Keine Zeit ohne UNGEHEUER

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Vom Teufel über Drachen, Seeungeheuer, Frankenstein und Dracula bis zur "Monster AG": Monster gab es immer und wird es immer geben. Kursorischer Durchgang durch die Kulturgeschichte.

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Vom Teufel über Drachen, Seeungeheuer, Frankenstein und Dracula bis zur "Monster AG": Monster gab es immer und wird es immer geben. Kursorischer Durchgang durch die Kulturgeschichte.

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Monster gab es schon immer, und sie sind überall. Hesiod hat sie beschrieben, Homer und Ovid haben sie bedichtet. Als Teufel, also als Gegenspieler Gottes, versuchen sie uns zu verführen, so sehen es verschiedene Religionen. Als Gespenster sind sie unsichtbar, so sieht es der Aberglaube. Als Drachen und Seeungeheuer sind sie den Tieren verwandt. Als Werwölfe und Vampire den Menschen, so können sie den Zustand wechseln, machen Metamorphosen durch. Aber eigentlich gehören sie, wie Lucifer, der Lichtbringer, zu den Göttern. Als der Mensch beginnt, Gott zu spielen, erschafft er eine neue Art von Monstern.

Horror - und Humor

"Frankenstein oder Der moderne Prometheus" heißt Mary Shelleys Roman von 1818, der sich - wie andere Werke der Zeit, etwa von E.T.A. Hoffmann - der zuvor vom Licht der Aufklärung zurückgedrängten Nachtseite der menschlichen Existenz widmet. Wie Prometheus handelt Dr. Victor Frankenstein gottgleich, indem er ein hybrides Wesen aus Leichenteilen erschafft und zum Leben erweckt. Das ist ihm nicht gut bekommen, der Literatur- und Filmtradition aber schon, bis hin zu Tim Burtons Stop-Motion-Film "Frankenweenie" von 2012, in dem ein Hund wieder zum Leben erweckt wird, mit erfreulicheren Folgen als einst bei Shelley. Und nicht nur mit Horror, sondern auch mit viel Humor. Burton hatte sich bereits 1984 in einem Kurzfilm an dem Stoff versucht, damals hielt der Disney-Konzern den Film aber noch für zu gruselig, um ihn kleinen Kindern zu zeigen.

Das Wort Monster stammt vom lateinischen 'monstrum' und bedeutet Mahnzeichen, zum Wortfeld gehört auch 'mahnen' oder 'zeigen'. Das deutsche Wort ist 'Ungeheuer', auch 'Unmensch' kommt vor, und 'unheimlich' ist es ohnehin. Die Vorsilbe 'un' zeigt, dass hier etwas negiert werden soll, es wird exkludiert, ausgestoßen, als fremd markiert. Zunächst ist eine Grenze gemeint zwischen Natur oder Realität und dem, was sich jenseits davon befindet. Man kann nur annehmen, dass es da ist, und Vorsicht walten lassen, aber es tritt selten genug in das wirkliche Leben. Dies ändert sich mit der Renaissance und der Aufklärung, die den Begriff der Vernunft stark machen.

Für den französischen Denker Michel Foucault ist das Monster seither ein Verwandter der Kriminellen und der Wahnsinnigen. Sie alle entstehen erst in ihrer bis heute gültigen Bedeutung, und zwar auf der "anderen Seite des Fortschritts". "Was die Klassik eingeschlossen hatte, war nicht nur eine abstrakte Unvernunft, sondern auch eine gewaltige Reserve an Phantastischem, eine schlafende Welt von Monstren", so Foucault in seiner Dissertation "Wahnsinn und Gesellschaft" aus dem Jahr 1961. Mit Klassik meint er die Frühe Neuzeit, die Zeit nach dem Mittelalter, in der die Grundlagen für unsere moderne Gesellschaft gelegt wurden. Das Monster ist nicht mehr äußerlich und daher besiegbar, es wird zu dem verdrängten Anderen unserer eigenen Existenz.

Für Siegfried war es noch einfach genug, er tötete den Drachen und badete in seinem Blut, und wenn sich nicht ein Blatt auf seine Schulter gesetzt hätte, wäre er unverwundbar gewesen. Auch der heilige Georg gilt als Drachentöter, er rettete mit seiner heroischen Tat Menschenleben.

Werwölfe und Vampire

Die großen epischen Dichtungen des Mittelalters kennen viele Arten von Monstern, für die Tradition des Märchens besonders wichtig sind die "Erzählungen aus 1001 Nächten". Aber auch historische Arbeiten entwerfen Bilder von Monstern in fremden, ungekannten Erdteilen. Als Hexen kommen uns die Monster schon gefährlich nahe, wir können so selbst zu Monstern werden, auch zu Werwölfen oder Vampiren.

