6777224-1969_27_16.jpg
Digital In Arbeit

Das schwarze „böse Wien“

19451960198020002020

Kunst heißt Reflexion. Und das Böse in der Kunst Reflexion des Bösen im Menschen. Es ist immer zugleich Provokation: gegen ein System, eine Gesellschaft, gegen Ansichten, philosophische Meinungen. Nicht nur aus diesem Grund, der eine Prüfung der etwaigen Berechtigung von Provokationen fordert, sondern auch anders gesehen, ist dem Bösen mit Definitionen schwer beizukommen. Weil es vielschichtig ist, weil Böses oft zugleich Gutes zur Folge hat und umgekehrt und es nur aus die-“ ser Wechselwirkung heraus verstanden werden kann. Unsere Gegenwartskunst wird zweifellos durch den Triumph des Bösen, Infernalischen, der Provokation mitbestimmt. Und weil Ethisches mit Ästhetischem eng verbunden ist, triumphiert auch das Häßliche, Abwegige, Abnorme. Aufzeigen, aufdecken; einer defekten Gesellschaft den eigenen Unrat vor die Nase halten, ist die Parole, die biederen Bürgern Schauer über den Rücken jagt. Und wenn dieses also „Böse“ vom breiten Publikum nicht mehr akzeptiert wird, geht es in den schwarzen Untergrund: Es arrangiert sich geschickt als Subkultur, bis es aufs neue vom Management hochgespielt, dem Publikum mund- und augengerecht serviert, als Sensation herausgestellt wird.

19451960198020002020

Kunst heißt Reflexion. Und das Böse in der Kunst Reflexion des Bösen im Menschen. Es ist immer zugleich Provokation: gegen ein System, eine Gesellschaft, gegen Ansichten, philosophische Meinungen. Nicht nur aus diesem Grund, der eine Prüfung der etwaigen Berechtigung von Provokationen fordert, sondern auch anders gesehen, ist dem Bösen mit Definitionen schwer beizukommen. Weil es vielschichtig ist, weil Böses oft zugleich Gutes zur Folge hat und umgekehrt und es nur aus die-“ ser Wechselwirkung heraus verstanden werden kann. Unsere Gegenwartskunst wird zweifellos durch den Triumph des Bösen, Infernalischen, der Provokation mitbestimmt. Und weil Ethisches mit Ästhetischem eng verbunden ist, triumphiert auch das Häßliche, Abwegige, Abnorme. Aufzeigen, aufdecken; einer defekten Gesellschaft den eigenen Unrat vor die Nase halten, ist die Parole, die biederen Bürgern Schauer über den Rücken jagt. Und wenn dieses also „Böse“ vom breiten Publikum nicht mehr akzeptiert wird, geht es in den schwarzen Untergrund: Es arrangiert sich geschickt als Subkultur, bis es aufs neue vom Management hochgespielt, dem Publikum mund- und augengerecht serviert, als Sensation herausgestellt wird.

Werbung
Werbung
Werbung

Wahrscheinlich hat es sie, die Subkultur, schon immer gegeben. Aber spätestens seit dem Dadaismus kennzeichnet sie eine neue, durch Technik und Wissenschaften hervorgerufene geistige Situation. Indem das Böse gezeigt, also bewußt gemacht wird, soll es gleichzeitig vernichtet werden. Innerhalb eines ständigen Prozesses, der „Subkultur“ zum „Establishment“ macht, welches wiederum den Anstoß zu einem neuen Untergrund gibt, hat moderne Kunst Destruktion, Sadismus, Masochismus und Satire auf ihr Banner geheftet.

