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Statt Spaghetti blaue Bohnen

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Fast ein Jahr Verbrächte der Filmregisseur Sergio Leone mit den dokumentarischen Vorstudien zum größten Western-projekt der letzten zwei Dezennien „C'era una volta il West“ („Es war einmal im Wilden Westen.“ In Österreich wird der Streifen demnächst unter dem die Sentimentalität ironisierenden Titel „Spiel mit mir das Lied vom Tod“ anlaufen). Der rundliche, bebrillte Maestro, berühmt als Schöpfer der kassenfüllenden, packenden Horse Operas „Zwei glorreiche Halunken“ („II buono, il brutto e il cattivo“), „Für eine Handvoll Dollars“ („Per un pugno di dollari“) und „Für ein paar Dollars mehr“ („Per qualche dollaro in piu“) durchbrach damit ein seit je nahezu unbestrittenes amerikanisches Monopol.

Sein neuestes Werk schildert mit absoluter historiischer Treue den dramatischen Eisenbahnbau im Westen der USA während der Zeit nach 1870, eine Breitwandballade von Schweiß, Qualm und blauen Bohnen. Auf Motivsuche bereiste Leone Texas, Arizona und Utah. Doch die Originalschauplätze der einstigen Trassierung erwiesen sich als ungeeignet für die filmische Rekonstruktion des Geschehens. „Ich mußte feststellen, daß die Gebiete nicht mehr den Charakter unberührter Landschaft hatten, wie um 1870“, erklärte der Regisseur. „Zu viele Drähte, die den Horizont vergittern, zu viele Autostraßen und Verkehrszeichen, viel zu viele Farmen. Mit einem Wort: zuviel moderne Welt im Blickwinkel der Kameras. Deshalb sah ich mich in Spanien nach entsprechenden Drehorten um.“

Hatte man schon für „Dr. Schiwago“ in der Nähe Madrids einen Stadtteil Moskaus authentisch nachgebaut, so ließ Leone am Fuß der Sierra Nevada bei Guadix, etwa 70 Kilometer von Granada, nach alten Photographien und anderen zeitgenössischen Darstellungen eine völlig stilgerechte Ansiedelung der Pioniere erstehen. Dazu etwa 10 Kilometer Schienenstrecke, von musealen Zügen befahren. Mit Genehmigung der spanischen Behörden sprengte er sogar einen Paß in das Gebirgsmassiv, um dort eindrucksvolle Szenen drehen zu können. Sergio Leone war bestrebt, eine genaue Entsprechung jenes Terrains zu geben, das er auf seinen Reisen in Utah und Arizona gesehen hatte. Von dort brachte er zum Vergleich sogar Proben der roten Erde mit, die für Landstriche im Südwesten der USA charakteristisch ist. Bei der Sierra Nevada fand er das Naturkolorit, das er gesucht hatte. — Nur ein Detail der gigantischen Vorbereitungen, gewiß, doch kennzeichnend für die Arbeitsweise dieses Regisseurs.

„Meine Filme sollen ein scharfer Protest gegen die Gefühlsarmut und den Verfall der Lebenswerte in unserer heutigen Gesellschaft sein“, betont der mediterrane Wildwestspezialist plakativ. Und sein langjähriger Regieassistent Giancarlo Santi sagte mir: „Leones Westerns sind vom Psychologischen her aufgebaut. Alle seine Filme wurden Kassenschlager, zudem sind sie anspruchsvoll und in ihrer Tendenz durchaus menschlich.“ „Wie sind Sie auf die Idee gekommen, gerade Wildwestfilme zu drehen?“ fragte ich den Maestro, den ich in Rom traf.

„Das Genre hat mich schon immer sehr gereizt, es war wie eine Wette mit mir selbst. Ich sagte mir: warum sollten nicht auch wir das können? Man glaubt, es sei leicht, einen Western zu drehen, dabei ist es eine der schwierigsten Filmgattungen, gerade weil das dramaturgische Gerüst im Grund äußerst einfach ist. Es ist kein Zufall, daß die besten amerikanischen Westerns von hervorragenden Regisseuren, wie Fred Zinnemann und John Ford, gemacht wurden. Der Western ist eine Durchdringung von Fabel und Wirklichkeit, mit stehenden Charakteren, die man wohl am besten mit den Gestalten Homers vergleichen könnte: der Gute, der Böse, der Held, der Rächer... Vom Thema her also unveränderliche menschliche Situationen, Balladenstoffe, wenn Sie wollen. Die Kunst liegt nun darin, durch ungewöhnliche Gestaltung bestimmte Überraschungsmomente zu setzen und neuartige Wirkungen zu erzielen.“ „Welche Aussage streben Sie mit Ihren Westerns an?“ „Die Erbitterung, die uns erfaßt hat, denn wir leben heute zweifellos in einer absurden Welt. Wir sind in eine Zwangslage geraten, Empfindung, Nächstenliebe — all das wird verschüttet. In die Gestalten meiner Filme projiziere ich jene Rebellion gegen die Verlogenheit, die uns umgibt.

