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Menschenjagd

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Eine der ergreifendsten Aufführungen, die Wien in dieser Nachkriegszeit zu sehen bekommen hat, läuft gegenwärtig im Burgtheater: Arthur Millers „H e x e n j a g d". Direktor Gielen, der auch Regie führt, hatte es übernommen, anläßlich der Premiere einleitende Worte zu sprechen, die das überaus Zeitgemäße des Stoffes unterstrichen. Es hätte dieser Hinweise wohl nicht bedurft. Miller ist ein Dramatiker, ist ein Dichter, der es nicht nötig hat, durch Affichen, durch angeklebte Zettel so wie es die meisten „christlichen" Bühnenautoren pflegen aufmerksam zu machen auf das, was, er sagen will. Dicht und tief webt er in der Dimension des Menschlichen seine Gewebe: sein „Tod des Handlungsreisenden" bewies dies bereits. Wenn er es nun unternommen hat, die Verängstigung des heutigen Menschen aufzuzeigen, die furchtbare Sprengwirkung, die aus Haß, Unwissenheit, Terror, Profitgier, religiösem Wahn und Parteisucht entsteht, dann mußte er kein McCarthy-Stück schreiben oder gar ein „prokommunistisches“ Drama, wie es ihm scheinbar jene amerikanischen Stellen unterschoben, die eben in diesen Tagen ihm den Paß für eine Reise nach Europa verweigerten, indem sie erklärten, seine Ausreise liege nicht „im nationalen Interesse". Besser beratene Amerikaner und Europäer, die heute leben zwischen Stalinisten, Hitleristen und anderen Managern de§ Schreckens,

sehen sehr genau:-diese „Hexenjagd" ist durchaus kein „unamerikanisches" Stück, sondern ein Drama, das in der besten Tradition amerikanischer Kämpfer für die Menschenrechte steht. Es gefiel ihm eben deshalb, ein ewiges Thema darzustellen an einem Stoff aus der amerikanischen Geschichte, obwohl das alte und neuere Europa, vom Osten ganz zu schweigen, tausend Exempel hätte liefern können. — Das Stück behandelt eine historische Hexenverfolgung im Ausgang des 17. Jahrhunderts in einer puritanischen Kleinstadt, nicht sehr weit entfernt von Boston. Die letzten Hexenverbrennungen in Mitteleuropa fanden zu Goethes Lebzeiten statt, heute, 1954, sind in ganz Deutschland noch Hexenverfolgungen im Gange — die einschlägigen Prozesse registiert das Hexenarchiv in Hamburg-Altona. Aus Klatschsucht, Neid, Haß, aus den Lügen junger Mädchen entsteht über Nacht ein Brand der Verfolgung, der an die hundert Menschen das Leben kostet, darunter einigen der besten und aufrechtesten Frauen und Männer dieses Siedelraumes. Historisch ist eine Tatsache wichtig: diese puritanischen Siedler waren seit drei Generationen seelisch und körperlich überanstrengt und überfordert, und zwar sowohl durch ihre Gegner, die sie aus England vertrieben hatten, nachdem sie lange genug die „Kinder des Lichtes" gehetzt, verstümmelt, gefoltert hatten — wie durch ihre eigene Lehre, wozu noch das harte angespannte Leben des „Frontiers" kam, der tägliche Kampf um die Rodung und um das nackte Leben, mit den „Rothäuten". Das strenge Kirchenregiment, ein Erbe Calvins, der sich seinerseits in Genf behaupten mußte gegen eine gesamteuropäische Allianz von Großmächten, verstärkte in dieser puritanischen Siedlung den Staudruck, der seit der Austreibung aus Europa auf den Seelen und’ Leibern lag. Ein Gott des Zornes, der Rache, hatte diese „Reinen", diese Neumanichäer, die jede „weltliche" Freude als Teufelswerk ansahen, eingefordert für seine Gerichte: waren sie, diese auserwählten „Kinder des Lichtes", nicht berufen, die Welt von „Unzucht", „Verderbnis des Fleisches", von allen Teufeleien zu „reinigen"? Ein amerikanischer Theologe, Reinhold Niebuhr, hat 1945 selbstkritisch aufgezeigt, wie diese puritanische Ideologie zu den Kreuzzügen gegen „Jesuiten", „Bolschewiken", und für ihre „Demokratie" führt. An der schwächsten Stelle bricht dieses System zusammen: Mädchen in den Entwicklungsjahren erleben das Erwachen ihrer Geschlechtlichkeit als Einbruch des Teufels. Eine Hysterikerin Annemarie Düringer wird ihr Führer, und nun bricht das Verhängnis herein: um ein Ketzergericht, das die Stadt „säubern" will von Teufelsknechten, sammelt sich alles, was in diesen Menschen an unverstandener Not, Sorge, Angst, an Neid, Haß, Berechnung, Konkurrenzsucht ungeborgen wuchert. Die wenigen Aufrechten, die es wagen, sich der Maschine des Terrors entgegenzustellen eindrucksvoll Hedwig Bleibtreu, Alma Seidler, Fred Hennings gehen als Märtyrer unter, als ungebrochene Zeugen für jenes Amerika auch der Zukunft, das sö vielen Verfolgten aus aller Herren Ländern vom 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts Aufnahme gewähren wird. Zu ihnen gesellt sich ein Pastor, der selbst durch seinen Hexenglauben den Brand mitangefacht hat, und der überzeugt wird durch deren standhafte Haltung Steinbock. — Die Echtheit dieses Dramas wird bekundet durch die Echtheit seiner Gestalten:

sie alle sind aus Fleisch und Blut, aus Licht und Dunkel, sie alle haben ihre Schwäche, Sünde und Stärke und geheimen Kräfte — diese Mädchen, dieser unselige Pastor Albin Skoda, diese ihre Position verteidigenden Richter, und jeder dieser Siedler, Bürger, Bauern. — Ein Bild des Menschen wird hier aufgerollt — des Menschen, der sein ärgster Feind ist, weil er den in seiner eigenen Brust unausgetragenen Kampf hinausträgt "in äußere Kriege und Kämpfe.

In der Scala wird als vorösterliche Premiere Maxim Gorkis „Die Kinder der Sonne" gegeben. Von einem unerschütterlichen Glauben an die Geduld des Publikums und an die Kraft dieser Dichtung beseelt, spinnt diese Aufführung im Zeitlupentempo das äußerlich dürftige Geschehen ab. Gartenlaube, etwas vom Naturalismus der 1890er Jahre, Verse, die im Stammbuch unserer Großeltern stehen könnten, „weltanschauliche" Bekenntnisse aus der Darwin- und Haeckel- Zeit — und das alles irgendwie eingeschmolzen in eine wirkliche Dichtung! Das Epigonenhafte in Gorki, nachzüglerisch sowohl der westeuropäischen Dichtung wie a,uch der russischen des 19. Jahrhunderts gegenüber, wird deutlich sichtbar. Da aber erfüllen einige mächtige Gestalten das dürftige Gezeit der „Handlung": der Chemiker, der von Fortschritt und kosmischer Verwandlung träumt Wolfgang Heinz, seine alles verstehende und verzeihende Frau Hortense Raky, seine kranke Schwester Erika Peli- kowsky ... An ihre innere Lebensmächtigkeit klammert sich das um Verständnis ringend Publikum, dem das hier geschilderte gesellschaftliche Milieu — ein gewisses russisches Bürgertuns und Kleinbürgertum vor 1914 — unendlich fremd ist.

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