Die Frage „warum“ kann viele Antworten finden. Reaktion auf eine satte, selbstzufriedene Gesellschaft, zunehmende Automatisierung alles Geschehens, aber auch das Trauma einer noch immer lebendigen Vergangenheit, die gezeigt hat, wohin „echte“ Begeisterung führt, sind einige davon. Es kann aber auch auf weitschweifige Erklärungen verzichtet und als Ursache lediglich der notwendige Ablauf einer geistigen Entwicklung angeführt werden. Ob jedoch mit Grauenhaftem schok-kiert und damit erzieherisch gewirkt werden soll, ob „Abreaktion“ als Motiv angegeben wird oder ob es ganz einfach aus Lust und Spaß an der Sache geschieht (ein Faktor, der vor allem von den Künstlern selten genannt wird — denn schließlich möchten sie nicht zur Kategorie „verhinderte Verbrecher“ gehören) — Tatsache bleibt: Böse sein, das ist modern! Und wer böse ist, dem ist zumindest eine kleine Chance auf Erfolg von Anfang an mitgegeben. Wie in so vielem, hat Österreich auch hier eine spezielle Situation zu bieten. Es fließt sich von diesem allgemeinen Trend nicht aus — aber es hat seine eigenen Varianten. Aus einer bereits ziemlich ehrwürdigen Tradition heraus bastelt es wollüstig an Weltuntergangsgesängen, wühlt es freudig im Hintergründigen und Makabren. Ein Land, dem Konservatismus vorgeworfen wird, hat sich

anderseits Ventile zu sichern gewußt, die ihm einen unbedingt revolutionären Auspuff verschaffen. Dieses Paradoxon ist Österreich, ist vor allem Wien (von dem hier hauptsächlich die Rede sein soll). Es scheint jedoch, als würden mehr und mehr die Schattenseiten dieses Zwitterwesens ans Tageslicht dringen. Denn selbst im Ausland spricht man nicht mehr so sehr vom fröhlichen, freundlichen und walzerseligen, sondern eher vom „bösen Wien“. Vom „schwarzen Humor“ eines H C. Artmann und Georg Kreisler, dem treuherzig brutalen Herrn Karl eines

Helmut Qualtinger und Carl Merz, der schönen Giftigkeit der Wiener Schule und dem anrüchigen Untergrund eines Nitsch, Mühl, Kubelka, Kren und Weibl.

Jene Janusköpflgkeit des harmlos Gemütvollen und abgründig Gemeinen wird also vor allem in Richtung Böses uminterpretiert. Der Unhold im Biedermann ist zum Hauptthema geworden. In Artmanns Schauergeschichten morden „brave“ Greiß-. 1er, rinnt den „ehrbaren“ Gärtnern „des bluad fon aunden d schuach“ und hat der „ringlschbüubzizza“ sieben ermordete „weiwa“ unter seinem „schlofzimabon“ vergraben. Es zeigt sich hier jene ganz bestimmte Angst, die als Reaktion auf das bislang allzusehr gepflegte Image des „schmalzigen“ Wieners entstanden ist. Sie wird in Artmanns Anfangsversen zu „med ana schwoazzn dintn“ so herrlich persifliert:

Nua ka schmalz

how e xogt

nua ka schmoez med

rei'S ausse dei heaz

dei bluodex

und hau's owe

iwa r a bruknglanda!

Auch Kreislers böse Wiegenlieder, sein trauliches „gehn ma Tauberin vergiften“ und das Gedicht vom „guaten alten Franz“, dem wegen seiner Gutheit (sprich: Blödheit) schließlich der Garaus gemacht wird, wollen die Kehrseite des treuherzigen Spießbürgers beleuchten. Was allerdings nirgends so gut gelungen ist wie im „Herrn Karl“, dieser brillanten Satire auf den schmatzenden, wurschtelnden, harmlos sentimentalen und gerade darum so gefährlich herzlosen „Pülcher“. Dämonisches läßt auch die Wiener Schule des phantastischen Realismus aus alptraumhaften Visionen steigen. Wenn es auch vielfach als mehrmals überdachte, reflektierte, also „manirierte Dämonie“ bezeichnet wird. Ernst Fuchs scheint sich bei aller alttestamentarischen Feierlich-

