6939992-1983_23_14.jpg
Digital In Arbeit

Kirche kontra Wissenschaft

19451960198020002020

350 Jahre sind seit dem Inquisitionsprozeß gegen Galileo Galilei vergangen, der das Verhältnis der Naturwissenschaft zur Kirche für Jahrhunderte schwer belastet hat.

19451960198020002020

350 Jahre sind seit dem Inquisitionsprozeß gegen Galileo Galilei vergangen, der das Verhältnis der Naturwissenschaft zur Kirche für Jahrhunderte schwer belastet hat.

Werbung
Werbung
Werbung

Vom 12. April bis zum 22. Juni 1633, also vor 350 Jahren, fand in Rom (im Gebäude des Heiligen Offiziums im Dominikanerkloster Santa Maria Sopra Minerva nahe dem Pantheon) der Inquisitionsprozeß gegen Galileo Galilei statt, der als Professor der Uni versitäten Pisa und Padua und als großherzoglich toskanischer Hofmathematiker zu Florenz auf mehreren Gebieten der Physik und Astronomie bereits europäische Berühmtheit erlangt hatte.

Der Prozeß, der schon im Jahre 1616 ein warnendes Vorspiel gehabt hatte (welches in einer Vermahnung Galileis und der Indizierung des Kopernikus bestand), erregte schon seinerzeit ungeheures Aufsehen, weil Galilei der Ketzerei verdächtigt und genötigt wurde, der kopernikanischen Lehre von der Erdbewegung und von der Sonne als Mittelpunkt des

Planetensystems abzuschwören — zu einer Zeit, als diese Lehre zwar noch von der Mehrheit der Theologen und Gelehrten (auch der protestantischen Konfessionen) abgelehnt, ja bekämpft wurde, von den führenden Köpfen der Zeit (wie zum Beispiel Johannes Kepler) jedoch längst anerkannt war und auch unter den gebildeten Geistlichen zunehmende Zustimmung fand, gerade auch in Italien.

Auf die geistigen Eliten wirkte der Prozeß also schon damals anachronistisch. Umso herausfordernder mußte er auf spätere Generationen wirken, die ihr Weltbild auf weiteren wissenschaftlichen Fortschritten aufbauen konnten. Ja, der Galilei- Prozeß wurde geradezu zum Inbegriff der Unterdrückung der Geistesfreiheit durch dogmatischen Glaubensfanatismus.

Man darf jedoch — zumindest als Historiker — nicht vom tragischen Ende der Auseinandersetzung Galileis mit der Kirche ausgehen, weil diese Sicht nur zu Vereinfachungen führt und dabei jene Vergröberung des in Wirklichkeit sehr differenzierten Sachverhaltes konserviert, die den größten Teil der einschlägigen Literatur bis heute beherrscht und dabei auch Galilei selbst und seinem eigentlichen Wollen nicht gerecht wird.

Richtig ist der umgekehrte Weg: Detaillierte Verfolgung der biographischen Entwicklung Galileis, seiner Freunde und seiner Widersacher von den ersten Konfliktzeichen an, bei gleichzeitiger, immer aufs Differenzieren abgestellter Analyse des damaligen italienischen Katholizismus sowie bei gleichzeitiger Einarbeitung in die ungeheure, weitver- streute Brief- und Denkschriftenliteratur, aus der sich das in den meisten bisherigen Darstellungen zu wenig berücksichtigte geistige Umfeld um Galilei klarer erkennen läßt.

Aus all dem ergeben sich für den hinter die Kulissen Sehenden Relativierungen bei den verschiedenen Beurteilungen und sogar Verschiebungen in manchen’ Schuldfragen. Vor allem wird dabei der Individualkonflikt Galilei - Papst, Galilei-fanatischer Teil des Klerus, Galilei-Inquisition aus seiner Zuspitzung herausgelöst und sinngemäßer in die Vielschichtigkeiten des tatsächlichen Kirchen- und Geisteslebens integriert, welches den Hintergrund und die Ausgangsgrundlage abgab.

Zum Beispiel kann man an einer Fülle von Namen und bezeichnenden Einzelheiten die überaus große Wertschätzung, ja Verehrung und Förderung ablesen, die Galilei auf weiten Strecken seines Lebens beruflich-wissenschaftlich wie auch rein persönlich von Vertretern der Kirche aus allen Rängen bis hinauf-zu den Päpsten erfuhr; dazu seine zahlreichen Freundschaften mit Gelehrten geistlichen Standes, das wohlwollende Interesse, welches ihm von Ordensmännern, Äbten, Prälaten, Bischöfen, Kardinalen, ja sogar von manchen Inquisitoren entgegengebracht wurde; und nicht zuletzt auch die freundschaftliche Zuneigung, die Papst Urban VIII. ihm lange Zeit hindurch schenkte.

Der Ausdruck „die katholische Kirche“ läßt sich also nur sehr bedingt verwenden. Bezeichnend war in diesem Zusammenhang auch, daß etwa ein Drittel der Kardinale der Inquisition das Urteil überhaupt nicht unterschrieb.

