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Das Verhör

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Das war eine der letzten Sensationen der Zwischenkriegsjahre in Berlin. Die Premiere der „Dreigroschenoper“. Alle summten die Songs des Augsburger Dichters Bertolt Brecht (Kurt Weill hatte die Musik dazu geschrieben). Und dieser schon manchenorts beachtete Lyriker, der die „Trommeln in der Nacht“ gerührt hatte, von dem die „Legende vom toten Soldaten“ stammte, der klatschende Hieb ins Gesicht der zum come-back bereiten deutschen Generäle, war der Autor. Der genialisch verwilderte Stoff der Bettleroper des Ben Johnson aus dem Jahrhundert Shakespeares wandelte sich unter seinen Händen zur sozialen Anklage gegen das satte Bürgertum. Gerade sie, die Angegriffenen, aber waren es, die Herren des Berliner Westens, das snobistische Luxuspublikum vom Kurfürstendamm, die diesem Menetekel den begeistertsten Beifall klatschten. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, schrie ihnen dieser Brecht ins Gesicht. Man amüsierte sich königlich, ähnlich den Aristokraten, die dem Beaumarchais süffisanten Beifall gespendet hatten und die wenige Jahre danach die Guillotine bestiegen. Die deutsche Sektion der Kommunistischen Internationale in Berlin, der der Dichter als sogenannter „Sympathisierender“ nahestand, runzelte ein wenig die noch leninistisch freie Stirn. Im übrigen ließ sie ihn gewähren. Mochte es auch ein bißchen über die klare Generallinie hinausgehen. Man war damals noch duldsamer in Moskau. Und zudem „Hab ich doch meine Freude dran...“

Wenig später fiel in Deutschland der erste eiserne Vorhang. Die Dreigroschen-oper und ihr Dichter standen rotgedruckt auf dem Index der Nazis. Es war nur konsequent. Auch Brecht folgte der Konsequenz seines kantiger werdenden Schädels. Revoluzzertum, Empörung gegen die braune Tyrannei, echtes menschliches Aufbegehren, alles bisher vielleicht noch Unbewußte nahm die klarste und entschiedenste Form an, die die Welt jener

Jahre dem zu bieten hatte, für den Gott gestorben war: den marxistisch-leninistischen Kommunismus. Vielleicht hat den in klarster Verstandesdisziplin zum blindesten Parteigehorsam Gekommenen ein innerer Instinkt davor bewahrt, allzulange und oft im Mekka der neuen „Weltreligion“, im Strahlungsbereich der Kremlsonne, die schon dem Kollegen Becher die Flügel der Dichtung verbrannt, die Augen geblendet hatte, zu verweilen. Er war bald da und bald dort in dem noch hitlerfreien Europa dieser hektischen Jahre. In Prag, in Helsinki, in Zürich, in den USA. Jetzt entstanden seine eigentlichen Meisterwerke. Allen voran die „Mutter Courage“, das Stück von der „einfachen Frau“, die ihren „Schnitt vom Kriegsgewinn machen möcht“ und schließlich alles verliert. Auch die ätzendunerbittliche Verstandesklarheit seines finnischen Lustspiels vom Herrn Puntila, dem Grundbesitzer, der nur betrunken erträglich ist, in nüchternem Zustand aber zum brutalen Ekel wird, atmet kaltes Feuer. Der „Galileo Galilei“ wird das Saisonstück des Broadway: der Mensch gegen den Gewissenszwang, wie schön, wie aktuell! Dazwischen entstehen seine Prosastücke, Novellen, theoretische Schriften, „Kalendergeschichten“ nennt er diese harmlos verpackten Sprengbomben lodernder Revolution. Seine Kampfschrift „Versuchung beim Schreiben der Wahrheit“ hat das Zeug, zum „Ecrasez l'infame“ 'dieses Jahrhunderts zu werden. Es ist der Ausdruck jener Menschlichkeit, die sich allein in der Welt weiß, die das „homo homini lupus“ unbestechlich ernst nimmt, so ernst, wie es sich in der Welt ohne Gott, die zu einer Welt gegen Gott geworden ist, auch in Wahrheit verhält. Brecht wird der Sprecher derer, die der Wirklichkeit ins Auge sehen, ohne existentialistische Artistenpose, ohne müdes auchchrist-liches, im Grunde ob seiner Lauheit des Ausspeiens wertes Ästhetentum. Seine exakte Welt hat nur einen Fehler. Sie stimmt in ihren Grundlagen nicht. Der Mensch Bertolt Brecht registriert sachlich, daß die Welt der Besitzenden und der Besitzlosen die Vokabel „Gott“ gestrichen hat. „Srre, wir haben diese Hypothese nieht mehr nötig...“

