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Die Domane des Kitsches

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Neben Westernern, Krimis und Gefühlsschnulzen nimmt auf dem großen Markt der Trivialliteratur der „Zukunftsroman“ einen besonderen Platz ein. Eine wahre Flut von Groschenheften und Taschenbüchern ergießt sich wöchentlich über den literarisch anspruchslosen Verbraucher, wobei der Zukunftsheld Perry Rhodan besondere Beliebtheit genießt. Mit'mehr als 900 (!) Titeln und einer Gesamtauflage von rund 100 Millionen (!) „Romanen“ gehört dieses Weltraummachwerk zu den Spitzenreitern auf dem Groschenmarkt.Kein Wunder also, wenn diese Literaturgattung in unseren Breiten immer noch als „Trivial- und Primitivliteratur“ bewertet wird, stellt doch die Lektüre, dieser Produkte keinerlei Anforderungen an den Intellekt des Lesers.Serien wie diese sind jedoch nur das bedauerliche Abfallprodukt einer Literaturgattung, deren ernst zu nehmende Exponenten-einer eingehenden Untersuchung durchaus wert sind.

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Neben Westernern, Krimis und Gefühlsschnulzen nimmt auf dem großen Markt der Trivialliteratur der „Zukunftsroman“ einen besonderen Platz ein. Eine wahre Flut von Groschenheften und Taschenbüchern ergießt sich wöchentlich über den literarisch anspruchslosen Verbraucher, wobei der Zukunftsheld Perry Rhodan besondere Beliebtheit genießt. Mit'mehr als 900 (!) Titeln und einer Gesamtauflage von rund 100 Millionen (!) „Romanen“ gehört dieses Weltraummachwerk zu den Spitzenreitern auf dem Groschenmarkt.Kein Wunder also, wenn diese Literaturgattung in unseren Breiten immer noch als „Trivial- und Primitivliteratur“ bewertet wird, stellt doch die Lektüre, dieser Produkte keinerlei Anforderungen an den Intellekt des Lesers.Serien wie diese sind jedoch nur das bedauerliche Abfallprodukt einer Literaturgattung, deren ernst zu nehmende Exponenten-einer eingehenden Untersuchung durchaus wert sind.

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Was ist überhaupt „Science-fiction“? Übersetzt man wörtlich, könnte man an einen fingierten Wissenschaftsfortschritt in der Zukunft denken. Andere wieder wollen das Element der Phantasie in den Vordergrund stellen, etwa in Form der Darstellung eines künftigen Paradieses. Wieder andere heben das Moment des Abenteuers hervor, also etwa einen in den Weltraum transponierten Tarzan oder einen wild mit Laser-Strahlen um sich schmelzenden John Wayne. Diesen letzteren Ansprüchen werden die Groschenhefte mit schöner Regelmäßigkeit gerecht, an Science-fiction im engeren Sinn müssen jedoch andere Anforderungen gestellt werden.

Erst wenn die abenteuerlichen Gags einer ernsteren Betrachtung des Menschen und seiner Gesellschaft Platz machen, ist ein Ansatzpunkt für seriöse Science-fiction-Literatur gegeben.

Die „Politeia“ Piatons, „Der Sonnenstaat“ Campanellas, die „Utopia“ des Thomas Morus und die „Nova Atlantis“ des Francis Bacon sind legitime Vorläufer, die zwar von vielen nicht als Science-fiction im technischen Sinne verstanden werden, da sie sich nicht primär mit der Zukunft beschäftigten, sondern mit Hilfe des Umwegs über imaginäre Zukunftsgesellschaften ihre eigene Zeit und die eigenen Zeitgenossen treffen wollten. Ähnliche Tendenzen finden sich in Voltaires „Micromegas“, in Swifts „Gullivers Reisen“ und Mon-tesquieus „Lettres persanes“. All diesen Werken — bei aller Qualität — fehlt ab wesentliches Element die Berücksichtigung der Zukunft als Dimension menschlicher Phantasie und — zeitbedingt — auch ein Minimum an naturwissenschaftlichem Wissen.

Erst mit der Abkehr von einem religiös geprägten Weltbild begann sich eine neue Art von Literatur zu entwickeln, eine Literatur, der das Bewußtsein zugrunde liegt, daß der Mensch die „Entwicklung steuern, die Gesellschaft nach einem Entwurf organisieren, die Verhältnisse intellektuell konstruieren könne“ (Isaac Asimow).

