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„E. T.“: Vom Himmel hoch

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Regisseur. Steven Spielberg hat sich in Hollywood wieder einen Kindheits- traum erfüllt. Welchen Nerv des Kinopublikums hat er mit „E.T.“ getroffen? Einen, der auch die Theologen angeht: Warum findet ein säkularisierter Himmel soviel Interesse, der religiöse aber nicht? Oder auch: Warum sprechen Sekten und Gurus viele Menschen an? Lehren die etablierten Kirchen Ungefragtes? Dazu zwei Beiträge als Stoff fürs Nachdenken über diese Fragen.

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Regisseur. Steven Spielberg hat sich in Hollywood wieder einen Kindheits- traum erfüllt. Welchen Nerv des Kinopublikums hat er mit „E.T.“ getroffen? Einen, der auch die Theologen angeht: Warum findet ein säkularisierter Himmel soviel Interesse, der religiöse aber nicht? Oder auch: Warum sprechen Sekten und Gurus viele Menschen an? Lehren die etablierten Kirchen Ungefragtes? Dazu zwei Beiträge als Stoff fürs Nachdenken über diese Fragen.

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Unsere Urgroßeltern wuchsen mit Jules Verne, unsere Großeltern mit H.G. Wells, unsere Eltern bereits mit einer Fülle von Zukunftsromanschreibern wie Robert E. Heinlein oder Olav Sta- pledon heran. Wir Heutige leben mit Futurologen, entzünden unsere Phantasie mehr oder weniger an utopischen Fernsehserien und den Prognosen der Zukunftsforscher.

In diesen Bereichen laufen nicht selten Märchen, Wunschtraum, Angst, Realität, Wahrscheinlichkeit und Irrationales nebeneinander her. Als Neugierwesen suchen wir das Unerforschte und können trotz der Freude an Entdeckungen die Furcht vor diesen schwer verbergen — zudem sich Utopisches heute schon bewahrheitet und althergebrachte Weltbilder relativiert haben.

Zu den archetypischen Vorstellungen der Menschheit zählt das „bevölkerte und lebende“ All. Seit jeher ist der Himmel nicht nur Sitz der Sterne. Götter, Lichtbringer, gute und böse Mächte und Kräfte wirken von „oben“ herab. Viele Hoffnungen und Ängste haben wir dorthin projiziert.

Die Traummaschine Film hat sich seit ihren ersten Tagen, nämlich seit Georges Meliges, auch dieser sagenumwobenen Welt angenommen. Zwei, drei Generationen von Kinogängern erlebten die Eroberung des Weltraums, die Mondlandung und Filme mit meist bösen Monstern aus dem All (z. B. „Alien“).

Fantasy-Werke wie „Krieg der Sterne“ zeigten ironisch das ganze Pandämonium mythischer Figuren, von trivialen Marsmenschen bis zu intergalaktischen Roboter-Prinzen. Und nun landet, wie in der „Unheimlichen Begegnung der dritten Art“, ein Raumschiff auf der Erde in Kalifornien, und statt engelsgleich ätherischen Wesen entsteigen ihm kleine runzlige Monster, um Pflanzenproben zu entnehmen.

An den Menschen sind sie nicht interessiert, weil sie schon lange das selbstmörderische Kriegstreiben auf diesem Planeten beobachten und ahnen, daß sie bloß .als wissenschaftliche Trophäen in Labors und Museen enden würden.

Von Polizeitrupps entdeckt, entfernt sich das Raumschiff und läßt notgedrungen ein extra-terrestrisches, also außerirdisches

Wesen („E.T.“) zurück: in seiner Neugierde hat es sich verspätet, die Fluchtchance verpaßt. Millionen Lichtjahre von seiner Heimat entfernt hockt es im Wald, geäng- stigt von den Taschenlampen der nächtlichen Suchtrupps.