Die moderne Welt, die Zivilisation, der Fortschritt haben jene inneren Leere bewirkt, sie haben den Menschen so weit gebracht, daß er nicht mehr an Gefühle glaubt. Auch alle anderen Werte, wie etwa der Begriff Vaterland, haben ihre Gültigkeit verloren. Naturgemäß erwachsen daraus andere Probleme, andere Erfordernisse. Alles wird härter, zynischer, denken wir nur an den Opportunismus, das Strebertum im privaten wie im staatlichen Bereich. Daher spiegeln die handelnden Personen meiner Filme, diese Gestalten aus einer Frühepoche, meine Abneigung gegen jene Zeiterscheinungen von heute wider.

Meine Figuren haben immer Symbolgehalt. So könnte man zum Beispiel die Hauptgestalt in ,Für eine Handvoll Dollars' etwas als eine Art Erzengel Michael auffassen, der kommt um ,reinen Tisch' zu machen. Auf diese Weise hat man nun die Möglichkeit, mit einem gewissen Maß an Intelligenz und unverbildetem Verstand, solche Dinge auch in einem Western zu behandeln. Ein anderer meiner Filme, ,Zwei glorreiche Halunken', ist eine Anklage gegen den Krieg. Qie Figuren treten zwar im Kostüm des Western auf, doch sie könnten ebensogut aus der Zeit des zweiten Weltkriegs stammen.“

„Welchen Unterschied sehen Sie zwischen Ihren eigenen Wildwestfilmen und denen anderer italienischer Regisseure, die die gleiche Richtung vertreten?“

„In diesen Nachahmungen gilt das Gesetz Auge um Auge, Gewalt gegen Gewalt, ohne Rücksicht auf Wahrscheinlichkeit, ohne jegliche Motivierung. Ich meine, der Western müßte für den Regisseur das Meisterstück bedeuten. Es geht um psychologische Vertiefung und klare Linie. In diesem Sinn sollte der Western wirklich das Zeugnis künstlerischer Befähigung und fachlichen Könnens sein. Viele haben geglaubt, die Erfolge meiner Filme wären nur daraus zu erklären, daß es darin sieben, acht oder zehn Tote gibt und sie sagten sich: .Lassen wir gleich hundert sterben, das wird dann noch mehr einschlagen'.“ „Glauben Sie, daß sich die Gattung des Western halten wird?“ „Western wird es immer geben, denn das Kino ist gerade dafür wie geschaffen, und schon rein vom Akustischen her gibt es nichts Besseres für die Leinwand: der Huf schlag der Pferde, das Knallen der Revolver, das Knarren und Rasseln der Postkutschen ...“

„Sie haben angekündigt, daß Sie nach „Spiel mir das Lied vom Tod“ keinen Film dieses Genres mehr drehen werden. Warum nicht?“ „Aus einem einfachen Grund: wie Sie wissen, wollte ich diesen Film eigentlich gar nicht machen. Dann habe ich gesehen, wie an dem Projekt herumimprovisiert wurde und übernahm schließlich doch die Regie. Es war wirklich eine Reaktion auf die Umstände. Ich hätte auf meine Erfolge spekulieren können und wäre vielleicht einer der reichsten Männer der Filmwelt geworden, denn man bot mir viele Verträge an, die ich unbesehen unterschreiben hätte können. Aber ich sagte mir: Schluß. Sehen Sie, mir schmeckt Minestra sehr gut, aber deswegen möchte ich nicht mein ganzes Leben lang nur Minestra essen. Vier Westerns genügen! Ich bann Pferde nicht mehr sehen.“

„Wie charakterisieren Sie Ihren letzten Western?“

„Es ist ein romantischer Film. Manche haben geschrieben, es sei ein Riesensehinken. Das ist er nicht. Ich finde mit vier Hauptgestalten dats Auslangen, die für mich in gewisser Hinsicht die Geburt dieses großen Landes symbolisieren: zwei Banditen, ein Industrieller und ein leichtes Mädchen.“

„Welche anderen Pläne haben Sie?“ „Momentan zwei Projekte: einen Film über Stalingrad, doch Stalingrad von innen gesehen, der Widerstand des einzelnen Zivilisten statt der Kämpfe der Soldaten. Und das zweite: ,C'era una volta 1'Amerika' (Es war einmal in Amerika). Der Titel klingt recht polemisch, aber für mich begann der Abstieg der USA mit dem Wall-Street-Krach. Damals versank das wahre Amerika.“

(Aus dem Italienischen übersetzt von Gunther Martin.)

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