Und wie ging es weiter? Brecht ist ein deutscher Dichter. (Er soll, sicherem Vernehmen nach, die österreichische Staatsbürgerschaft seiner Frau, der Schauspielerin Helene Weigel, erworben haben.) Er schien, nach einer stummen Pause des Wartens, eines Tages doch den Drang aller deutschen Emigranten seit Heine verspürt zu haben, trotz des „traurigen Monats November“ in die Deutsche Demokratische Republik, die damals anno achtundvierzig (neunzehn-hundertachtundvierzig) noch schlicht und ehrlich „sowjetisch besetzte Zone Deutschlands“ hieß, hinüberzufahren. Eines Tages traf er in Dresden ein. Dort wurde er von den Großer: der neuen demokratisehen Kultur begrüßt. Ein Volksbildungs-minister mit dem geradezu programmatischen Namen Holtzhauer schwang die von langsam herandämmerndem sowjetdeutschem Patriotismus leicht beschwingte Festrede. Brecht saß neben ihm mit seinem Sloppelkopf und seinem Rollkragenpullover und schwieg. Er schwieg von diesem Zeitpunkt an ausgiebig. Nicht einmal die Verleihung des ersten Nationalpreises der DDR für Literatur an den Verseschmied Bedier konnte seinen Ehrgeiz anstacheln, nun doch auch mitzu„werken“ am Aufbau der nationalkommunistisch-sowjetdeutschen Literatur. Die Bühnen spielten seine in den dreißiger Jahren entstandenen Stücke, vor allem die .Mutter Courage“, den „Pun-tila“ und die nach Gorkis erschütterndem Roman umgemodelte Dramatisierung der „Mutter“. Von der „Dreigroschenoper“ sdiwieg man (nur die Auguren seufzten sich die eine oder andere Strophe im stillen Kämmerlein vor), „Galilei“, „Die heilige Johanna“, „Der gute Mensch von Sezuan“ wurden dem ostdeutschen Publikum unterschlagen. In Westdeutschland bestand begreifliche Zurückhaltung. Wien hat ihn gespielt. Brecht selbst stürzte sich mit einer geradezu verzweifelten Perfektion auf ein Nebengeleise seines Genies, das praktische Theater. Er führte in seinen eigenen Stücken Regie, daß den Menschen der Atem wegblieb. Sein „Berliner Ensemble“ ist zu einem Begriff des deutschen Theaters geworden. Hie und da einmal schrieb er ein paar Verszeilen, patriotischer Anlässe wegen. Sie waren dementsprechend schlecht. , Das Rätselraten um ihn verstummte nicht. Immer aber, wenn eifrige Proselyten des Westens ihn schon als den Ihren proklamierten, trat er diesen Kombinationen mit seltener Schroffheit entgegen. Er blieb, was er war: Kommunist, Schüler Hegels, Marx' und Lenins. Nichts weniger ... aber auch nichts mehr.

Nun, vor wenigen Tagen war es so weit, daß man die Probe aufs Exempel anstellte, ob er auch ein „fortschrittlicher“ Kommunist geworden sei. Ob aus dem letzten Ritter des Leninismus auch ein dem gesunden Volksempfinden der Werktätigen naher Friedenskämpfer geworden sei. Man spielte versuchsweise seine von Paul Dessau, den gleich ihm der formalistischen Ketzerei anrüchigen Freund, vertonte Oper „Das Verhör des Lukullus“; — Der römische Feldherr steigt nach seinem triumphalen Staatsbegräbnis in die Unterwelt. Die Schatten der in seinen Kriegen Gefallenen verurteilen ihn und stoßen ihn ins Nichts. Unbarmherzig ist das „In tyrannos“ dieses Unbestechlichen gegen jede Phrase, gegen jede „gute Sache“ geblieben. So unbarmherzig und so klar scheint es aus dem Kunstwerk gesprochen zu haben, daß die anwesenden Volksgenossen der Partei und Jugendorganisation, bei einer tiefsten existentiellen Seite ihres Wesens gepackt, in frenetischen, halbstündigen Beifall ausbrachen. Der Hohe Rat der Republik, die Creme der neuen Gesellschaft aber verließ die Ehrenloge ohne Applaus. („Dem König ist übel...“) Am nächsten Tag ward das Werk verboten. Die Parteizeitungen vereinigten ihre schwersten Geschütze auf Brecht, Dessau und den Intendanten Legal. Das Oberste Ketzergericht, das Politbüro der allmächtigen Partei, hat mit einem feierlichen Bannstrahl gegen diesen „Ungeist“ geantwortet.

Jeden andern hätte dieser Bannstrahl vernichtet. Bei Brecht kann man das nicht wissen.

Um die Seele dieses Genies zu streiten, sind die besten Kräfte gerade gut genug. Denn er ist trotz seines in sich selbst verrannten Intellekts, trotz seiner im Materialismus „gehaltenen“ Augen ein großer Dichter. In seiner Dichtung ist ein echter, unverkennbarer und einmaliger Ton. So wie er muß Esau aufgeschrien haben, als er den ungerechten Segen des Vaters gewahrte. Er haßt den glatten Jakob und seine gesamte Sippe. Nun ist ihm das Linsengericht zum Gott geworden.

Sein Linsengericht.

Und dieses Linsengericht bereitet er allen, die gleich ihm hungern.

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