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Zelebriertes Horrorspektakel: Lachen über den Weltuntergang

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Unter dem Etikett von "Science fiction" zelebriert die Filmindustrie Horrorspektakel - und willig überläßt sich das Publikum den Schrecken des "Katastrophenfilms“.

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Unter dem Etikett von "Science fiction" zelebriert die Filmindustrie Horrorspektakel - und willig überläßt sich das Publikum den Schrecken des "Katastrophenfilms“.

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In der Welt des Geistes, so Karl Popper, lassen wir nicht Menschen, sondern Ideen oder Theorien für uns sterben. Das Kino ist Ort der Simulation, der Film Illusionsmaschine. Kino ist mythischer Ort: Probleme werden an die „Leinwand gebannt“, Ängste magisch (und stellvertretend) bewältigt. Darstellung als Zauber: Projektion! Da wird vorgeliebt, vorgestorben — und seit der Atombombe, die den Stellenwert des Menschen im Kosmos relativiert hat (Karl Jaspers), führt man uns den Gattungstod vor.

Weltuntergangsvorstellungen finden sich in zahlreichen Mythen, in der Bibel bei Johannes und in der germanischen Edda. Aber unserem Jahrhundert ist es Vorbehalten geblieben, die Möglichkeit des Schreckens zu realisieren und diesen zudem industriell als Spielhandlung zu verkaufen. So wurde in Hollywood das atomare Desaster zur Unterhaltungsware. Nicht nur Warnung oder Abschreckung, sondern auch Vorbereitung auf den Tag X kann da der Zweck sein.

Während sich in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts das „Phantastische“ mit seinen Monstern, Außerirdischen und technischen Zukunftsvisionen im Zentrum des Interesses befand, nahm in der zweiten Hälfte der „kritische“ Aspekt zu. 1951 zeigte Robert Wise „Der Tag, an dem die Erde Stillstand“: Der extraterrestrische Klaatu landet in Washington und zwingt die USA, die Atombombenversuche einzustellen.

Als echter Propagandafilm entpuppt sich der während des Kalten Krieges 1952 entstandene Streifen „Invasion gegen USA“ von A. E. Green. Nicht Frieden und Toleranz sind seine Botschaft, sondern Vorbereitung für den Ernstfall. Die eindringenden „Monster“, die Alaska besetzen und Kalifornien bombardieren, lassen sich unschwer als Russen ausnehmen.

In zahlreichen Filmen wurde die Weltkatastrophe vorausgesetzt und nur mehr aus der Sicht einiger Überlebender geschildert. In „Five“ von Arch Oboler (1951) kommt erstmals sozialdarwini- stische Ideologie ins Bild: Nach dem Strahlenholocaust überleben nur jene Starken, die eine wider-standsfähigere Rasse zu zeugen vermögen — nach dem Knall das Himmelreich der besser Angepaßten.

Ende der fünfziger Jahre erregte Stanley Kramer mit seinem nach Nevil Shutes Roman gedrehten Film „Das letzte Ufer“ (1959) Aufsehen. Zum ersten Male spielten weltberühmte Stars in einem deklarierten Antiatomkriegs- Film: Gregory Peck, Fred Astaire, Ava Gardner und Anthony Per- kins. Auf der Südspitze Australiens warten die letzten Menschen auf die sich ihnen nähernde radioaktive Wolke, um schließlich den Freitod zu wählen.

Daß Atomversuche die Erde aus ihrer Bahn schleudern können, zeigte Val Guest in „Feuer wird vom Himmel fallen“ (1961), wie überhaupt seit den sechziger Jahren das Wissenschaftsethos in den Vordergrund rückte: „Der Tag an dem die Fische kamen“ (von Michael Cacoyannis, 1967) beschäftigte sich mit atomaren Umweltkatastrophen; das „China-Syndrom“ von James Bridges (1979) hat die Vertuschung eines Atomunfalls zum Thema.

Viele Streifen der letzten zwanzig Jahre vertreten die Meinung, daß nicht so sehr geplante Aggression, als vielmehr Unachtsamkeit, ein „Unfall“ das Ende herbeiführen könnte. Erhaltung alter Werte gegen Rebarbarisie- rungstendenzen nach der Katastrophe ist ein durchgehendes Motiv von Science-fiction-Filmen aus den USA. Ray Milland zeigte 1962 in „Panik in der Stunde Null“ einen Mann, der seine Fami- lie gegen umherschweifende Männerhorden verteidigte; zehn Jahre später ließ Boris Segal in „Der Omega-Mann“ nach einem bakteriologischen Krieg zwischen Rußland und China einen Überlebenden gegen geheimbündleri- sche Mutanten und Banden kämpfen.

Spätestens seit Stanley Ku- bricks „Dr. Strangelove“ (19631 wurden auch groteske Elemente verarbeitet. Schwarze Utopie — schwarzer Humor. In „The bed sitting room“ (1969) von Richard Lester taumeln die Überlebenden im Sinne Beckettscher Endzeitfiguren in Slapstickrollen durch eine lächerliche, kaputte Welt. Sie spielen traditionelle „Rollen“ (Adelige, Bürger, TV-Sprecher), die freilich völlig sinnlos geworden sind. Grotesk mutet es auch an, wenn sich in Joseph Sargents „Colossus“ (1970) ein amerikanischer und ein sowjetischer Supercomputer zusammenschließen, um gemeinsam einen Atomkrieg gegen die Menschheit zu führen.

Hinter dem Eisernen Vorhang sind nur gelegentlich Filme zum Thema Atömbedrohung gedreht worden. 1961 hatte Michail Romm (UdSSR) das Schicksal eines For- schers verfilmt, der sich in Eigenversuchen der Strahlung aussetzt — ein Held der Arbeit. Der slowakische Regisseur Jan Schmidt hatte 1965 einen der wenigen „post-doomsday“-Streifen östlicher Prägung hergestellt: die Ge- scnichte einiger Frauen, die nach dem Atomkrieg einen Mann suchen und schließlich nur ein altes, schwaches Exemplar vorfinden, das ein Weiterbestehen der Menschheit sicherlich nicht mehr gewährleisten kann.

Angesichts der bedrohlichen Weltlage nehmen sich alle diese Filme „naiv“ aus, im besten Falle sind sie poetische Rettungsversuche der Phantasie. Nur die „Fan- tasy-Space-Operas“ sind heute noch optimistisch und wirken daher wie Ablenkungsdrogen.

Soll man nur den Märchen die Kraft einer positiven Deutung überlassen? Ist es nicht denkbar, daß realistische Zukunftsfilme den Weg aus dem Wellental vor- führen? Warum nur Geschäfte mit der Nachtseite? Freilich: auch die positiven Lösungsversuche werden sich der Naivität zu entkleiden haben.

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