Ein Jules Verne begann mit großem Erfolg Science-fiction zu schreiben, andere folgten, und insbesondere in den USA setzte alsbald ein Boom von Science-fictionf-Literatur ein, aber auch in Europa tat sich einiges; so H. G. Wells „The Shape of the Things to Come“, „The Time Machine“, Huxleys „Brave New World“ und „Island“, Orwells „1984“, Samjatins „Wir“, Ray Bradburys „Fahrenheit 451“, oder Ira Levins „This Perfect Day“. Essenz dieser Bücher ist nicht etwa technische Spielerei, es wird vielmehr darin naturwissenschaftlicher Fortschritt in seinen Auswirkungen auf die Gesellschaft untersucht.

In Aldous Huxleys „Brave New World“ werden die Menschen bereits nach biologischen Auslesekriterien produziert und konditioniert. Der Kastenstaat wird allgemein als legitim angesehen, gesundheitlich unschädlicher Drogengebrauch wird nicht nur nicht verboten, sondern sogar empfohlen. Der „Wilde“, den es durch besondere Umstände in diese Gesellschaft verschlägt, zerbricht an ihrer Unmenschlichkeit; er, möchte „Mensch“ sein, Lieb und Haß, Freud und Leid, Glück und Trauer fühlen und erleben können. Sein Freitod wird von den Zeitgenossen nur mit Unverständnis zur Kenntnis genommen.

George Orwell geht in „1984“ anders vor. Er schildert die schreckliche Vision eines total-rnanipulierten Staates, in dem die Untertanen durch permanente Propaganda (insbesondere durch konsequente Geschichtsfälschung!) und Kontrolle (Fernsehmonitoren befinden sich in jedem Raum) gesteuert werden. Gelingt es dem einen oder anderen dennoch, sich freizukämpfen, so stellt sich letztlich die Sinnlosigkeit der Flucht heraus, denn auch die „Untergrundorganisation“ ist von Regierungsmännern durchsetzt. Der bis ins Detail geplante und durchgeführte Zugriff des Staates läßt dem Individuum keine Chance.

„This Perfect Day“ von Ira Levin zeichnet das erschreckende und beklemmende Bild einer durch regelmäßige zwangsweise Dorgenbehand-lung gefügig gemachten Menschheit.

Der Amerikaner Robert A. Heinlein schrieb noch während des Zweiten Weltkrieges eine Erzählung, in der er die mögliche Erfindung der Atombombe, ihren Einsatz zum Zweck der Kriegsbeendigung und ein nachfolgendes Gleichgewicht des Schreckens vorwegnimmt und über die damit für die menschliche Gesellschaft verbundenen Folgen reflektiert.

Das gerade ist die Stärke seriöser Science-fiction-Literatur: die Analyse künftiger gesellschaftlicher Problemstellungen. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg wurden Fragen des Umweltschutzes, der Technisierung und der Bevölkerungsexplosion behandelt! So gibt es von den bekannten Autoren Frederick Pohl und Cyril Kornblith eine Geschichte („Die Volkszähler“), die mit beißender Ironie eine Zeit beschreiben, in der die Volkszähler mit der Dezimierung der Bevölkerung beschäftigt sind, um die Bevölkerungsexplosion in den Griff zu bekommen.

(Demgegenüber suggerieren die Groschenheftchen, die Zukunftsfilm-chen mit grünen Marsmenschen und die billigen Science-fiction-Comics Trost und Sicherheit in einer heilen Zukunftswelt.)

Während also der Science-fiction-Kritiker ein Übermaß an technisch-naturwissenschaftlicher Spekulation ablehnen muß, bekommt gute Science-fiction-Literatur gerade erst durch ihren politologischen Akzent eine neue Dimension, weshalb — insbesondere im angloamerikanischen Sprachraum — diese Spezialgattung auch gerne „political-fiction“ genannt wird.

