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Flackerndes Licht, Quell des Lebens

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Es ist sehr wesentlich, was du behältst und verlierst, was du dir nimmst oder ich dir geben kann, was du brauchen kannst, bis du es vergißt und ich dir nichts mehr zu sagen habe, alles nachklingt wie im Märchen. Du sagst, erzähle die Geschichten vom Feuer.

Du bist einverstanden, daß ich erfinde, wenn ich erzähle, und doch sind die Geschichten wahr, denn du lachst und bist traurig. Schon der erste Satz nimmt dich gefangen: Als ich klein war, war deine Urgroßmutter sehr alt und ging gebückt, was aussah, als werde sie von Tag zu Tag kleiner.

Sie und dein Urgroßvater bewohnten einen Bauernhof, allein, weil niemand sonst dort wohnen wollte.

Aus dem Rauchfang stieg im Winter den ganzen Tag der Rauch, denn im Haus heizte deine Urgroßmutter den mächtigen Herd, der in der Stube aus Ziegeln und Mörtel aufgebaut war.

An dunklen Wintertagen sah ich ihre Umrisse und Bewegungen, wenn sie am Herd hantierte, Pfannen und Töpfe auf der Herdplatte hin und her rückte, sie hob die Herdringe aus, und die offene Flamme beschien ihre Hände, flackerte über ihre ausgebleichte Schürze und tanzte auf der geschwärzten Holzdecke der Stube.

Ich reichte nicht auf die Herdplatte, wenn ich vor der Feuerung stand, die Tür auf- und zumachen durfte und deine Urgroßmutter Holz nachlegte.

Es war ein außergewöhnliches Ereignis, die große Herdtür aufzumachen und in den mit brennenden und glühenden Scheitern angefüllten Raum der Feuerung zu schauen, zu sehen und zu hören was geschah, wenn in der Feuerung das Holz krachte, das blanke Feuer, in Grenzen gehalten von den Herdwänden, in Gang gebracht durch die Luft, die Zu- und Austritt hatte, das Holz auffraß, die ausgestrahlte Wärme, das flackernde Licht, das aus allen Öffnungen kam, den Quell des Lebens bedeuteten, und deine Urgroßmutter, die das Feuer in Gang hielt, zeigte mir, wie man es machte und sich vor ihm schützte, ohne daß sie viel sagte.

Dieses Erlebnis ist der Teil einer Geschichte, die du verlangst, für mich der Teil, den man von der Wirklichkeit behält. Vielleicht sind Märchen wirkliche Erlebnisse, ihr Wortlaut ist der einer wahren Geschichte, und ich brauche mich nicht

zu bemühen, die Glaubhaftigkeit meiner Geschichte zu beteuern. Erlebnisse mit dem Feuer hatte ich noch oft, aber ich denke nicht an Vernichtung und Leid; ich meine das Wohltätige, wovon zu erzählen undankbarer ist als vom Gewalttätigen, wovon ich auch erzählen könnte.

Aber mir hat das Feuer im Herd deiner Urgroßmutter das Angenehme und Wohltätige eingeprägt, so-daß ich, wenn ich es nicht gerade hatte, es suchte. Wo menschliche Wärme nicht ausreicht zum Leben, kann das Feuer es erhalten. .

Du denkst wieder an eine Geschichte. Ausgehend vom Feuer im Herd deiner Urgroßmutter erinnere ich mich, wie die Herdmauer langsam warm wurde und diese Wärme an die Stube abgab, den einzigen Raum, der im Winter beheizt wurde.

Wenn dein Urgroßvater von draußen hereinkam, legte er die Hände an die Herdmauer und blieb eine Weile so stehen, nachher rieb er sich die Hände und zögerte, ehe er wieder in die Kälte hinausging.

Schon beim ersten Aufflackern des

Feuers am Morgen und beim ersten Krachen des Holzes hatte ich das Vorgefühl von Wärme, die der Herd erst später abgab, sie durchströmte angenehm meinen Körper, obwohl es in der Stube noch eiskalt war, sogar der Schein der ersten Flammen aus der offenen Herdtür trug dazu bei, der über das Gesicht deiner vor der Herdtür hockenden Urgroßmutter huschte, worauf ich meine Hände vorstreckte, um auch etwas von dem Schein abzubekommen, mit dem sich die erste Wärme auf meine Hände legte.

Viele Jahre später kam ich mit anderen Kriegsgefangenen nach Montana, an die Grenze zu Kanada. Der Winter überraschte uns bei der Zuckerrübenernte. Er kam über Nacht.

Wir wohnten in kleinen, weißen Holzhäuschen, die als Speicher gedient hatten, schliefen auf Feldbetten, in Decken gewik-kelt. In der Mitte stand ein dickbäuchiger Kanonenofen, in dem Tag und Nacht das Feuer in Gang gehalten werden mußte, sollten wir bei einer Außentemperatur von mehr

als 2 5 Grad nicht erf rieren.Der Ofen glühte, die Betten standen sternförmig herum, Fußende zum Ofen, und die Wärme nahm ab, je weiter man weg war, in der Nähe der Holzwände war sie nicht mehr zu spüren. Wir verließen den Raum nur, um Holz oder das Essen zu holen, spielten Karten, lasen, achteten auf draußen und rückten in kleinen Trupps zum Schneeschaufeln aus. Aber der Ofen war der Mittelpunkt. Nachts lösten wir uns ab, um das Feuer zu unterhalten, einer weckte den anderen in der Reihe rundum.

Ich wachte nicht ungern, saß am Fußende des Feldbettes, die Füße in Nähe des Ofens, eine Decke über dem Rücken, horchte auf das Feuer, sah durch die Spalten die Flammen, und als ich die erste Nachtwache hatte, wußte ich, daß es nicht das erste Mal war, daß die flackernden Flammen und die davon ausgehende Wärme eine solche Bedeutung für mich hatten.

Der Herd deiner Urgroßmutter war in meinem Gedächtnis, den Herd gab es nicht mehr, deine Urgroßmutter war schon lange tot, ich stand in der Erinnerung als kleiner Junge

vor der Herdtür, hörte das Knacken der Scheiter, sah den Schein der Flammen auf der ausgebleichten Schürze deiner Urgroßmutter, deinen Urgroßvater, der seine Hände an der Herdwand wärmte.

Ich saß vor einem Kanonenofen in einem Holzhäuschen in Montana, erinnerte mich und dachte, daß sich das gleiche im wesentlichen ganz gleich wiederholen kann, auch wenn Ort, Zeit und Zustände anders sind; denn das Wesentliche war das Feuer, sein Schein, seine Wärme, Erscheinungen, die sich an Orten, viele tausend Kilometer voneinander entfernt, wiederholen und ganz gleich sind, lebenserhaltend, indem Feuer wärmt oder Wasser zum Sieden bringt, worin man Nahrung kocht.

Es geht darum: man will leben, und das Feuer erhält das Leben, das habe ich als Kind erahnt und auch in Montana erfahren, und mehr noch, wie gut es wird, wenn wir Wärme haben, wie das Gehirn zu arbeiten beginnt, Pläne macht und Vorstellungen erwägt, wie es weitergeht. Ich öffnete die Ofentür, warf Scheit um Scheit in die Glut, dachte nach und fühlte mich verantwortlich für die anderen, die da auf den Feldbetten um den Ofen lagen.

Wie die Geschichte ausgeht, fragst du? Wir verließen die Holzhäuschen und Montana, da es keine Arbeit mehr für uns gab, ein Pullmanzug brachte uns nach Kalifornien, vom Winter in den Frühling, weil dort die Tulpen blühten und die Orangenernte im Gange war.

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