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DIE ZUKUNFT IM FILM

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Anlaß für die nachfolgende Betrachtung gibt die Wiener Erstaufführung des englischen Science-fiction-Films .euervögel startbereit“. Es handelt sich bei diesem Abenteuer aus dem 21. Jahrhundert um einen der interessantesten und vor allem hintergründigsten utopischen Filme der letzten Jahre, für den sichtlich unsere Jugendlichen und Kinder noch zuwenig vorbereitet und unsere Erwachsenen zu konservativ-blasiert sind. Science-fiction ist eben ein Gebiet, das in Österreich höchstens von ein paar „kindischen Phantasten und Narren“ beschritten wird, über das die anderen „reifen Menschen“ mit mildem Lächeln und Kenntnislosig-keit hinweggehen...

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Science-fiction, in den englisch sprechenden Ländern genau wie in der romanischen fast zu einer großen „Bewegung“ ausgeweitet, kann — in der Literatur natürlich genau wie im Film — absolut künstlerische Ausdrucksformen finden, und die Anerkennung, die bei aufgeschlossenen Fachleuten Dichter von Jules Verne über H. G. Wells bis Ray Bradbury finden, ist daher ebenso auf filmische Gebiete anwendbar; und daß es alljährlich sogar ein „Festival des Science-fiction-Films“ gibt (in Triest), mag trotz vieler Mängel, die sich bei allem Wohlwollen angesichts dieser filmisch nur schlecht beschickten Veranstaltung ergeben — immerhin die Bedeutung erkennen lassen, die man diesem Genre zollt. Eines der Hauptprobleme, das auch Jahr um Jahr in Triest diskutiert wird, ohne je zu einem Ergebnis zu kommen, ist die Trennung der Science-fiction in einen utopisch-wissenschaftlichen (eventuell noch phantastischen) Sektor und einen anderen, der dem „Horror-Film“ (dem Gruselfilm) vorbehalten ist, der gewöhnlich (bei minderwertigen Produkten) die „Science“ total verläßt und in uferlosen unhaltbar primitiven Schreckenskitsch auszuarten pflegt — was vermutlich die generelle Ablehnung von Science-fiction verursacht. Doch sollten zumindest die Kritiker diese Unterscheidung kennen und dafür Verständnis aufbringen...

Im Italienischen läßt sich das Gebiet etwas einfacher abgrenzen oder bestimmen, da die Bezeichnung, die es umschließt, großzügiger ist und weiter gespannt: „Fanta-scienza'“ — was also ebenso das Phantastische wie die utopische, wissenschaftlich-errechenbare Fiction beinhaltet. Oder praktisch: ebenso die Erfindung des künstlichen Menschen (des Humunculus im „Faust“ oder der „Frankenstein“- Kreatur) wie des Roboters (der im Raumschiff fremde Planetensysteme erforscht), ebenso die Verwandlung in ein Untier (von „La Belle et la Bete“ bis zum wissenschaftlich-tiefenpsychologisch erklärbaren „Dr. Jekyll und Mr. Hyde'“) wie die Eroberung des Mondes, die morgen vielleicht schon möglich sein wird ... Strenge Science-fiction-Anhänger lehnen allerdings diese Erweiterung ab, da sie automatisch dann auf alles Phantastische mitangewendet werden müßte, auf den Vampyrismus und auch auf Lykanthropie — was doch wohl nichts mehr mit „wissenschaftlicher“ Erdichtung (= Science-fiction) zu tun hat...

durch besondere technische oder auch künstlerische Qualitäten auszeichnen, wie etwa „Endstation Mond“, 1950, „Kampf der Welten“, 1913, und „Alarm im Weltall'“, 1956, von den „Klassikern“ dieses Genres („Aelita“, „Metropolis“, „Die Frau im Mond“, „Die Welt in 100 Jahren“ usw.) ganz zu schweigen.

