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Flucht in die Träume

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Die Diskussion, was eigentlich zum Gebiet der Science-fiction im Film zu zählen ist, hat schon lange aufgehört — die Teilnehmer am XI. Festival Internazionale del Film di Fantascienza sind sinnloser Debatten müde geworden und genießen den Zauber des einstig ruhmvollen Adriahafens, soweit er noch zu finden ist, und gehen daneben dann „halt“ ins Kino, weil dies eben zu den Pflichten eines eingeladenen Gastes gehört... Die Teilnehmer: vorwiegend eine Schar von Science-fiction-Anhängern, die gewohnheitsmäßig jedes Jahr im Juli sich in Triest versammeln, — und daneben dann einige wenige ernsthaft am Film Interessierte, einige wenige Filmkritiker, die immer mehr am Ernst und Sinn der Veranstaltung zweifeln. Die Filmländer schicken ihren Ausschuß hin — warum auch nicht, da die Organisatoren sich keinerlei wirkliche Mühe geben, irgendeine Auswahl zu treffen, sich um entsprechende Filmwerke rechtzeitig zu bemühen. Irgendwie kommen dann, im letzten Augenblick zusammengetrommelt, immer noch soviele Filme zusammen, daß acht Abende ausgefüllt werden können — für die SF-Fans genügen sie, die Bevölkerung nimmt ohnedies immer weniger Anteil und wegen des Festivals fährt ja doch kein einziger Fremder nach Triest. Kritiken werden ohnedies nicht gelesen, nicht zur Kenntnis genommen: das Festival ist zu einer erstarrten Gewohnheit geworden, die eines Tages in aller Stille entschlafen wird, aufhören zu bestehen — und nicht einmal das wird dann bemerkt werden ...

Ja sicher, unter den — stolz im Schlußkommunique verkündeten — neun abendfüllenden und 29 kurzen Filmen aus 13 Ländern befinden sich dann immer einige (wenige) Filme, die akzeptabel sind, deren Niveau hoch über das ansonsten in Triest Gezeigte hinausragt — aber eben dieses Allgemeinniveau ist erschrek-kend tief, nicht nur eines Festivals, sondern sogar eines kleinen Kommerzkinos unwürdig; ein so unterdurchschnittlicher Horrorspaß wie der amerikanische, schließlich sogar mit dem „Goldenen Asteroiden“ (Hauptpreis) ausgezeichnete Beitrag „Schlock“, eine zweifellos für den Kenner manchmal ganz amüsante Aneinanderreihung von Gags (parodistisch „Frankenstein“, „King Kong“ und „2001 — Odyssee im Weltraum“ entnommen) ohne eigentliche Handlung und Logik, würde bei uns von jedem Kritiker wohl nur mit höhnischer Ironie als billiger Kitsch abgetan werden. Und die östlichen Beiträge — Bulgariens „Der Dritte nach der Sonne“, „Unternehmen Bororo“ aus der Tschechoslowakei und „Sannikows Land“ aus der Sowjetunion — sind bestenfalls als Kinder- und Jugendfilme zu werten, wobei deren pädagogischer Wert bei uns auch durchaus anzweifelbar erscheint. Was den tschechischen Beitrag betrifft, so ähnelt er in Thematik und Stil übrigens so vollendet jenen deutschein Filmen zwischen 1933 und 1945 (mit anderen Vorzeichen selbstverständlich, hier sind natürlich böse Westdeutsche, Franzosen und Italiener die finsteren staatsfeindlichen Schurken), daß nach der Vorführung selbst im durchaus ostfreundlichen Italien peinliches Schweigen herrschte, — und der sowjetrussische, eine Jules-Verne-Kopie voll früh-hollywoodia-nischem Pathos und westlicher Effektnaohahmung, ist von so erstaunlicher bourgeoiser Spießer-haftigkeit, als ob es 1917 keinerlei Veränderung in der UdSSR gegeben habe ... Daß den Nachkriegsdeutschen von heute der Humor fehlt, wissen wir, daß sie aber auch das wichtigste Ingredienz für einen Science-fiction-Film, nämlich die Fantasie, in so geringem Maße besitzen, ist die einzige (eigentlich wenig erstaunliche) Erkenntnis, die sich aus dem DDR-Beitrag „Eolo-mea“ ergibt... Uber den fünften Serienfilm „Die Schlacht um den Planeten der Affen“ schließlich sei besser der wohlwollende Mantel des Schweigens gebreitet — wir werden in Wien leider nicht umhin kommen, in Kürze dieses langweilige und geistlose Opus ohnedies erleben zu müssen...

Drei Filme allein machen dann schließlich kein Festival aus: der belgische Beitrag „Malpertuis“ (mit Orson Welles, Mathieu Carriere, Jean-Pierre Cassel und Susan Hampshire) — eine fanatische Bildvision um griechische Götter, in eine flandrische Hafenstadt Ende des vorigen Jahrhunderts verlegt — überragte alles nicht minder wie der abendfüllende französisch-tschechoslowakische Zeichenfilm „La planete sauvage“, der schon bei den Filmfestspielen in Cannes in diesem Jahr durch seine kühnen, an Bosch orientierten Schreokensbilder Aufsehen erregte. Hier hat Science-fiction im Film ihren vollendetsten Niederschlag gefunden! Und wenn auch der italienische Beitrag von Corrado Farina „Bobo Yaga“ (an der Fumetti-Gestalt „Valentina“ von Guido Crepax orientiert) von der Produktion aus kommerziellen Gründen um 20 Minuten gekürzt wurde, so ist das Ergebnis — deshalb außer Konkurrenz aufgeführt — immer noch voll bestechender Originalität, weitaus besser als „Barbarella“, „Diabolik“ oder „Mo-desty Blaise“ die Idee, den Gehalt von „Comics“ in die Sprache des Films umsetzend. Dennoch ist dies aber für ein Filmfestival, für „Festspiele“ wohl etwas zu wenig...

Dabei wäre Triest, einst wichtigster Hafen der Donauländer, wie keine zweite Stadt dazu berufen, heute die Funktion kultureller und industrieller Beziehungsanknüpfungen auszuüben: an Stelle kindischer Science-fiction-Spielereien könnte ein Festival der mitteleuropäischen Länder von wirklich eminenter Bedeutung sein — man stelle sich die Idee vor, daß täglich ein anderes mitteleuropäisches Land, Ungarn, Italien, Jugoslawien, die CSSR, Österreich usw., nicht nur seine wichtigsten Kurz- und Spielfilme mit völkerverbindender Tendenz präsentiert, sondern darüber hinaus auch am Abend in dem wunderschönen Stadttheater in Triest ein bedeutendes Theatergastspiel dieses Landes stattfindet, dazu ein Konzert, eine Dichterlesung, eine Ausstellung ... Vermutlich wären die Kosten höher als für dieses in jeder Beziehung „fantastische“ „Science-fiction-Filmfestival — so aber sind zweifellos alle Subventionen sinnlos vergeudet. Und Triest wird es — leider — weiter nötig haben, seinen Standard (in keiner anderen Stadt sieht man mehr modisch-neueste Motorräder und prozentuell auf den Kopf der Bevölkerung gibt es mehr Autos als in Mailand!) dadurch zu decken, daß von den nahen Grenzen jugoslawische Einkäufer in Heuschreckenscharen einfallen und die märchenhafte Hügelstadt verbalka-nisieren. Der Anfang dazu ist schon gemacht...

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