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Terra incognita bestbekannt

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Es gibt kaum eine andere Literaturgattung, über die mit solcher Ausdauer so viel Halb- und Unrichtiges geredet und geschrieben wird wie über Science Fiction. Schlicht und einfach falsch ist, zum Beispiel, die so oft gehörte Feststellung, Science Fiction bedeute literarischen Vorgriff auf technisch Machbares von übermorgen. Faktum ist, daß die überwiegende Mehrheit der einschlägigen Autoren, die bekanntesten und am besten schreibenden eingeschlossen, alles, was als technische Möglichkeit von übermorgen heute wenigstens vorausgeahnt werden kann, fast krampfhaft ausspart. Aber Legenden, auch Legenden über unmittelbar nachprüfbare Sachverhalte, haben bekanntlich ein langes Leben.

Was Science Fiction tatsächlich ist: Projektion überaus gegenwärtiger und unmittelbarer Menschheitsprobleme in unendlich entfernte Raum-und Zeitebenen. Interessanterweise gilt dies für die Massenproduktion unbeschreiblich, niedrigen Niveaus (Etwa „Perry Rhodan“ mit wöchentlich mindestens 200.000 Exemplaren!) ebenso wie für die Spitzenprodukte der Branche, die sich fallweise beträchtlich über das gar nicht so niedrige Niveau des angelsächsischen Unterhaltungsromans erheben (der deutsche Sprachraum ist auf diesem Gebiet bekanntlich notorisch unterentwickelt). Sie alle haben einen gemeinsamen Blickwinkel, nämlich den einer übersteigerten Aggressionsproblematik, aus dem sowohl eine mittlerweile das gesamte Weltall inklusive der fernsten Spiralnebel kolonisierende Menschheit als auch deren Kontakte mit andee-ren Lebewesen, denkenden oder nicht, betrachtet werden. Der Sammelband „Die besten Science-Fiction-Geschichten“ aus dem Diogenes-Verlag bietet einen repräsentativen Querschnitt durch die oberen Regionen der Pyramide, wobei Peter Naujack (Auswahl, Übersetzung, Nachwort) zum Beispiel eine Geschichte von Isaac Asimov aufzutreiben wußte, die dessen guten Ruf durchaus rechtfertigt. Einiges, was man sonst von Asimov zu lesen bekam ließ diesen amerikanischen Autor leider als einen Mann erkennen, der sich die Entwicklung der Menschheit offensichtlich nicht anders als eine Entwicklung zu immer strafferen und reaktionäreren hierarchischen Verhältnissen vorzustellen vermag. Das hat er mit einer ganzen Reihe anderer Sciene-Fic-tion-Schreiber gemeinsam. Ein großer Teil ihrer Produktion Ist Untertanen-Lesefutter, die oberste Tugend, die sie propagieren, der Gehorsam.

Aber nichts gegen die Asimov-Ge-schichte vom Roboter QT 1, der im Energieumformer einer Raumstation seinen Götzen entdeckt und seine menschliche Umgebung zwingt, diesen „Gott“ ebenfalls anzubeten. Science Fiction auf höchstem Niveau: „In fremder Gewalt“ von Walter M. Müler, eine schreckliche Geschichte freilich auch von der unendlichen Einsamkeit eines utopischen weiblichen Kains nach seiner Tat. Oder „Wonnen der Einsamkeit“ von J. T. Mclntosh, dessen Beitrag, ein seltener Fall, echte Möglichkeit spiegelt — es ist eine Geschichte über die Halluzinationen der im All für Jahre verschollenen Einsamen, die sich Phantasiegestalten zu ihrer Gesellschaft erschaffen und schließlich Realität und Einbildung nicht mehr zu unterscheiden vermögen. Auch der zergrübelt-überkandidelte Poul Anderson und der eher harte Schreiber Robert A. Heinlein sind mit Beiträgen vertreten, die sie auf der Höhe ihres sehr beachtlichen Könnens zeigen.

Der Diogenes-Band erspart die Lektüre einer ganzen Science-Fictio-1-Bibliothek, viele einschlägige Bücher sind ohnehin nur routinemäßig und ziemlich lieblos auf die vorschriftsmäßige Länge ausgewalzt. Wäre Science Fiction immer so, wäre es schön. Das gilt auch für die Übersetzung. Naujacks Übertragungen zeigen, in welchem Ausmaß andere Übersetzer derselben Autoren oft schludern und zur unpräzisen Wiedergabe neigen.

DIE BESTEN SCIENCE-FICTIONGESCHICHTEN. Herausgegeben von Peter Naujack. Eine Diogenes-Anthologie. Diogenes-Verlag, Zürich, 384 Seiten, Leinen, DM 12,80.

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