinnung auf unzerstörbare Werte erfolgreich mit Hand anlegen könnten, um in einem Zusammenwirken von Naturwissenschaft und Religion die manchen fatal erscheinende Entwicklung zu korrigieren.

Was die Kräfte der Kirche und jene der Wissenschaften verbinde, sei die Tatsache, daß beide eine echte Inter-nationalität aufweisen. „In dieser sind bereits, wenn auch vielleicht aus jeweils verschiedenen Motivationen, zumindest im Ansatz die gefährlichen Aggressionsmechanismen gebändigt und somit Haltegriffe gefunden, von denen aus für eine Gewinnung des Friedens weitergearbeitet werden kann.“

Kardinal König erinnerte an den verhängnisvollen Riß zwischen der katholischen Kirche und dem naturwissenschaftlichen Denken, der mit der Verbrennung Giordano Brunos am 17. Februar 1600 auf dem Campo dei Fiori zu Rom begonnen habe und mit der umstrittenen Verurteilung Galileo Galileis 1633 manifestiert worden sei. Um heute zu einer fruchtbaren Kooperation zwischen Kirche und Wissenschaft zu kommen, sei es notwendig, die Barrieren, die Spanischen Reiter der Vergangenheit endgültig wegzuräumen.

„Die Verurteilung Galileis“, betonte der Kardinal wörtlich, „wird heute um so schmerzhafter empfunden, als alle denkenden Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche der Uberzeugung sind, daß der Wissenschafter Galileo recht hatte und daß gerade sein wissenschaftliches Werk der modernen Mechanik und Physik die ersten festen Grundlagen geliefert hat“

Es habe sich vieles grundlegend geändert. „Die gläubige Vernunft hat mühsam um die Wahrheit gerungen und hat durch Erfahrung und Diskussion, die mit Leidenschaft geführt wurde, allmählich den richtigen Weg gefunden. Sie hat gelernt, dem wissenschaftlichen Denken mit Offenheit und Anerkennung zu begegnen. Sie weiß, daß zwischen dem wissenschaftlichen Weltbild, dem Denken des modernen Menschen einerseits und dem religiösen Glauben andererseits ein harmonisches Verhältnis möglich ist. Der scheinbare Widerspruch zwischen der kopernikanischen Lehre, oder, besser gesagt, der beginnenden Mechanik der modernen Physik und dem biblischen Schöpfungsbericht ist allmählich verschwunden.“

Was für den Zeitgenossen des Galileo noch ein unüberwindbares Hindernis war, existiere für den heutigen gebildeten Gläubigen nicht mehr. Von diesem Gesichtspunkt aus erscheine Galileo daher nicht bloß als Begründer einer neuen Wissenschaft, sondern auch als hervorragender Vertreter gläubigen Denkens. Die katholische Kirche habe im Gefolge des Galileo und im Geiste seines Wollens durch manche Läuterung hindurch die Möglichkeit eines harmonischen Zusammenwirkens von freier Forschung, freiem Denken einerseits und absoluter Treue zum Wort Gottes anderseits erkannt

Trotz dieser Entwicklung ist die Spannung zwischen Wissenschaft und Glauben, zwischen Naturwissenschaft und Theologie aber noch nicht zur Gänze beseitigt, meinte der Kardinal Eine gewisse Spannung werde bleiben. Der Gedanke einer unveränderlichen Wahrheit, die dem Theologen und Christen eigen ist, stoße bei den Naturwissenschaftern auf emotionale Widerstände, weil diese Gruppe der Wissenschafter unablässig Hypothesen aufstellt, um sie entweder bestätigt oder verworfen zu sehen, was zur Formel „Wissen auf Widerruf geführt hat. „Daher unterscheiden sich Naturwissenschafter und Theologen gleichsam in ihrer Mentalität was Spannung erzeugt“, stellte der Kardinal fest. Das allerdings dürfe nicht über die große Gemeinsamkeit im Streben nach Wissen und Wahrheit hinwegtäuschen.

Abschließend verwies Kardinal König auf die großen Gefahren, die sich daraus ergeben, daß die Mächtigen dieser Erde, daß wirtschaftliche und politische Interessen nach dem Wissen forschenden Geistes unkontrolliert greifen könnten. Die Besitznahme der Wissenschaft durch einzelne oder Gruppen und Staaten widerspreche der erwähnten, der Wissenschaft innewohnenden Internationalität und Unabhängigkeit, die für den Frieden dieser Welt unerläßlich sind. ■

„Die Theologen waren einmal an der tatsächlichen Ausübung der gesellschaftlichen Macht zumindest beteiligt, sind es aber heute kaum mehr. Die Naturwissenschafter hingegen sind es noch nicht. Ich könnte mir vorstellen, daß gerade angesichts dieser Tatsache die Möglichkeit einer Kooperation zwischen Naturwissenschaftern und Theologen sichtbar werden könnte. Die Theologen haben Konsequenzen aus den Lehren der Vergangenheit gezogen und sich zumindest programmatisch von jeder Koalition mit politischen Entscheidungsträgern zurückgezogen. Sie haben damit einen Freiheitsraum wiedergewonnen, aus dem heraus sie besser für die zukünftige globale Fortentwicklung vorbereitet zu sein glauben. Nichts hindert die Theologen daran, mit jenen Naturwissenschaftern zusammenzuarbeiten, deren Besorgnis über die politische Entwicklung allgemein bekannt ist.“

„Denn“, schloß der Kardinal, „es ist tatsächlich eine erschreckende Vorstellung, die Manipulierung des durch die Forschung entwickelten tödlichen Arsenals könnte der unkontrollierten Handhabung und Kühnheit eines Personenkreises überlassen werden, dessen Legitimation sich fast ausschließlich von der geschickten Bestreitung von Wahlkämpfen herzuleiten scheint.“

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