Tribut der Trivialität

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Bertrand Piccards Ballonfahrt um die Welt: Abenteuer sind auch nicht mehr, was sie einmal waren.

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Bertrand Piccards Ballonfahrt um die Welt: Abenteuer sind auch nicht mehr, was sie einmal waren.

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Die Umfahrung der Welt mit einem Ballon war, kann man lesen, "eine der letzten Herausforderungen, die die Welt zu bieten hat". Warum net gar, ist da zwar der kleine Max versucht zu sagen, aber gewiß ist dank Bertrand Piccard und Brian Jones eines der letzten großen sportlichen Abenteuer abzuhaken. Sie starteten am 12. März 1999 in Chateau-d'Oex in der Schweiz und waren 20 Tage lang unterwegs. Das Buch, das sie gemeinsam geschrieben haben, gibt es nun auch auf deutsch: "Mit dem Wind um die Welt".

Die Familie Piccard hatte schon vor Bertrands Aufstieg an die 28.000 Meter Höhenunterschied bewältigt. Großvater Auguste war zwecks Erforschung der Weltraumstrahlung mit einem Ballon 1931 als erster Mensch auf 16.000 und ein Jahr später sogar auf 17.000 Meter aufgestiegen, Vater Jacques Piccard hatte 1960 mit seinem "Bathyscaph" den Grund des Marianengrabens, mit 10.916 Metern die tiefste Stelle der Weltmeere überhaupt, erreicht und festgestellt, daß es auch dort Leben gibt. Bertrand legte auf seiner Weltumfahrung 40.813 Kilometer zurück.

Man kann sein Buch auf verschiedene Arten lesen, und auf jede Art mit Gewinn. Zum Beispiel als Nachdenkbuch darüber, wie sich der Charakter abenteuerlicher Unternehmungen im 20. Jahrhundert veränderte. Nachdem Fridtjof Nansen im Juni 1893 mit 13 Männern auf der "Fram" in die Arktis aufgebrochen war, blieb die Welt drei Jahre lang ohne jede Nachricht. Am 14. März 1895 verließ er mit seinem Begleiter Johansen das vom Eis eingeschlossene Schiff und versuchte den Nordpol mit dem Schlitten zu erreichen. 15 Monate waren die beiden Männer in der Arktis "In Nacht und Eis" (Nansens Buchtitel) völlig auf sich gestellt. Der Ozeanflug Charles Lindberghs am 21. Mai 1927 dauerte zwar nur 33 und eine halbe Stunde, aber auch er kämpfte allein gegen den Schlaf und hätte bei einem Motorversagen keine Hoffnung auf Rettung gehabt. Eine vor ihm in der Gegenrichtung gestartete französische Mannschaft blieb verschollen. Man mag darüber spekulieren, ob Reinhold Messner 1989/90 bei seinem 2.800 Kilometer langen Fußmarsch durch die Antarktis mit dem Verzicht auf ein Funkgerät wirklich nur Gewicht sparen wollte oder ob ihm die Einsamkeit in der Extremsituation wichtiger war. Er hatte lediglich ein Gerät auf dem Schlitten, das der Außenwelt seine Position meldete.

Die Ballonfahrer Bertrand Piccard und Brian Jones waren während der 20 Tage ihrer Reise fast ununterbrochen per Telefon oder Fax, meist beidem, mit ihrer Bodenstation in Genf verbunden. Mehrmals durfte ihnen das Fernsehen in die Gondel gucken. Während sie über dem Atlantik unterwegs waren, dirigierte die US-Flugsicherung den Verkehr auf eine niedrigere Flugfläche. Ihre Frauen wußten täglich, wie sie geschlafen hatten, wie die Stimmung an Bord war und sprachen ihnen Mut zu. Dafür fordert das Medienzeitalter nun von Piccard und Jones den schrecklichen Tribut der Trivialität. Denn nach der glücklichen Landung galt es, hurtig fast 400 Buchseiten zu füllen. Mit der Schilderung der Tag für Tag unter ihnen vorbeiziehenden Landschaften, Wolkenfelder und Meere war es dabei ebensowenig getan wie mit der Beschreibung ihrer technischen Probleme, was lag also näher, als den Lesern mit ausführlichen Zitaten ihrer zahllosen Faxe zu erfreuen, die sich für diesen Zweck umso mehr anboten, als sie schließlich schon auf den Festplatten ihrer mitgeführten beiden Notebooks gespeichert waren. Die 380 Buchseiten wurden damit voll, aber der Nimbus des Abenteuers ist stark lädiert.

Buchzitat, willkürlich herausgegriffen: "In Genf hatte gerade Cecilia Smith Dienst. Sie sagte uns, wie begeistert alle vom Fortschritt unserer Reise seien: ,Manchmal kommen wir uns vor wie in einem Traum. Jo schreibt gerade in ihr Tagebuch. Sie meint, während sie heute geschlafen habe, hättet Ihr Indien verlassen, Bangladesh und Birma überquert und die chinesische Grenze erreicht. Dabei hat sie gar nicht lange geschlafen! Das ist alles wirklich außergewöhnlich.' Tief bewegt antwortete ich ihr: ,Hallo, meine Freunde. Vielen Dank für das nette Fax. Ich denke, unser größter Glücksfall ist, daß wir ein so wunderbares Team haben. Es ist toll zu spüren, wie Ihr hinter uns steht und bei uns seid ... Beste Grüße, Bertrand. PS: FL zwischen 240 und 250 bei konstant 088 Grad und 79 Knoten.'" Das PS besagt, daß der Ballon zu diesem Zeitpunkt über 8.000 Meter hoch mit über 140 km/h fast genau ostwärts unterwegs war.

