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„Caravelle“

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Vor einiger Zeit wurde in Wien eine neue Konstruktion der französischen Flugzeugindustrie, die „Caravelle“ der Sud-Est Aviation, vorgestellt. Die SE-10-Caravelle ist eine Düsenver kehrsmaschine mit zwei Triebwerken, die seitlich amjnde des Rumpfes angeordnet sind nd.. zusammen einen Schub von rund 9000 Kilogramm aufbringen. Diese Maschine stellt eine Klasse für sich dar und bedeutet einen weiteren, sehr wesentlichen Schritt in der Verkehrsluftfahrt. Begonnen haben bekanntlich die Engländer mit dem Bau von Düsenverkehrsmaschinen, und zwar der Cotnet-Typen. Die „Caravelle“ schließt an diese an sich nicht sehr glücklichen Anfänge an. Wir sind überzeugt davon, daß sämtliche Erfahrungen, die man zum Beispiel mit der problematischen Comet sammeln konnte, in dieser Maschine verarbeitet wurden. Feststeht jedenfalls, daß die Zukunft der Zivilfliegerei ebenso wie die der Militärfliegerei dem Düsentriebwerk gehört.

Die „Caravelle“ ist vor allen Dingen eine Mittelstreckenmaschine, deren Fluggeschwindigkeit bis nahe an die 800 km/h herankommt. Ein Flug Wien—Paris wird, sobald die Maschine einmal im Liniendienst der Air France eingesetzt wird, daher 90 Minuten betragen. Ein Flug nach den USA, soweit die Maschine dafür eingesetzt werden sollte, wird etwa sechs Stunden dauern.

Wir hatten Gelegenheit, mit dieser Maschine einen kurzen Probeflug zu absolvieren. Es fällt auf, wie geräuscharm und vibrationsfrei dieses Flugzeug im Innenraum ist. Der Fahrgast wird also kaum gestört. Die Air France ist sehr stolz darauf, hinweisen zu können, daß die „Caravelle“ vermutlich das einzige Flugzeug sein dürfte, in dem man die „Kleine Nachtmusik“ von Mozart wird hören können. Die Innenausstattung dieses Flugzeuges ist noch nicht ganz fertiggestellt und in gewisser Beziehung noch ein Provisorium, da gerade die Flugerprobung absolviert wurde. So sind noch keine Beleuchtungskörper angebracht und verschiedene Verschalungsteile fehlen. Die Flugleitung gab bekannt, daß diese zum Teil fehlenden Verschalungen auf die Bestrebungen zurückzuführen sind, die Lautsprecher möglichst günstig im Raum zu verteilen, so daß alle Fluggäste gleich gut hören können. Das gleiche gilt auch für die Anbringung der Beleuchtungskörper. Man ist bestrebt, in der Ton- und Lichtanlage eigene Wege zu gehen, um hier ein Maximum an Komfort zu schaffen. Wie man nur vermuten kann, ist die Verschalung aber auch deshalb noch nicht geschlossen, weil man eventuell bestrebt ist, gewisse Ueberwachungs- und Ueberprüfungsarbei- ten an verschiedenen Teilen des Rumpfes durchzuführen.

Der Ein- und Ausstieg erfolgt bei dieser neuen französischen Maschine im Heck, die Tür wird anschließend ho.chgezogen. Diese Anordnung des Einstieges hat zweifellos eine sehr große Bedeutung für die Festigkeit der Rumpfkonstruktion, die keine Schwächung durch Oeffnungen an den Seiten des Rumpfes erfährt. Bedeutungsvoll erscheint diese Tatsache auch dadurch, daß die beiden Triebwerke seitlich angeordnet sind und somit die gesamte Schubwirkung in der Längsrichtung des Rumpfes übertragen wird. Besonders kleine Fenster, die jedoch einen guten Ausblick gestatten, sind vermutlich ebenfalls auf die Bestrebungen zurückzuführen, den Rumpf möglichst fest zu gestalten.

Die „Caravelle“ weist ein Flugpersonal von drei Mann auf, und zwar den Kapitän, den Co- Piloten und den Bordingenieur. Dazu kommt noch das Service-Personal für die Fluggäste.

Die Flugzeugkanzel ist sehr klein Sämtliche Armaturen und Instrumente befinden sich in angenehmer Griffposition der beiden Flugzeugführer. Die Instrumentierung ist, im Verhältnis zu anderen Verkehrsmaschinen, einfach und zweckmäßig. Beachtlich ist auch die Tatsache, daß die Maschine nur sehr kurze Start- und Landewege benötigt, was bei den noch vielfach relativ kleinen europäischen Flugplätzen wichtig ist. Das Steigvermögen der „Caravelle“ aber setzt in Erstaunen. So konnten wir feststellen, daß die mit 57 bzw. 90 Personen vollbesetzte Maschine sich mit einer Steigleistung von zehn Metern pro Sekunde vom Boden abhob, was ungefähr dem doppelten Wert einer guten Sportmaschine entspricht. Die „Caravelle“ zeichnet sich durch große Bequemlichkeit, hohe Reisegeschwindigkeit und, wie erwähnt, weitgehende

Vibrationsfreiheit und Geräuscharmut im Passagierraum aus.

Erwähnt sei hier noch, daß dieses Flugzeug in einer Höhe von 10.000 m bis zu einer Entfernung von 200 km im Umkreis landen kann, sobald die beiden Triebwerke ausfallen sollten. Bei Ausfall eines Triebwerkes ist die Maschine voll manövrier- und steigfähig. Das Austrimmen dürfte keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten, da die knappe Anordnung der Triebwerke am Rumpf kaum große Hebelwirkungen ergeben und somit die Manövrierfähigkeit der Maschine nur geringe Beeinträchtigung erfährt. Es ist dies ein Sicherheitsfaktor, der zweifellos besondere Erwähnung verdient.

Wir werden uns freuen, die erste „Caravelle“ im Linienbetrieb in Wien möglichst bald begrüßen zu können.

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