Zu Beginn der sechziger Jahre setzte eine Stagnation in der Produktion ein (vergleichbar auch beim Western!), in der nur wenige, dafür um so bedeutendere Ausnahmen auf sich aufmerksam machten — die „political-flction“-Filme, wie „Dr. Seltsam oder Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, 1963, „Angriffsziel Moskau“, 1964, ja selbst „Sieben Tage im Mai'“, 1964 (die eindeutig in das Science-fiction-Gebiet gehören, wie „1984“), Grenzfälle dazwischen, wie Francois Truffauts „Fahrenheit 411“, 1966, und rein utopische Science-fiction-Geschichten schließlich, wie „Die phantastische Reise'“, „Feuervögel startbereit“, „Planet der Affen“ (Regie: Franklin Schaffner, läuft Anfang nächsten Jahres in Wien an) und „2001: Odyssee im Weltraum“ (die kein geringerer als Stanley Kubrick zu inszenieren sich nicht scheute — wie werden sich da unsere Kritiker winden!), alle 1967. Diese genannten Filme, alle von Könnern und international berühmten Regisseuren gestaltet, lassen eine neue Welle im Science-fiction-Film erkennen, an der man nicht achtlos vorübergehen sollte; Quantität wurde durch Qualität ersetzt — und es wird Zeit, daß man dies zur Kenntnis nimmt und dementsprechend ernsthaft sich damit befaßt.

Als typisch dafür mag „Feuervögel startbereit“ gelten. Dieser britische in Technicolor und „Supermarionation'“ (ein Scherz, der für nichts anderes als bloß „Techni-Scope“ zu gelten hat) gedrehte abendfüllende Film entstand nach einer sehr beliebten englischen Fernsehserie „Thunderbirds“, in der jeweils in einem Kurzfilm eine Gruppe kühner junger Männer vom „Internationalen Rettungsdienst (die fünf Söhne eines Exastronauten und Millionärs namens Tracy) utopische Heldentaten vollbringen. In dem abendfüllenden Film nun sind diese Taten auf eineinhalb Stunden ausgedehnt, wobei als Handlungsfaden ein Raumflug zum Mars dient, der beim ersten Start sabotiert wird, beim zweiten, dank des Einsatzes einer Geheimagentin, endlich durchgeführt werden kann, bis bei der Rückkehr auf die Erde wieder die Hilfe des Rettungsdienstes in Anspruch genommen werden muß. Das Wunderbare dabei ist die Tatsache, daß keine lebenden Menschen die Akteure des Geschehens sind, sondern Puppen (die angeblich elektronisch gesteuert werden, sich aber in Wirklichkeit an Fäden bewegen), wodurch das Ganze noch einen zusätzlichen irrealen Charakter erhält.

Wenn es allein bei diesem technischen Effekt bliebe, wäre die Idee, die Abstraktion eines Raumfluges noch durch abstrakte Darsteller zu überhöhen, schon originell genug; doch sie wird ausgesprochen bedeutsam und hintergründig, wenn der Regisseur seine Marionetten, menschliche Karikaturen, die wie aus amerikanischen Fortsetzungs-Comics kopiert (kantige, faltenlose Köpfe mit Bürstenhaarschnitt, der Idealtyp des Amerikaners) aussehen, Liebesabenteuer bestehen und sogar Sexualwunschträume (primitivster Art, selbstverständlich) erleben läßt... Hier wird die Attrappe, die Puppe, zum Symbol einer künftigen Menschenrasse, die entindividualisiert, militarisiert und vollmechanisiert (man sieht niemals eine Figur gehen, immer fährt oder gleitet sie) sein wird. — Roboter einer leeren, von technischen Alpträumen erfüllten Welt, der jedes menschliche Denken, Fühlen und Handeln abhandengekommen ist, ein Weg, den wir bereits seit Ende des zweiten Weltkrieges zu beschreiten begonnen haben...

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