Und nun beginnt die zarte, rührende und auch komische Freund- schaft zwischen E.T. und dem kleinen Buben Elliott, zu dessen Familie er geflohen ist. Zwei Welten treffen zusammen, beginnen einander zu lieben und zu verstehen.

Ein Werbeposter für den Film hat sich deshalb das Michelangelo-Fresko „Die Erschaffung Adams“ zum Vorbild genommen: Gottvater streckt seine Hand mit Zeigefinger der Hand des ersten Menschen entgegen. Hier nun kommt es zur magischen Fingerspitzenberührung zwischen der außerirdischen Intelligenz und einem Kind, das (im Gegensatz zu seiner aufgeklärten Umwelt) an derlei „glaubt“.

E.T.: das ist ein kleines, nacktes, runzliges Wesen mit Hängebauch, Entenfüßen, langen Armen, Froschfingern, die heilend leuchten können, einer Brust, die bei Gefühlsregungen rötlich strahlt (und wohl zwischen der Signal- Fellzeichnung und den Brunftschwielen von Tieren liegt), einem ausfahrbaren Teleskophals, darauf ein mächtiger Kopf sitzt, ganz Hirn, mit großen blauen Augen, einer winzigen Stupsnase, die faltige Haut einer Schildkröte.

Millionen Kinder und Erwachsene haben bereits E.T.-Puppen gekauft und Mut zur „Häßlichkeit“ bewiesen. Immerhin entspricht das kleine Monster aus dem All dem „Kindchenschema“ von Konrad Lorenz, wenn auch nicht kuschlig weich, so doch unseren Brutpflegetrieb gerade in der ungeschützten Nacktheit herausfordernd.

Upd darauf läuft letztlich auch die „Botschaft“ dieses Films hinaus: Akzeptiere das andere, das Fremde, entdecke das Schöne im angeblich Häßlichen, schütze das Wunderbare vor dem Zugriff der

Technokraten!

In der Filmstory sind es Elliott und seine Geschwister, also „unschuldige Kinder“, die E.T. durchfüttern, ihm die Sprache beibringen und sein Heimweh stillen, indem sie ihm helfen, ins All Hilfesprüche zu funken.

Da Mutter Mary kürzlich geschieden worden ist, findet die „vaterlose Familie“ in „E.T.“ ein Wesen, das aufgrund seiner Superintelligenz Autorität besitzt. Die Vaterfigur aus dem All, das unschuldige Kind, das ihn von seiner irdischen Bedrängnis letztlich befreit, indem es ihm zu Flucht und Heimkehr verhilft — alles das sind mythische Konstellationen, wie sie aus zahlreichen Religionen bekannt sind.

Daß freilich heutzutage diese Mythen durch Humor gebrochen sind, beweist auch der Film. »„E.T.“ verfügt zwar über telekine- tische Kräfte, ist aber kein Held. Im Gegenteil: Er muß ganz unheroisch geschützt und verkleidet werden, Kobold unter maskierten Kindern zu „Halloween“.

Spielberg hat in seiner Inszenierung des Stoffes, in der hervorragenden Lichtregie das Zärtliche und das Geheimnisvolle zusammengeführt und in der Kameraperspektive die Sichtweise der Kinder eingenommen. Auf diese Weise versetzt er den Zuseher in seine eigene kindliche Situation, erinnert ihn an seine Urängste, seine infantilen Wünsche, die ja weiterhin bestehen, wenn auch verdrängt werden.

So spricht dieser Film das Staunen in allen Altersklassen an, auch wenn er es nun in vollen Zügen durch eine große Medienindustrie vermarktet: Puppen, Plakate, Videospiele, Masken, Leibchen, Bücher. Die „E.T.“-Mode- • welle rollt.

Leinenausgabe des Romans (Zsolnay), Taschenbuch (Heyne), Fotobuch (Ueberreuter) sind in Vorbereitung — trotz aller Kritik an Melodram, Kitsch und Hollywoodmärchen. Aber warum sollen wir die Sehnsucht und die ewige Lust am Märchen verdrängen?

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