Kein Wunder auch, daß sich diese Literaturgattung nicht nur im Westen, sondern gerade auch in den kommunistischen Staaten großer Beliebtheit erfreut. Leider wurde bislang nur ein Bruchteil der Flut sowjetischer Science-fiction-Literatur übersetzt. Ein Grund dafür mag in der Tatsache liegen, daß „die Abwertung, die der kommunistischen Gesellschaftslehre dadurch zuteil wird, daß man die Handlung in den wertfreien Weltraum oder in eine Zukunft verlegt, welche die Gegenwartserscheinungen auf Erden zum Kuriosum abstempelt, die Science-fiction-Literatur zum Sorgenkind der Partei macht“. (Aus einem Vorwort zu einer Anthologie wissenschaftlich-phantastischer Erzählungen aus Rußland.)

Der Russe Andrej D. Sacharow etwa malt in dem Roman „Wie ich mir die Zukunft vorstelle“ ein Bild der Koexistenz der Supermächte im Jahr 2000, während Jewgenij Sarn-jatins „Wir“ einen totalitären Alptraumstaat schildert, in dem angeordnet wird, die Phantasie sei aus den Gehirnen der Menschen „herauszuoperieren“.

Dem Ungarn Peter Lengyel dient in seinem Roman „Der zweite Planet der Ogg“ eine Zeitreise als „Aufhänger“, wobei der Autor jedoch seriöser vorgeht als unzählige vor ihm, indem die Invasion von einem fremden Planeten ihm nicht als Vorwand zu einer blutigen Weltraumoper dient, sondern zu einer einzigartigen Parabel über die sich mit Eigengesetzlichkeit fortsetzende Gewalt wird. Der Autor formuliert dies selbst: „Jedes denkende Wesen müßte sich darüber im klaren sein, daß das Grundgesetz einer Gesellschaft, die das Zeitalter der Barbarei hinter sich hat, jede Art von Krieg ausschließt“. Solcherart wird „Der zweite Planet von Ogg“ zu einem intellektuellen Mahner, der Lethargie und Unfähigkeit zum Widerstand, vor allem aber die Gewalt selber als falsche Alternative zur Gewalt entlarvt.

Trotz der überwältigenden Flut der Groschenpresse ist die Menge der seriösen Science-fiction in den letzten Jahren beständig gewachsen. Zu den Altmeistern, wie etwa Isaac Asimow, haben sich viele neue Talente gereiht, wie zum Beispiel Kurt Vonnegut jr. oder J. G. Ballard.

Der mahnende Wert intellektuell hochstehender Science-fiction sollte nicht zu gering eingeschätzt werden. So, wenn etwa Gordon Rattray Taylor in seinem bekannten Buch „Die biologische Zeitbombe“ auf das Problem verweist, daß die Gesellschaftswissenschaften mit den Naturwissenschaften nicht Schritt gehalten haben. „Es sind die ethischen und soziologischen Folgen, die uns veranlassen sollten, jetzt schon Hilfsmittel und Auswege zu suchen. Bevor uns die Realität knebelt, deren unheildrohende Zeichen uns nötigen sollten, den Versuch zu unternehmen, sie zu interpretieren.“ (O. E. Stain).

Heute ist diese Problematik Gemeingut, doch noch vor nicht allzulanger Zeit galt eine derartige Meinung in weiten Kreisen, die der „schönen“ Literatur huldigen, als reißerische Panikmache.

Science-fiction hat also durchaus ihre Berechtigung als ernstzunehmende Literaturgattung und es wäre hoch an der Zeit, der Pauschaldisqualifikation ein Ende zu machen. Schlechte Literatur läßt sich offensichtlich nicht umbringen und leider ist vielen ein unverbindliches Geschreibsel lieber als die geistige Auseinandersetzung mit einem wertvollen Buch.

Der polnische Schriftsteller Stanislaw Lern, eine der unbestrittenen Science-fiction-Kapazitäten, stellte daher auch jüngst resignierend fest, das die Science-fiction „zu einer Domäne des Kitsches und der Mystifikation“ geworden sei. Dennoch schreibt er weiterhin anspruchsvolle Bücher, obwohl ihn schauderte, „in welch fragwürdige, ja mißliche Gesellschaft ich geraten war, als ich beschlossen hatte, Science-fiction zu schreiben“.

Mit Erotik, Knalleffekten und plätschernder Unterhaltung hat echte Science-fiction nichts zu tun und sie ist auch keine Lektüre für Kinder. Spannend wird Science-fiction immer sein, aber nur für den, der sich Zeit nimmt, über die Zukunft nachzudenken.

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