Ein Jahrhundert nach Nansens Überwinterung in der zu zweit gebauten Hütte mit einem Vorrat rechtzeitig geschossener, steifgefrorener Eisbären vor der Tür wird "eine der letzten Herausforderungen, die die Welt zu bieten hat", online erlebt, wobei sich die Abenteurer die Zeit damit vertreiben, mit der Bodenstation gegenseitige Beweihräucherungen und selbstgedichtete Limericks auszutauschen. Worüber Nansen und Johansen in der monatelangen Polarnacht geredet haben, wissen wir zum Glück nur höchst bruchstückhaft. Der Dauerplausch der Ballonfahrer mindert ja auch nicht ihre Leistung, aber eben doch sehr den Nimbus. Umso sympathischer berührt die Offenheit, mit der sie über ihre ausgestandenen Ängste reden.

An der Gefährlichkeit ihres Unternehmens ändert ja die Tatsache, daß sie jedes Problem mit den Meteorologen und Technikern auf dem Boden besprechen konnten, nichts. Während der mehrtägigen Pazifik-Überquerung war im Falle einer Notwasserung Hilfe sehr weit, aber die aufgetürmten Gewitterwolken, in die sie nicht geraten durften, wenn der 50 Meter hohe, empfindliche Ballon nicht zerstört werden sollte, waren manchmal recht nah. Sie kämpften mit Störungen der Propanbrenner, vereisten Ventilen, mit der Kälte in der Kabine (die Temperatur stieg tagelang nur wenig über den Gefrierpunkt), depressiven Verstimmungen, die von eingeatmeten Schadstoffen aus der Wärmeisolierung der Kabine herrührten und litten unter Spannungen mit der Bodenstation, in denen sich der Druck der Situation Luft machte (die Faxe waren nicht immer nur euphorisch) und im letzten Teil der Reise mit beginnenden Lungenödemen. Eine ganze Reihe von Konkurrenten war gescheitert, zwei hatten gerade noch überlebt.

Man kann "Mit dem Wind um die Welt" aber auch als Bericht über einen Triumph der Meteorologie lesen, ein Meisterstück der Wetterprognose. Auch dies bedeutet keine Schmälerung ihrer Leistung: Wahrscheinlich könnte auch ein unbemannter, ferngesteuerter Ballon um die Erde geschickt werden, wenn dies einen Nutzen verspräche. Doch nie und nimmer wäre das Unternehmen ohne die beiden Meteorologen möglich gewesen, die den Ballonfahrern laufend die richtigen Anweisungen zur Steuerung des Gefährts gaben. Nun weiß freilich jeder, daß man einen Ballon nicht wirklich steuern kann. Steuern läßt sich lediglich die Flughöhe. Die Kunst der Meteorologen bestand darin, den "Breitling Orbiter 3" (auch Piccard hatte in den vorangegangenen Jahren zwei Versuche abbrechen müssen, der Uhrenhersteller Breitling erwies sich als Musterstück eines engagierten, geduldigen Sponsors) jeweils auf eine Höhe zu dirigieren, in welcher ihn der Wind in die gewünschte Richtung trug.

Das hieß: Vorbei an Schlechtwetterzonen, unter Ausnützung von Jetstreams, schnellen Höhenwinden, aber unter Vermeidung von Ausläufern, in denen der Ballon hoffnungslos abgetrieben wäre, und mehrerer Sperrgebiete. China durfte nur südlich des 26. Breitengrades passiert werden, außerhalb eines riesigen militärischen Überflugverbotes im chinesischen Luftraum. Die Meteorologen führten die Ballonfahrer von der Schweiz auf einem gewaltigen Umweg am Rande eines Tiefdrucksgebiets die französische und spanische Mittelmeerküste entlang zeitweise direkt nach Westen, über Gibraltar und die afrikanische Westküste, wo sie über der Sahara in einen östlichen Kurs einschwenkten, auf dem sie mit viel Toleranz eines ägyptischen Fluglotsen die Sperrzone über dem Assuan-Staudamm haarscharf kratzten, die Südspitze der arabischen Halbinsel, den indischen Ozean sowie Kalkutta passierten und sich so genau in ein wahres Nadelöhr von Luftströmungen einfädelten, daß sie genau durch den angepeilten 2.000 Kilometer langen Luftkorridor über China trieben. Vor dem GPS-Zeitalter (Global Positioning System) wäre eine solche Reise völlig unmöglich gewesen: Ohne Satellitennavigation können Ballonfahrer nachts, ohne Bodensicht oder über dem Meer weder ihre Geschwindigkeit noch die Richtung feststellen, in der sie sich bewegen. Hingegen wurde das Konzept des Rozier-Ballons schon im 17. Jahrhundert gefunden. Bei diesem Hybridsystem von Gas- und Heißluftballon liefert ein mit Helium gefüllter Ballon den Großteil des Auftriebs. Kerosin- oder Propanbrenner sorgen für zusätzlichen, fein dosierbaren Auftrieb. Abstiege sind nur durch Ablassen von Helium oder durch die nächtliche Abkühlung der Gasfüllung möglich. Rozier kam bei der Erprobung ums Leben. Wasserstoffgas im Ballon und Strohfeuer in der Gondel waren keine gute Kombination, Helium stand damals noch nicht zur Verfügung.

Trotz der Eile, mit der solche Bücher übersetzt werden, dürfte es nicht passieren, daß überall, wo von rechtweisenden Kompaßkursen die Rede ist, "rechtsweisend" steht. Rechtsweisende Kurse haben wir nämlich nur in der Politik, dort allerdings mehr als genug.

Mit dem Wind um die Welt. Von Bertrand Piccard und Brian Jones. Malik Verlag (Piper), München 1999. 400 Seiten, Fotos, geb., öS 290,- E 21,10

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