So erscheint der Prozeß also, nüchtern betrachtet, eher als ein riesiger juristischer und kirchenstaatspolitischer Unfall, der sich — wie Unfälle ja immer — aus einer Reihe von Faktoren zusammensetzte: aus menschlichen Unzulänglichkeiten, Unterlassungen, Unachtsamkeiten, Fehlern und Mißverständnissen bei allen Beteiligten (auch bei Galilei selbst), und zusätzlich noch kompliziert durch das ständige Hereinspielen der kurialen Parteienwirtschaft, durch theologische Richtungskämpfe, durch mancherlei aus der Geschichte der Zeit heraus bedingte Verquickung der Politik des Kirchenstaats mit der Politik anderer italienischer Staaten, und nicht zuletzt auch noch angereichert durch Ordensstreitigkeiten, durch Mißhelligkeiten in der Professorenschaft der Universitäten und durch persönliche Animositäten. Die rein wissenschaftlichen Meinungsverschiedenheiten waren dabei, wie in der Geschichte bis zum heutigen Tag, nur ein Faktor unter vielen.

Die mit unerhörtem Engagement und mit ansteckender Begeisterung vorgetragenen Bemühungen Galileis, dem neuen kopernikanischen Weltbild Eingang zu verschaffen und die beiden anderen zur Diskussion stehenden Systeme (das „ptolemäische“ und das zu jener Zeit sogar viel wichtigere „tychonische“, von Tycho Ęrahe als „Mischsystem“ ersonnene System) abzusetzen, fanden viele Anhänger — gerade unter den besten Köpfen der katholischen Wissenschaft. Sie verhärteten andererseits aber auch die Voreingenommenheiten der Gegner, von denen, wie immer, die dümmsten die lautesten waren und denen zusätzliche Schützenhilfe aus den Reihen derer erwuchs, die überhaupt nichts verstanden und bloß aus ideologisch-verbrämten Inferioritätsgefühlen gegen den überragenden Geist Galileis heraus an den Streitereien teilnahmen.

Dabei kann man Galilei jedoch nicht, wie das oft geschieht, zu einer Art Vorläufer der Freidenkerei umdeuten. Im Gegenteil: als bewußter, glaubensfester katholischer Humanist, der an seiner Religionstreue nie einen Zweifel ließ (und dessen Töchter Nonnen waren), bemühte er sich — wie er meinte, ganz im Sinne der Kirche und zu deren Nutzen — eifrig, alle kirchlichen Instanzen von der Notwendigkeit einer Öffnung im naturwissenschaftlichen Denken zu überzeugen und entsprechende Reformen einzuleiten.

Er unterschätzte dabei aber die Beharrungskräfte (die es übrigens im protestantischen Bereich genauso gab), er überschätzte die Aussagekraft, ja mitunter sogar die Richtigkeit mancher seiner Argumente (Kepler, dessen „zweite Revolution“ des Weltbildes Galilei überhaupt nicht zur Kenntnis nahm, war hier viel weiter); und er schuf sich zudem durch sein unbeherrschtes.Temperament und seinen als Hochmut wirkenden Hang, die Verdienste anderer herabzusetzen, unnötigerweise Feinde,’wo er oft Freunde hätte haben können.

Die „Falken“ setzten sich gegen die „Tauben“ durch und nützten die Gelegenheit, um unter dem Vorwand des Einschreitenmüs- sens gegen ein bibelwidriges Weltbild gleich auch noch anderes zu erledigen, was ihnen gerade damals notwendig schien: eine Stärkung der vielfach ins Gleiten geratenen kirchlichen Machtstellung mitten im Dreißigjährigen

Krieg, dazu eine Festigung des „Apparats“, dem in Zeiten weltanschaulicher Lockerungen immer eine besondere Rolle zufällt, und nicht zuletzt eine Errichtung eines Schutzwalls gegen die sprunghaft anwachsende Teilnahme breitester interessierter Volksschichten an den weltanschaulichen Diskussionen, von denen man befürchtete, daß sie auch auf andere Bereiche übergreifen könnten.

Denn Galilei schrieb seine in hohen Auflagen erscheinenden brisanten Herausforderungen gegen die „Alte Schule“ nicht wie Kopernikus und Kepler auf Lateinisch, das nur gelehrte Minderheiten lesen konnten, sondern auf Italienisch, zudem noch in einem sehr eleganten Stil. Damit brachte er schwer überschaubare und kaum mehr in den Griff zu bekommende intellektuelle Bewegungen in Gang, die nun wenigstens für eine Zeitlang durch ein drakonisches Urteil (lebenslängliche Konfination in seiner Villa) eingedämmt werden sollten.

Das alles ist aber nicht typisch für die katholische Kirche allein, sondern wiederholt sich in der Geschichte immer wieder. Auch die Kurzsichtigkeit im Planen solcher „Lösungen“ ist typisch für die Handlungsweisen aller „Apparate“ in der Geschichte, die ja nur fürs nächste die Ruhe wieder hersteilen wollen, ohne an langfristige Folgen oder gar an die Möglichkeiten von Blamagen zu denken.

Auch die immer zu sinnlosen Resultaten führende Verknüpfung des rein persönlichen Moments mit dem Einsatz des „Apparats“ ist ein allgemein geschichtliches Phänomen, dem in diesem Fall die Kirche unterlag: es äußerte sich damals in dem menschlich tragischen Zerbrechen der warmen Freundschaft, die zwischen Urban VIII. und Galilei bestanden hatte, und an deren Bruch ein ziemlich undankbares Verhalten Galileis mindestens ebenso viel Schuld trägt wie der leidenschaftliche Charakter des Barberini-Papstes und dessen gekränkte Liebe zu einem Genie.

Die Galilei-Forschung ist also, wenn man sie unter neuen Gesichtspunkten betreibt, noch keineswegs abgeschlossen.

Univ.-Prof. Dr. Günther Hamann lehrt an der Universität Wien Geschichte der Neuzeit. Es handelt sich um eine Kurzfassung seines Festvortrags bei der diesjährigen feierlichen Sitzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am 18. Mai in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung