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Von Hasen, Geistern und Astronomen

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Weihnachtszauber im Burgtheater: Shakespeares „Was ihr wollt“. Zauber des Märchens, des Dämonischen, Charme der Musen, der Dichtung und die Tollheit der Posse. Shakespeare spielt souverän auf dem Seelenklavier des modernen Menschen, lockt ihn in seinen Abgründen, reizt sein Verlangen, fesselt seine Triebe. Der Regisseur Josef G i e- 1 e n hat dem Publikum und sich eine außerordentlich festliche Feier mit dieser Aufführung zu seinem 70. Geburtstag bereitet. Die Bühnenbilder und Kostüme von Ita Maximowna, die Musik Paul Angerers erweisen sich als meisterliche Geburtshelfer bei der Entbindung dieses Festes der Freude. Zart, lieblich und ein wenig zu ernst, Johanna Matz als Viola, in bekannter Würde Aglaja Schmid als Olivia, in bekannter Heftigkeit Blanche Au’bry als Kammermädchen. Ganz prächtig die Männer: Boy Gobert als Malvolio, Peter Weck als Junker Bleichenwang, Fred Lie- wehr als Tobias.

Freude anderer Art im Akademietheater. Rudolf Steinboeck inszenierte hier „Mein Freund Harvey“ von Mary Chase. In der Rolle des Elwood P. Dowd tritt Heinz Rühmann sein Burgtheaterengagement an; vor zwölf Jahren in der „Insel“ hat sie Oscar Karlweis gespielt, auch damals war die großartige Adrienne Geßner seine schwesterliche Partnerin. Erinnern wir uns: während in der grauen und oft bösartigen Wirklichkeit unseres Tages nicht wenige Menschen einen mörderischen Vogel haben, besessen von einer Wahnidee, einem Angstkomplex sind, der sie aggressiv nach außen und innen macht, hat der sensible Mister Dowd einen Hasen. Einen eingebildeten Hasen, seinen Freund Harvey. Durch das Zusammenleben, vor allem auch im Gespräch mit diesem seinem Schutzgeist, schirmt er sich gegen seine banale, dumme, gierige Umwelt ab. Heinz Rühmann gestaltet diese tragische Gestalt, Symbol des einsamen Menschen in unserer Massengesellschaft, mit sparsamen Mitteln, unterspielend, und führt langsam, geduldig das Publikum zur Ergriffenheit.

„Fröhliche Geister“, eine in Wien wohlbekannte Komödie von Noel Coward, in der Josefstadt. Die deutsche Bearbeitung stammt von Curt Götz. Hans J a r a y inszeniert und spielt eine Hauptrolle. Die prächtige Besetzung läßt übersehen, daß-hierzulande wohl die gesellschaftlichen und mentalen Voraussetzungen für ein volles Einschlagen dieses Lustspiels fehlen: ein Spiritismus, die Mode des Manipulierens mit Geistern, gerade in der besseren Gesellschaft. Nun. Elfriede Irrall, dann auch Susanne Al- massy, sind so verführerisch anzusehende Geister, daß man den Spuk und die mögliche Problematik vergißt.

An Größtes wagt sich Frank Zwillinger in seinem Drama „Galileo Galilei“, das nach den Bregenzer Festspielen nunmehr ins Burgtheater einkehrt. Die besten Absichten des Autors sind unverkennbar: gerade am Fall Galilei aufzuzeigen, daß Glaube und Wissenschaft, Kirche und freier Mensch, Kurie und Zukunft sich durchaus versöhnen lassen. Zwillingers Galilei ist ein frommer Professor, dann ein zusammenbrechender Greis, schlußendlich ein listiger Gelehrter, den einige freundliche und etwas mehr unfreundliche Kardinale umstehen, und den ein anfangs befreundeter, dann ihm herrscherlich gegenübertretender Papst, Urban VIII., niederringt. Das Beklemmendste an der Aufführung: die seelische Zermalmung Galileis, seine „Gehirnwäsche", erinnert uns an das, was man mit Kardinal Mindszenthy und anderen Christen und Oppositionellen in den stalinistischen und chinesischen Schauprozessen aufgeführt hat. Paul Hörbiger ist sehr um eine männlich-menschliche, glaubwürdige Gestaltung dieses Galilei bemüht; Heinz Woester gibt Urban VIII. jene Art Würde, die nach mancher Ansicht „Kirchenfürsten“ so gut steht. Adolf R o 11 führt Regie. — Wenigstens angedeutet muß hier werden: die riesenhaften Probleme und die inneren Dimensionen des Falles Galilei werden in Zwillingers Werk ebensowenig wie in Brechts Galilei-Stück zur Darstellung gebracht. 1564, im Todesjahr Michelangelos und Calvins, ist Galilei geboren. Gemäß dem Urteil vom 22. Juni 1633, unterfertigt von sieben Kardmälen, schwört Galilei, ein 70jähriger Greis, auf den Knien die Überzeugung und das Wissen und Werk seines Lebens ab. Seine Unterwerfung wird sofort durch öffentlichen Anschlag allen Universitäten, Klöstern in der ganzen katholischen Welt als Triumph verkündet. Die Folgen sind unter anderem: die Auswanderung der Naturwissenschaften in die protestantische Welt, eine Kluft zwischen freier Forschung und kirchlicher Disziplin, die bis heute nicht geschlossen ist, ein Unvertrauen in die Kirche, weit über die Kreise von Forschern und Intellektuellen hinaus: man ersieht in der kurialen Kirche nur noch die Löwin, die mit blutigen Klauen um ihre Kinder, um ihre Macht kämpft, nicht mehr die Mutter und schon gar nicht den lebendigen Schoß der Freiheit, der Freude an der von Gott dem Menschen mit geteilten Schöpferkraft. Der wirkliche Fall Galilei überschattet bis heute die ganze innerkirchliche Situation, nicht zuletzt die schwierigen Beziehungen der Kirche zur Moderne, zur Zukunft des Menschen im kosmischen Zeitalter. Der Fall Galilei ist offene Wunde in der Kirche und ist brennende Gegenwart; im Stück wird er zum abgeschlossenen Schauspiel.

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