keit auf ringelnde Nattern mit Drachenköpfen, mißgestalteten Gnomen und lemurenhaftes Ungeziefer geradezu spezialisiert zu haben. Auch Anton Lehmdens Landschaften sind durchweht vom Hauch der Zerstörung, des Verfalls. Und Kurt Regschek mal'p ein Bild, „Wien, innere Stadt“. Unter den Dächern des fröhlichen Postkarten-Wien lauert es grottenhaft dumpf, schlierig unheimlich, wuchert das andere Wien, das grüblerische, sich in Selbstanalyse zerfleischende, mit dem Tod auf du und du stehende. Aber unter den bildenden Künstlern sind es nicht nur die Vertreter der Wiener Schule, welche in dieses harmvolle, böse und selbstkritische Wien hinuntersteigen. Der Graphiker und Bildhauer Alfred Hrdlicka beispielsweise hat sich den getretenen, geschundenen und erniedrigten

Menschen zum Hauptthema gemacht. Sein Haarmann-Zyklus behandelt die Geschichte jenes Lustmörders aus dem Deutschland der zwanziger Jahre, der unter der Maske des harmlosen Bürgers seine Opfer zerstückelt, während die Serie „Martha Beck“ das Schicksal der Krankenschwester Martha Beck erzählt, die aus Leidenschaft zu dem Heiratsschwindler Ramon alle ihre Rivalinnen tötet, um schließlich auf dem elektrischen Stuhl zu enden.

Eine Haltung, mit der die jüngsten Provokateure, also Nitsch, der — gar nicht mehr so junge — Mühl samt Genossen und die Jungfllmer Wei-bel, Kren und Kubelka jäh gebrochen haben. Denn ihre Provokation ist total. Sie mochte sich von jeder „unechten Verniedlichung“, von allen „Kompromissen“ lösen. Sie will keine „Verschleierung“, keine „Maske“, die sie als Lüge, als Verrat empfindet. Rein, echt, „wahr“ möchte sie bestehen können. „Zuerst muß man die Ruinen einreißen, damit etwas Neues entstehen kann.“ So Otto Mühl. Auf die Frage: „Und wie stellen Sie sich dieses Neue vor?“ weiß er allerdings nur mit einem „das wird schon kommen“ zu

antworten. Es zeigt sich hier gleichzeitig Bedeutung und Schwäche des Happening. Denn mit reinen Zerstörungsparolen, Destruktionshymnen und aggressiven Polemiken ist es nicht getan. Man weiß nicht recht, ob sie gefährlich oder kindisch sind. Doch zeigt sich auch hier eine spezielle wienerische Situation. Denn während sich beispielsweise die amerikanischen Happenisten zu Anklägern eines Konsumzeitalters mächen und die Deutschen politische Zustände angreifen halten es- die Wiener mehr mit dem Mystisch-malerischen, mit Freud, der Psychoanalyse und verdrängten Komplexen. Von „Abreaktion“ spricht Nitsch, wenn er seine geschlachteten Lämmer ausweidet. Und motiviert seine Blutbäder mit „Seinsmystik“ und „Existenzverherrlichung“. Mit diesen Puristen, diesen Radika-

len, die sich als Außenseiter in den Untergrund geflüchtet haben (Österreich hat zwar nicht wenig Radikale geboren — aber es hat sie nie geliebt) scheint das Böse tatsächlich in die letzte Phase seiner Verwirklichung getreten zu sein. Neben den demonstrierten Grausamkeiten der j Happenisten wirken die makabren Verschen von Georg Kreisler, die poetischen Schauergeschichten von H. C. Artmann und das giftige Gewürz der Wiener Schule wie ein zaghaftes Flämmchen neben einem verheerenden Brand.

Und man fragt sich besorgt und beunruhigt: Wie geht das weiter?

Bleibt jene Doppelsinnigkeit gewahrt, die ebenso als Weisheit ausgelegt werden kann wie als Charakterschwäche? Wird „das Böse“ so sehr provoziert, daß es zur Schlagzeile wird, zum Slogan, der niemandem mehr so richtig unter die Haut geht? Oder schlägt das auf die I Spitze getriebene Böse tatsächlich * demnächst in sein Gegenteil um? Wird die Zukunft etwa dem augenblicklich so vernachlässigten und ach so unmodernen „Guten“ auf die Beine helfen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung