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Greuel von gestern und morgen

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Diese Woche wird nun wieder einmal der Beweis geliefert, daß Filmkunstwerke genre-unabhängig sind, das heißt, daß in jeder Gattung der kinematographischen Palette eine vollendete künstlerische Gestaltung möglich ist, also nicht nur im „Problemfilm“, sondern ebenso im Abenteuerfilm, im Western, im Horrorfilm wie auf dem Gebiet des. Science-fiction-Films — vorausgesetzt, es liegt ein ausgezeichnetes, ebenso durchdachtes wie literarischdramaturgisch geformtes Drehbuch vor, das einem fähigen Regisseur übergeben wird.

Bei „Andromeda — Tödlicher Staub aus dem All“ treffen diese Voraussetzungen zu — und das Ergebnis ist ein filmisches Meisterwerk, spannend und faszinierend, das unter die zehn besten Filme in der Geschichte des Science-fiction-Films gezählt werden muß (selbst in dem bei uns fast um eine halbe Stunde gegenüber der Originalfassung von 130 Minuten gekürzten Torso!). Der Film behandelt den Kampf eines Wissenschaftler-Teams gegen aus dem Kosmos durch eine Raumsonde eingeschleppte Organismen, die als unbekannte Erreger einer tödlichen Seuche die Menschheit zu vernichten drohen — echte wissenschaftliche Fiktion, heute durchaus reale Möglichkeit (womit sich auch eindeutig das Gebiet der „Science-fiction“ gegenüber dem der Utopie oder Horror-fiction, beziehungsweise Fantasy abgrenzen läßt). Wie dies als eiskalter Kampf menschlichen Fortschritts der Wissenschaft, unterstützt von gigantischen Computer-Aufspeicherungen, in dem Film bildhafte Gestalt erhält, ist möglicherweise nicht immer exakt wissenschaftlich stichhältig, auch durchaus nicht immer logisch, aber so erregend und mitreißend (zugleich auch erschreckend frustrierend, weil kalt und nüchtern), daß dieser Film ein hinreißender Thriller ebenso wie ein Kunstwerk zugleich ist...

Nach „Mondo cane“ und „Africa addio“ beschert uns nun das Regie-Team Gualtier Jacopetti & Franco Prosperi (lange Jahre der Zusammenarbeit haben ein echtes „Team“ ergeben, von dem aber eigentlich nur Jacopetti ein Begriff ist) ihr seit fast vier Jahren in Arbeit befindliches neuestes Opus, die Spielfilm-Dokumentation „Addio, Onkel Tom“, in der die Ursache der explosiven Realität des amerikanischen Negerproblems in der Darstellung der Tatsachen aus der amerikanischen Negersklaverei aufgezeigt wird. Da es keine Filmdokumente aus dieser Zeit gibt (beziehungsweise nicht geben kann), haben die Autor-Regisseure den filmischen Trick benützt, ein heutiges Journalisten-Team in die Vergangenheit zu transferieren und eine Untersuchung, eine „Reportage“ über das Sklavenwesen durchführen zu lassen, wobei an Hand authentisch belegter historischer Aussprüche, Reden, Broschüren, Zeitungen und Bücher exakt die Greuel der Vergangenheit rekonstruiert („nachgespielt“) werden. Dies mag zwar verwirren (wozu noch einige Verfremdungsgags kommen), ist aber filmisch legitim — nicht weniger als der Film überhaupt: er ist von einem Team von Sensationsjournalisten als überaus effektvolles gestelltes Bilddokument gemacht, dessen spekulative Absicht unleugbar ist. Ist es jedoch bei Zeitungen, Illustrierten (mit Sensationsreportagen über Fürstenhochzeiten, Filmschauspielerprivatleben und Kriegsberichten) anders? Wenn wir Jacopetti verdammen, müssen wir konsequent sein. Wer also wirft den ersten Stein?

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