Bei E.T.A. Hoffmann gibt es noch keine klare Trennung von Vampiren und Zombies, die aus Voodoo-Riten und fernöstlichen Ghulen, aus Dämonen, geformt wurden. In einer schmalen, üblicherweise als "Vampirismus" bezeichneten Erzählung von 1821, die sich in Hoffmanns Novellenzyklus "Die Serapionsbrüder" findet, dienen der schönen Gräfin Aurelie nachts auf dem Friedhof Leichenteile als Schmaus. Erst der irische Schriftsteller Bram Stoker wird mit "Dracula" von 1897, dem einzigen Roman, der aus seiner umfangreichen Produktion herausragt, dem Vampir die seither gültige Gestalt geben.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts wird mit beiden Weltkriegen und weiteren Katastrophen ans Licht bringen, dass die Monster keine Monster, sondern Menschen sind, auch wenn sie sich wie Monster verhalten und im Licht der Öffentlichkeit gern so dargestellt werden, allen voran Hitler, der Diktator aus Braunau am Inn. Hannah Arendt hat in "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen" von 1963 gezeigt, dass den Urhebern böser Taten das Gewissen fehlt, weil sie gar nicht über das reflektieren, was sie tun.

Auch in der Literatur werden Monster als menschliche Figuren gezeigt, die sich so verhalten, als habe es den Prozess der Zivilisation nicht gegeben. William Golding schildert in seinem Roman "Der Herr der Fliegen" von 1954, für den er 1983 den Nobelpreis für Literatur bekam, wie Jugendliche, die auf einer einsamen Insel ausgesetzt sind, verrohen und zu Mördern werden.

Die titelgebende Figur ist ein toter Soldat an einem Fallschirm, der über und über mit Fliegen bedeckt ist und den die Jungen für einen Gott halten. Eine böse Ironie, ist doch Beelzebub ein anderes Wort für eben jenen "Herrn der Fliegen".

Die Nazis hatten Juden noch als Monster gezeichnet, solche Formen der Alienisierung und Stigmatisierung sollte es nun nicht mehr geben. Bereits 1944 ziehen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in ihrer "Dialektik der Aufklärung" eine ebenso kritische Bilanz der jüngsten Geschichte wie andere Denker nach ihnen. Im Lichte der neueren kritischen Auseinandersetzung mit dem Monströsen (in) der Geschichte hat der Soziologe Ulrich Beck statt des Begriffs der Postmoderne den der "reflexiven Modernisierung" vorgeschlagen. Allerdings stellt sich angesichts der Erfahrung der letzten Jahrzehnte die Frage nach der Reichweite dieser zweiten Aufklärung, die aus den Fehlern der ersten lernen wollte.

Spielerischer Umgang

Die menschlichen Monster sind sterblich, doch die Faszination für Monster, so scheint es, ist nicht zu töten. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kommen sie als virtuelle Wesen zurück, bevölkern vor allem mehr oder weniger triviale Romane und Filme der Genres Horror und Science Fiction.

1968 erregt Roman Polanskis "Rosemaries Baby" die Gemüter, weil die Titelfigur einen Sohn des Teufels in die fiktionale Welt setzt. Zombies sind in zahlreichen Filmen sehr erfolgreich unterwegs, etwa seit 2010 in der US-amerikanischen Serie "The Walking Dead".

Überwiegend ist aber vor allem ein entweder spielerischer oder kritischer Umgang mit Vorstellungen von Monstern und von dem Monströsen zu erkennen. In Kinder-und Jugendmedien wird die Grenze von Monstern und Menschen vollends aufgelöst, die Monster sind nicht mehr das verdrängte Andere.

Wenn man sich mit ihnen auseinandersetzt, sind sie entweder ein Teil von einem selbst, vielleicht sogar ein besonders wichtiger, wie dies Maurice Sendak 1963 in seinem zum Klassiker gewordenen Bilderbuch "Wo die wilden Kerle wohnen" vorführt. Oder sie werden zu Freunden.

In Paul Maars bebildertem Kinderroman "In einem tiefen, dunklen Wald" von 1999 entpuppt sich ein Monster als verzauberter Prinz. Pixar führt mit der "Monster AG" von 2001 vor, dass die Monster mehr Angst vor Kindern haben als umgekehrt und liefert zugleich eine brillante Parodie auf Hollywood als Albtraumfabrik.

Die erfolgreichen Zamonien-Romane von Walter Moers, beginnend mit "Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär" von 1999, lassen das Monster zu einem Zeichen für die gestalterische Kraft der Fantasie werden. In der noch nicht abgeschlossenen Trilogie über die "träumenden Bücher" treten denn auch alte Bekannte in neuer Gestalt auf. Der Schattenkönig ist ein Geschöpf in der Tradition von Frankensteins Monster, nur dass sein Körper teilweise aus Buchseiten besteht. Monster sind, darauf verweist die Symbolik, ein Teil unserer Vorstellungswelt. Auch wenn der Schattenkönig am Ende des ersten Teils erst brennt wie ein Vampir, weil er dem Tageslicht ausgesetzt wurde, und dann wie der Golem durch die Prager Altstadt bricht und eine Spur der Verwüstung hinterlässt, so ist bereits anzunehmen, dass er in dem noch ausstehenden letzten Teil, "Das Schloss der träumenden Bücher", wiederkehren wird. Monster existieren in der Vorstellung und sind deshalb unsterblich.

Das Monster ist dort angekommen, wo es schon immer war - in uns. Und es kann das, was es schon immer konnte -alles. Aber jetzt, so scheint es, könnten wir es kontrollieren. Wenn wir es nicht verdrängen, sondern anerkennen. Auch darin ist das Monster ganz Mensch.

Der Autor ist Prof. für Germanistik an der Universität Koblenz

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