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Ein einsam Selbstgericht

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Daj Haus der Städtischen Bühnen, Frankfurt, ist bis auf den letzten Platz von eleganten Menschen gefüllt; auffallend schon im Kassenraum Rudel von korrekt gekleideten sehr jungen Männern. Die mehr als vierstündige Aufführung von Brechts „Leben des Gallilei wird vom Publikum mit atemloser Aufmerksamkeit verfolgt: nach den ersten Bildern erklingt zögernder Beifall, als sich dann die Kritik an der Kirche (mit den Argumenten unserer Großväter I) zuspitzt, gibt es regelmäßig in der letzten Parkettreihe Szenenapplaus; dort haben sich, bestätigt ein Blick, jene jungen Männer versammelt… Vor der Pause stärkerer allgemeiner Beifall, ohne Widerspruch. Auch den Mienen der erholungsbedürftigen Zuschauer ist nicht anzumerken, ob sie wirklich zufrieden sind, einer Art Dramatisierung von Haeckels „Welträtseln” beizuwohnen. Damit ja kein schlichter, werktätiger Mensch den geistigen Anschluß versäume, gibt ein Bänkelsänger-Trio jeweils zwischen den Bildern die Quintessenz des Geschehens zum besten. Das ist so glänzend gemacht, daß es Zweck und Nebenzweck (Ausfüllung der Pausen) vergessen läßt. Die riesige Mauer als Hintergrund (Bühnenbild Theo Otto) wäre überaus eindrucksvoll auch ohne den erregenden aktuellen Bezug; daß aber in einer entscheidenden Szene des ersten Teiles, als sich die Niederlage der „Wahrheit” abzuzeichnen beginnt, durch Zwischenräume in dieser Mauer drei übergroße Kreuze — durchaus in der traditionellen Gruppierung der Golgatha-Darstellung — entstehen, erdrückend und triumphierend, das geht über die „Aussage” des Stückes hinaus, in dem die Kirche die Macht an sich verkörpert und eigentlich religiöse Fragen kaum berührt werden! Hier wurde dem nur Dekorativen eine bedenkliche Konzession gemacht.

Denn es handelt sich — in dem entscheidenden zweiten Teil — nicht um die Schuld der Kirche, der Macht, die das Denken verbietet, sondern um die Schuld des einzelnen, welcher nicht zu seiner Erkenntnis steht. Zweimal sagt Galilei es selbst: Wer die Wahrheit nicht erkennt» ist nur ein Dummkopf, wer sie aber erkennt und verschweigt, ist ein Verbrecher! Als er seine Lehre widerruft, bricht sein Lieblingsschüler in die Klage aus: „Unglücklich das Land, das keine Helden hat!” Galilei wehrt sich: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat!” Ein Aufschrei der Verzweiflung, der die Szene beschließt — und nicht einmal die letzte Parkettreihe wagt zu klatschen; überhaupt bleibt sie von nun an ratlos stumm.

Galileis Widerruf folgen zehn Jahre Schweigen. Die Inquisition füttert, hätschelt und — bewacht ihren Gefangenen, der seinerzeit die Republik Venedig verlassen hatte, weil sie ihn zu schlecht zahlte, weil er „gutes Essen liebt”. Sein Schüler kommt ihn besuchen, ehe er in das freie Holland auswandert, Galilei übergibt ihm ein heimlich geschriebenes Manuskript. Da aber der Schüler ihm Abbitte leisten will; er verstehe nun, daß Galilei sich für sein Werk erhalten wollte und darum widerrief, weist dieser ihn zurück: Er wollte nur leben, er fürchtete die Folter und den Tod. Eine Gans wird aufgetragen, der Meister macht sich gierig darüber her und ruft dem Besucher sarkastisch nach: „Gib acht auf dich, wenn du durch Deutschland kommst, die Wahrheit unter dem Rock!”

Man sieht, dies ist kein „historisches” Stück; die Aufklärung ist die des neunzehnten Jahrhunderts, nicht die der Renaissance, die einzige Volksszene könnte in der Französischen Revolution spielen, nicht im siebzehnten Jahrhundert. Die Bedeutung des Werkes liegt auch nicht im Philosophischen; der realistische Denker hat keinen Gegenspieler, überdies ist anfangs von ganz anderen Dingen die Rede — vom Recht auf den Versuch und auf Anerkennung von Tatbeständen — als am Schluß, da es Galilei klar wird, daß der „Fortschritt” schließlich zu’ einem „Fortschreiten von der Menschheit weg” ausarten könne! Zu vier Fünftel ist dieses Drama eben nur ein Alibi für Bertold Brecht. Aber das fünfte Fünftel enthält die erschütternde Tragödie, den echten Widerruf eines Dichters, der mit der Maxime begann: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!”, und der ein „einsam’ Selbstgericht” vollzogen hat, das wahrlich Furcht und Mitleid erweckt.

Lebhafter Schlußbeifall für den Regisseur Harry Buckwitz und den hervorragenden Hauptdarsteller Hans Dieter Zeidler.

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