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Warum klumpte die kosmische Suppe ?

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Die Entstehung der Galaxien ist heute eines der aktuellsten Probleme der Kosmologie. Konkrete Aussagen darüber, die ins Urknall-Bild passen, sind weiterhin nicht in Sicht.

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Die Entstehung der Galaxien ist heute eines der aktuellsten Probleme der Kosmologie. Konkrete Aussagen darüber, die ins Urknall-Bild passen, sind weiterhin nicht in Sicht.

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Vor nicht gar langer Zeit wäre die Frage, wie wohl die Milliarden von Galaxien, deren eine bekanntlich unser Milchstraßensystem mit seinen Milliarden Sternen ist, entstanden sein könnten, als in hohem Maß müßig betrachtet worden. Es gab nicht nur keinen Hinweis, daß es plötzlich möglich sein sollte, sich dem Problem mit einiger Hoffnung auf

Ergebnisse zu widmen. Es gab eigentlich auch keinen aktuellen Grund, es zu tun. Die Frage juckte niemanden. Jedenfalls nicht die Kosmologen, die sich mit dem Ursprung des Weltalls befassenden Astronomen und Physiker. In dem überaus eleganten und überzeugenden Bild eines sich seit dem Urknall unablässig ausdehnenden Kosmos, das als „Stan-dardmodell” die gute, alte Ansicht vom unendlichen und ewigen Universum hinweggefegt hat, ist die Galaxien-Entstehung ein häßlicher Fremdkörper. Provozierend wie die weißen Flecken auf der Landkarte.

Als immer mehr Anhänger des unendlichen und ewigen Kosmos kapitulierten und sich die Theorie von einem vor 15 bis 20 Milliarden Jahren erfolgten Urknall zu eigen machten, zeichnete sich die Bedeutung des Galaxien-Problems noch nicht ab. Wieder einmal war man erst dann bereit, sich von einem Weltbild zu trennen, als sich ein anderes, besser abgesichertes, mit neuen Beobachtungen im Einklang stehendes, anbot.

Widerlegt war ja der Kosmos unendlicher Ausdehnung, der immer schon dagewesen war, seit rund zwei Jahrhunderten, und zwar mit einem sehr einfachen und überzeugenden Argument:

Wenn das Weltall unendlich groß ist, muß es darin auch unendlich viele Sterne geben. Gibt es aber unendlich viele Sterne, kann es am Himmel keine Stelle ohne Sterne geben. Wenn das Weltall ewig besteht, hat auch das Licht dieser unendlich vielen Sterne, so weit sie auch entfernt sein mögen, genug Zeit gehabt, zu uns zu gelangen. Folglich müßte der ganze Himmel gleißend hell sein wie die Sonne. In diesem Fall könnte Leben auf der Erde nicht existieren, es wäre gar nicht entstanden. Und nach allem, was man heute über Entstehung und Zerfall von Atomkernen weiß, hätten in einem solchen ewigen und unendlichen Weltall nicht einmal Sterne entstehen können.

Was leicht einzusehen ist: Bei jedem atomaren Bindungsprozeß (Entstehung von Atomkernen, Atomen etc.) wird Energie frei. Wo diese Energie als Strahlung Teilchen trifft, findet ein atomarer Zerf allsprozeß statt. Im ewigen, unendlichen Kosmos würde jede Teilchenbindung von der bei der Bindung anderer Teilchen entstandenen Strahlung aufgehoben. Die Bildung jeder komplexeren Struktur wäre unmöglich.

Der bei der Ausdehnung des Kosmos entstehende leere Raum, in dem Strahlung „versickern” kann, fügt sich nahtlos in das Urknall-Weltbild, in dem bislang eine Beobachtung die andere stützt und Widerlegungsversuche stets das Gegenteil bewirkten.

Verzögert wurde die Geburt des Urknall-Weltbildes durch den leeren Raum zwischen den Köpfen der Wissenschaftler, in dem wichtige Informationen versik-kerten. Als Edwin Hubble in den zwanziger Jahren die Rotverschiebung in den Spektren von immer mehr Galaxien konstatierte, zögerte er, auf eine allgemeine Expansion des Kosmos zu schlie-

ßen. Er wußte nicht, daß schon Einstein diese auf mathematischem Weg konstatiert, dann aber aus seiner Theorie wieder herausgetrickst hatte, da ihm alle Astronomen versicherten, von Ausdehnung des Weltalls könne keine Rede sein.

Und viel später wußten Arno Penzias und Robert W. Wilson, als sie vergeblich die Ursache eines lästigen Drei-Grad-Kelvin-Rauschens in ihrer rauschfreien Su-perantenne suchten, nichts von George Gamow, der die Entdek-kung eines solchen Rauschens (mit ein paar Grad Kelvin mehr, weil er ein notorisch schlampiger Rechner war) prophezeit hatte — als „Nachhall” der Explosion, in der das Weltall entstanden sei. Penzias und Wilson bekamen den Nobelpreis, Gamow nicht - er war halt ein bißchen zu früh dran gewesen.

Nach der Entdeckung der kosmischen Hintergrundstrahlung schritt die Entwicklung des neuen Weltbildes wieder einmal sehr schnell voran. Auf zwei Beinen: Das eine sind die Formeln des 1906 aus dem Leben gegangenen Österreichers Ludwig Boltz-mann, die im thermischen Gleichgewicht Energie und Temperatur in einen eindeutigen Zusammenhang bringen. Das andere Bein sind die Erkenntnisse der modernen Teilchenphysik.

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist also der Kosmos vor 15 bis 20 Milliarden Jahren entstanden.

Wir wissen zwar nicht, ob es Leben, gar sich intelligent nennendes, anderswo gibt, können uns aber dafür ausrechnen, daß sich das All in einer Hundertstelsekunde auf 100.000 Millionen Grad Kelvin (die Celsiustemperatur ist jeweils um 273,15 Grad höher) abkühlte und nun „nur” noch so dicht war, daß ein Liter davon 3,8 Milliarden Kilo wog... daß es weitere 0,11 Sekunden später „nur noch” 30.000 Millionen Grad heiß war... und daß sich 13,83 Sekunden nach dem Urknall bei nur noch 3.000 Millionen Grad Kelvin die ersten Helium- und Wasserstoff-Kerne bilden konnten, die aber zum Großteil schnell wieder zerfielen. Komplette Atome entstanden erst nach rund 500.000 Jahren.

Erstes Ärgernis dieses Weltbildes: Die Rückrechnungen stimmen nur, wenn das All homogen und isotrop ist, für jeden Beobachter und nach allen Richtungen gleich. Vieles deutet darauf hin, Sicherheit gibt es nicht.

Zweites Ärgernis: Nur die Schwerkraft allein kann nicht zur „Verklumpung der Ursuppe” und damit zur Bildung der Galaxien geführt haben. Waren schon vor dem Urknall Strukturen vorgebildet? Vorübergehend klammerten sich die Theoretiker an die Vorstellung von „Wirbeln” und Strudeln”, mittlerweile rechnen und spekulieren sie sich immer näher an den Urknall heran — auf der Suche nach etwas, was die Annahme irgendeines „Faktors vor dem Urknall” erspart. Dessen, des Urknalls, Realität freilich stellt kaum ein Physiker mehr in Frage.

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