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Galilei - ein bedauerlicher Irrtum

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Das Thema „Wissenschaft und Glaube" -beziehungsweise ihr Verhältnis zueinander -ist in der einen oder anderen Weise immer aktuell. In der Zeit der letzten oder der beiden letzten Generationen sind wesentliche Verschiebungen der Akzente spürbar geworden. Der bislang unerschütterliche Glaube an die Macht von Wissenschaft und Forschung, von technischem Fortschritt, ist heute, nicht zuletzt in Verbindung mit den deutlich gewordenen Umweltproblemen, einer großen Skepsis gewichen. Das gilt wohl auch für den Namen Galileo Galilei, dessen 350. Todestag (8. Jänner 1642) in diesen Tagen wohl Anlaß zu verschiedenen Überlegungen sein dürfte.

Die hartnäckige Verteidigung des von Kopernikus skizzierten neuen heliozentrischen Weltsystems - mit der Sonne und nicht mehr mit der Erde als Mittelpunkt des damals bekannten Weltalls - brachte Galilei in Gegensatz zu den zahlreichen philosophischen und theologischen Gegnern (beider Konfessionen) des neuen kopernikanischen Weltsystems. - Die Konsultoren des Heiligen Offiziums vertraten den Standpunkt der Gegner Kopernikus' und dekretierten: Diese Lehre sei „falsch und widerspreche der Heiligen Schrift". Galilei war ein gläubiger Katholik und ist es wohl auch zeitlebens geblieben. In verschiedenen seiner Briefe vertrat er die Auffassung, daß es zwischent dem Buch der Natur und dem Buch der Offenbarung keinen wirklichen Widerspruch geben könne.

Im Jahre 1632, also 16 Jahre nach dem ersten Eingreifen der Inquisition, versuchte Galilei in seinem großen Werk „Dialog über die zwei großen Weltsysteme" die Gegner

eines Kopemikus und seines Weltbildes von der Richtigkeit seines heliozentrischen Weltsystems zu überzeugen. Das veranlaßte im Jahre darauf (1633) die Inquisition noch einmal, gegen Galilei Einspruch zu erheben und ihn zur Revision seiner Auffassungen zu bringen beziehungsweise einen Prozeß gegen ihn einzuleiten.

Ohne auf die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge und Hintergründe des Galilei-Prozesses einzugehen, ist jedenfalls festzuhalten: Der Name und die damalige Verurteilung Galileo Galileis wurden so für die folgenden Generationen zum Anlaß für die Auffassung, daß Wissenschaft und Glaube unvereinbare Gegensätze seien.

Wegbereiter der Atombombe?

Aus heutiger Sicht ist es zu bedauern, daß es Jahrhunderte gedauert hat, bis eine offizielle Klarstellung der damals entstandenen Mißverständnisse und Vorurteile erfolgt ist. Es war eine mutige Tat Papst Johannes Pauls IL, daß er im Jahre 1979 vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, anläßlich einer Festsitzung zu Ehren des 100. Geburtstages von Albert Einstein, offen auf das heutige Verhältnis von Religion und Wissenschaft zu sprechen kam und dabei auch das Thema Galilei erwähnte. Er stellte fest, daß die Verurteilung Galileis ein bedauerlicher Irrtum gewesen und in die größeren zeitgeschichtlichen Zusammenhänge und Vorstellungen einzuordnen sei.

Noch deutlicher sagte dies der Papst bei seinem Besuch in Deutschland, bei seiner Ansprache im Kölner Dom vor Vertretern der Wissenschaft. Er ging dabei ein auf jene bekannten Konflikte, die - ich zitiere - „aus dem Eingriff kirchlicher Instanzen in den Prozeß wissenschaftlicher Erkenntnis entstanden sind". Ihrer erinnert sich die Kirche heute „mit Bedauern". Sie wisse heute wohl um die Irrtümer und Mängel dieser Verfahren. Daher, so fuhr er fort, „fürchten wir nicht, ja wir halten es für ausgeschlossen, daß eine Wis-

senschaft, die sich auf Vernunftgründe stützt und methodisch gesichert fortschreitet, zu Erkenntnissen gelangt, die in Konflikt mit der Glaubenswahrheit kommen".

Das II. Vatikanische Konzil hatte seinerzeit bereits nachdrücklich festgehalten (Gaudium et spes, Nr. 59), „daß es ,zwei verschiedene Erkenntnisordnungen' gibt, nämlich die des Glaubens und die der Vernunft".

Ein bekannter Atomphysiker unserer Tage, Carl Friedrich von Weizsäcker, hat in seinem vor kurzem erschienenen Buch „Bewußtseinswandel" (1991, S. 405 f.) als Angehöriger der Evangelischen Kirche folgende Stellung zum Fall Galilei bezogen: Galilei, so meint er, hätte sich seinerzeit über Tradition und Autorität der Bibel hinweggesetzt, „auf denen der Weltkreis seiner Zeit als feste Stützen ruhte. Die Kirche aber hatte die Verantwortung für das Ganze und mußte versuchen, mit aller Kraft diese Stützen zu bewahren. ...Galilei hatte diese Kraft nicht. Er fühlte sich nicht an die Verantwortung gebunden. Er diente einer ganz anders gedachten Wissenschaft. ...und so begann bei ihm der gerade Weg zur Atombombe. Denn", so der Autor, „Galilei tat als erster das, was die moderne Physik prinzipiell ermöglichte".

Diese etwas überspitzte und verkürzte Formulierung eines bedeutenden Atomphysikers unserer Tage deutet aber offensichtlich in die Richtung eines heute allgemein als notwendig erkannten menschlichen Bewußtseinswandels, ohne deswegen den Wissenschaftler Galilei zu verurteilen.

So bleibt Galileo Galilei, ohne es geahnt oder gar gewollt zu haben, als Name und Symbol verbunden mit der spannungsgeladenen Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Religion in der europäischen Geistesgeschichte durch alle Jahrhunderte. Heute ist er darüber hinaus ein Zeichen, eine Herausforderung für einen notwendig gewordenen Bewußtseins- und Gesinnungswandel im Bereich von Wissenschaft und Leben, auf dem Weg in eine unbekannte Zukunft.

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